Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band.wer. welche die confessionslose Gemeindeschule erstrebte, verwarf auch in Die Wagschale hat lange geschwankt. Anfangs wurde in den officiellen Gerade in dieser Zeit der Ungewißheit hatte nun der loyale Thatendrang wer. welche die confessionslose Gemeindeschule erstrebte, verwarf auch in Die Wagschale hat lange geschwankt. Anfangs wurde in den officiellen Gerade in dieser Zeit der Ungewißheit hatte nun der loyale Thatendrang <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0242" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/193045"/> <p xml:id="ID_780" prev="#ID_779"> wer. welche die confessionslose Gemeindeschule erstrebte, verwarf auch in<lb/> zweiter Abstimmung die betreffenden Bestimmungen des Negierungsentwurss<lb/> und ersetzte sie durch andere in ihrem Sinn, allerdings mit einer nicht be¬<lb/> deutenden Majorität. Nun besteht in der sächsischen Verfassung ein Para¬<lb/> graph (ez 92), der wohl in keiner andern Verfassung der Welt zu finden ist.<lb/> Derselbe lautet: „Bleiben auch dann noch (nämlich nach angestellten Ver-<lb/> einigungsverfahren) die Curiatstimmen beider Kammern getheilt, so ist zu der<lb/> Verwerfung des Gesetzvorschlags erforderlich, daß in einer der beiden Kammern<lb/> wenigstens zwei Dritttheile der Anwesenden für die Verwerfung gestimmt<lb/> haben." — Diese zwei Dritttheile waren aber bei der Verwerfung durch die<lb/> II. Kammer nicht erreicht worden, die Negierung war also nach jenem 92<lb/> formell berechtigt, ihren Entwurf als angenommen zu betrachten und als<lb/> Gesetz zu publiciren. Von diesem Recht des § 92 hatte aber die Regierung<lb/> wohl noch nie gegen die II. Kammer Gebrauch gemacht. Es entspann sich<lb/> daher noch auf dem Landtag und nach dessen Schluß in der ganzen Presse<lb/> des Landes eine lebhafte Diskussion über die Frage, ob die Regierung die ver¬<lb/> altete Bestimmung des K 92, die von dem ersten Minister, Herrn von Friesen,<lb/> selbst als nicht mehr zeitgemäß anerkannt worden war, zur Anwendung brin¬<lb/> gen oder lieber nach dem constitutionellen Brauch anderer Staaten die II.<lb/> Kammer auflösen solle.</p><lb/> <p xml:id="ID_781"> Die Wagschale hat lange geschwankt. Anfangs wurde in den officiellen<lb/> Blättern der Nachweis versucht, daß die Regierung nach dem Wortlaut der<lb/> Verfaßung gar nicht umhin könne, das Volksschulgesetz zu publiciren. Nach¬<lb/> dem aber diese Behauptung Angesichts des völlig unbeschränkten königlichen<lb/> Vetos als eine Absurdität zurückgewiesen war, hieß es eine Zeit lang ebenso be¬<lb/> stimmt, die Regierung werde das Schulgesetz nicht publiciren, sondern dem<lb/> nächsten Landtag noch einmal vorlegen.</p><lb/> <p xml:id="ID_782" next="#ID_783"> Gerade in dieser Zeit der Ungewißheit hatte nun der loyale Thatendrang<lb/> jene Führer der Dresdner Volksschullehrer zu einem Schritte begeistert, der<lb/> gerechte Mißbilligung erfahren hat. Dieselben verschickten nämlich zur Unter¬<lb/> schrift an alle die Seminar- und Volksschullehrer Sachsens eine gedruckte Ver¬<lb/> trauensadresse für das Kultusministerium, in welcher dasselbe zur Publikation<lb/> des Volksschulgesetzes geradezu aufgefordert wurde. Die liberale Partei der<lb/> II. Kammer, welcher der Lehrerstand so manche Verbesserung seiner materiellen<lb/> Lage und alle wesentlichen Fortschritte im Seminar- und Volksschulwesen zu<lb/> verdanken hat, wurde also einfach verleugnet. Abgesehen von diesem schnöden<lb/> Undank und der Taktlosigkeit, die den ganzen Schritt kennzeichnet, mußte es<lb/> als eine unvergleichliche Anmaßung erscheinen, daß sich der Stand der Volks¬<lb/> schullehrer in einen ernsten zwischen Regierung und I. Kammer einerseits<lb/> und der II. Kammer anderseits entbrannten Streit über die Anwendung einer</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0242]
wer. welche die confessionslose Gemeindeschule erstrebte, verwarf auch in
zweiter Abstimmung die betreffenden Bestimmungen des Negierungsentwurss
und ersetzte sie durch andere in ihrem Sinn, allerdings mit einer nicht be¬
deutenden Majorität. Nun besteht in der sächsischen Verfassung ein Para¬
graph (ez 92), der wohl in keiner andern Verfassung der Welt zu finden ist.
