Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band.Lande, in den Städten noch etwas Latein getrieben wurde. Kaiser Joseph Eine eigenthümliche Erscheinung ist die gegen das Ende des vorigen - ') Die erste Anregung dazu gab das Schriftchen "Die Erziehung der Arbeit, eine Forde¬
rung des Lebens an die Schule" von Karl Friedrich. Leipzig, Avenarius u. Mendelssohn, 1852. Lande, in den Städten noch etwas Latein getrieben wurde. Kaiser Joseph Eine eigenthümliche Erscheinung ist die gegen das Ende des vorigen - ') Die erste Anregung dazu gab das Schriftchen „Die Erziehung der Arbeit, eine Forde¬
rung des Lebens an die Schule" von Karl Friedrich. Leipzig, Avenarius u. Mendelssohn, 1852. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0277" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/193080"/> <p xml:id="ID_889" prev="#ID_888"> Lande, in den Städten noch etwas Latein getrieben wurde. Kaiser Joseph<lb/> erhob den regen Mann, um seine Verdienste zu ehren, in den Adel unter dem<lb/> Namen Ritter von Schulstein.</p><lb/> <p xml:id="ID_890" next="#ID_891"> Eine eigenthümliche Erscheinung ist die gegen das Ende des vorigen<lb/> Jahrhunderts allerwärts in dem gelehrten Deutschland hervortretende Rich¬<lb/> tung auf eine unmittelbar fürs Leben und namentlich für die mehr praktischen<lb/> Berufsarten vorbereitende Volkserziehung. Was neuerlich wieder unter dem<lb/> Namen „Erziehung zur Arbeit" eine Zeit lang in der pädagogischen Literatur<lb/> und auf Lehrerversammlungen Gegenstand theoretischer Erörterungen war")<lb/> praktisch aber nur in einzelnen geschlossenen Anstalten, namentlich in<lb/> solchen für verwahrloste Kinder und höchst vereinzelt in Privatinstituten<lb/> (z. B. in dem von Barth in Leipzig) geübt wird, das sehen wir damals<lb/> nicht blos von Schulmännern, sondern selbst von Regierungen dringend<lb/> empfohlen, vielfach auch wirklich in der Praxis gehandhabt. Sogenannte<lb/> Industrieschulen (wie wir auf dem Gute des Herrn von Rochow eine fanden)<lb/> entstanden um eben jene Zeit oder wenig später in Menge. In Böhmen<lb/> allein zählte man deren über 100, in Hannover, in Berlin, in Dresden gab<lb/> es solche; die vom Herzog Peter von Oldenburg auf seinen Entmischen<lb/> Gütern errichteten (Klüterschulen genannt, weil das Kinder oder Arbeiten in<lb/> Holz darin besonders gelehrt ward) bestehen unsres Wissens noch heute;<lb/> vor 20 Jahren wenigstens gab es deren noch 16 in jenem kleinen Ländchen.<lb/> Aus Mecklenburg haben wir vom Jahre 1792 ein herzogliches Rescript,<lb/> welches sehr detaillirte Vorschriften wegen Einrichtung einer solchen Arbeits¬<lb/> schule giebt. Es sollen darin getrieben werden: Nähen, Stricken, Spinnen,<lb/> Bienenzucht, Korbmacher, Netzstricken, Baumpflanzen u. s. w. „Die Besorg-<lb/> niß", heißt es in dem Rescript, „als ob die Kinder dadurch zu viel vom<lb/> eigentlichen Lehr- und Religionsunterricht abgehalten werden möchten, habe<lb/> sich längst verloren, nachdem die Erfahrung bestätigt, daß diejenigen Kinder,<lb/> die zugleich die Arbeitsschule fleißig besuchen, gewöhnlich auch die besten in<lb/> den Lesestunden und Religionskenntnissen sind, statt daß andere sich in der<lb/> Leseschule vom Morgen bis Abend, ohne die geringste Abwechselung, bei einer<lb/> Einförmigkeit, die der menschlichen Natur so sehr zuwider ist in einer trägen<lb/> Langeweile wohl über einen einzigen Buchstaben stumpf und stupid sitzen oder<lb/> auf Muthwillen und Bosheiten verfallen, welches Uebel aber ohne Gestattung<lb/> eines größeren Nachtheils nicht verhütet werden kann, so lange die leeren<lb/> Stunden der Schuljugend nicht mit Sicherheit besser als bisher ausgefüllt<lb/> und die guten Triebe der Kinder in gehöriger Spannung erhalten werden."</p><lb/> <note xml:id="FID_101" place="foot"> - ') Die erste Anregung dazu gab das Schriftchen „Die Erziehung der Arbeit, eine Forde¬<lb/> rung des Lebens an die Schule" von Karl Friedrich. Leipzig, Avenarius u. Mendelssohn, 1852.</note><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0277]
Lande, in den Städten noch etwas Latein getrieben wurde. Kaiser Joseph
erhob den regen Mann, um seine Verdienste zu ehren, in den Adel unter dem
Namen Ritter von Schulstein.