Derselbe lautet: „Bleiben auch dann noch (nämlich nach angestellten Ver-
einigungsverfahren) die Curiatstimmen beider Kammern getheilt, so ist zu der
Verwerfung des Gesetzvorschlags erforderlich, daß in einer der beiden Kammern
wenigstens zwei Dritttheile der Anwesenden für die Verwerfung gestimmt
haben." — Diese zwei Dritttheile waren aber bei der Verwerfung durch die
II. Kammer nicht erreicht worden, die Negierung war also nach jenem 92
formell berechtigt, ihren Entwurf als angenommen zu betrachten und als
Gesetz zu publiciren. Von diesem Recht des § 92 hatte aber die Regierung
wohl noch nie gegen die II. Kammer Gebrauch gemacht. Es entspann sich
daher noch auf dem Landtag und nach dessen Schluß in der ganzen Presse
des Landes eine lebhafte Diskussion über die Frage, ob die Regierung die ver¬
altete Bestimmung des K 92, die von dem ersten Minister, Herrn von Friesen,
selbst als nicht mehr zeitgemäß anerkannt worden war, zur Anwendung brin¬
gen oder lieber nach dem constitutionellen Brauch anderer Staaten die II.
Kammer auflösen solle.
Die Wagschale hat lange geschwankt. Anfangs wurde in den officiellen
Blättern der Nachweis versucht, daß die Regierung nach dem Wortlaut der
Verfaßung gar nicht umhin könne, das Volksschulgesetz zu publiciren. Nach¬
dem aber diese Behauptung Angesichts des völlig unbeschränkten königlichen
Vetos als eine Absurdität zurückgewiesen war, hieß es eine Zeit lang ebenso be¬
stimmt, die Regierung werde das Schulgesetz nicht publiciren, sondern dem
nächsten Landtag noch einmal vorlegen.
Gerade in dieser Zeit der Ungewißheit hatte nun der loyale Thatendrang
jene Führer der Dresdner Volksschullehrer zu einem Schritte begeistert, der
gerechte Mißbilligung erfahren hat. Dieselben verschickten nämlich zur Unter¬
schrift an alle die Seminar- und Volksschullehrer Sachsens eine gedruckte Ver¬
trauensadresse für das Kultusministerium, in welcher dasselbe zur Publikation
des Volksschulgesetzes geradezu aufgefordert wurde. Die liberale Partei der
II. Kammer, welcher der Lehrerstand so manche Verbesserung seiner materiellen
Lage und alle wesentlichen Fortschritte im Seminar- und Volksschulwesen zu
verdanken hat, wurde also einfach verleugnet. Abgesehen von diesem schnöden
Undank und der Taktlosigkeit, die den ganzen Schritt kennzeichnet, mußte es
als eine unvergleichliche Anmaßung erscheinen, daß sich der Stand der Volks¬
schullehrer in einen ernsten zwischen Regierung und I. Kammer einerseits
und der II. Kammer anderseits entbrannten Streit über die Anwendung einer
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