Eine eigenthümliche Erscheinung ist die gegen das Ende des vorigen
Jahrhunderts allerwärts in dem gelehrten Deutschland hervortretende Rich¬
tung auf eine unmittelbar fürs Leben und namentlich für die mehr praktischen
Berufsarten vorbereitende Volkserziehung. Was neuerlich wieder unter dem
Namen „Erziehung zur Arbeit" eine Zeit lang in der pädagogischen Literatur
und auf Lehrerversammlungen Gegenstand theoretischer Erörterungen war")
praktisch aber nur in einzelnen geschlossenen Anstalten, namentlich in
solchen für verwahrloste Kinder und höchst vereinzelt in Privatinstituten
(z. B. in dem von Barth in Leipzig) geübt wird, das sehen wir damals
nicht blos von Schulmännern, sondern selbst von Regierungen dringend
empfohlen, vielfach auch wirklich in der Praxis gehandhabt. Sogenannte
Industrieschulen (wie wir auf dem Gute des Herrn von Rochow eine fanden)
entstanden um eben jene Zeit oder wenig später in Menge. In Böhmen
allein zählte man deren über 100, in Hannover, in Berlin, in Dresden gab
es solche; die vom Herzog Peter von Oldenburg auf seinen Entmischen
Gütern errichteten (Klüterschulen genannt, weil das Kinder oder Arbeiten in
Holz darin besonders gelehrt ward) bestehen unsres Wissens noch heute;
vor 20 Jahren wenigstens gab es deren noch 16 in jenem kleinen Ländchen.
Aus Mecklenburg haben wir vom Jahre 1792 ein herzogliches Rescript,
welches sehr detaillirte Vorschriften wegen Einrichtung einer solchen Arbeits¬
schule giebt. Es sollen darin getrieben werden: Nähen, Stricken, Spinnen,
Bienenzucht, Korbmacher, Netzstricken, Baumpflanzen u. s. w. „Die Besorg-
niß", heißt es in dem Rescript, „als ob die Kinder dadurch zu viel vom
eigentlichen Lehr- und Religionsunterricht abgehalten werden möchten, habe
sich längst verloren, nachdem die Erfahrung bestätigt, daß diejenigen Kinder,
die zugleich die Arbeitsschule fleißig besuchen, gewöhnlich auch die besten in
den Lesestunden und Religionskenntnissen sind, statt daß andere sich in der
Leseschule vom Morgen bis Abend, ohne die geringste Abwechselung, bei einer
Einförmigkeit, die der menschlichen Natur so sehr zuwider ist in einer trägen
Langeweile wohl über einen einzigen Buchstaben stumpf und stupid sitzen oder
auf Muthwillen und Bosheiten verfallen, welches Uebel aber ohne Gestattung
eines größeren Nachtheils nicht verhütet werden kann, so lange die leeren
Stunden der Schuljugend nicht mit Sicherheit besser als bisher ausgefüllt
und die guten Triebe der Kinder in gehöriger Spannung erhalten werden."
- ') Die erste Anregung dazu gab das Schriftchen „Die Erziehung der Arbeit, eine Forde¬
rung des Lebens an die Schule" von Karl Friedrich. Leipzig, Avenarius u. Mendelssohn, 1852.
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