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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band.

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geben für die zum Besten des sächsischen Albertvereins, eines internationa¬
len Frauenverews, veranstaltete Verloosung, ein Aufsatz von einem Dresdner
Lehrer, Namens Wiedemann, erschien, betitelt "Ein düstres Blatt aus
der Geschichte Dresdens". -- Solche Blätter gibt es leider viele, von
den Verfolgungen der sog. Kryptocalvinisten durch Vater August und der
Hinrichtung des Canzlers Kreil an bis zu dem Maiaufstand von 1849. Aber
wer sollte denken, daß gerade jetzt die alten Geschichten von der "Uebel¬
that" Friedrich's des Großen wieder aufgewärmt werden würden, daß jener
Aufsatz eine förmliche Blüthenlese dessen enthält, was der 7jährige Krieg für
Sachsen und besonders Dresden Drückendes und Schmerzliches brachte-- natür¬
lich , um in den Herzen der sächsischen Jugend, für welche dieser "Blüthen¬
strauß" bestimmt ist, den ziemlich eingeschlummerten Preußenhaß auf's neue
zu entflammen. Ein weiterer Zweck ist nicht abzusehen.

Um von der geistreichen Komposition des Ganzen wenigstens eine Idee
zu geben, lassen wir hier den Anfang der in Form eines Gespräches gekleide¬
ten Erzählung folgen:

"Nicht wahr, Onkel, unser Dresden ist eine der schönsten Städte in
ganz Deutschland?" So fragte der dreizehnjährige Benno den alten, pensio-
nirten Assessor Grundmeier.

"Ich glaube gar, sie ist die schönste Stadt in der ganzen Welt", fügte
Richard, ein elfjähriger, munterer Knabe, schnell hinzu.

"Die ganze Welt habe ich allerdings noch nicht durchreist", erwiederte
Grundmeier, "wohl aber habe ich die wichtigsten Städte Deutschlands alle
mit eigenen Augen geschaut. Und da muß ich denn doch gestehen, daß ich,
wenn mich nach Art jener Märchenkönigin Jemand fragt: Wer ist die
Schönste im ganzen Reich? -- antworten würde: Dresden ist die
Schönste im ganzen Reich."

"Das denke ich auch, Onkel", fiel hier der kleine, siebenjährige Heinrich
schnell ein. "So viel Brätzel- und Knackwürsteljungen gibt's gewiß in keiner
anderen Stadt, als in Dresden und so viel Conditor (!) und Kuchenbäcker
auch nicht, als bei uns."

An diese classische Einleitung schließt Grundmeier eine Verherrlichung
Dresdens an, ganz im Geist des ächten Dresdner Spießbürgers, dem nun
menai Nichts in der Welt über sein geliebtes Dresden geht. Hat doch vor
mehreren Jahren ein Dresdner Realschullehrer in einem Schulprogramm
nachgewiesen, daß Sachsen das Herz Europas, und Dresden der Mittelpunkt
der civilisirten Welt sei. Man sieht, wir haben den Franzosen und speciell
den Parisern hinsichtlich des Dünkels und Größenwahns Nichts vorzuwerfen.

Doch zurück zu unserem "Grundmeier", oder, wie es richtiger heißen
sollte, "Heulmeier", denn alsbald nach diesen Ergüssen angeborner Beschei-


geben für die zum Besten des sächsischen Albertvereins, eines internationa¬
len Frauenverews, veranstaltete Verloosung, ein Aufsatz von einem Dresdner
Lehrer, Namens Wiedemann, erschien, betitelt „Ein düstres Blatt aus
der Geschichte Dresdens". — Solche Blätter gibt es leider viele, von
den Verfolgungen der sog. Kryptocalvinisten durch Vater August und der
Hinrichtung des Canzlers Kreil an bis zu dem Maiaufstand von 1849. Aber
wer sollte denken, daß gerade jetzt die alten Geschichten von der „Uebel¬
that" Friedrich's des Großen wieder aufgewärmt werden würden, daß jener
Aufsatz eine förmliche Blüthenlese dessen enthält, was der 7jährige Krieg für
Sachsen und besonders Dresden Drückendes und Schmerzliches brachte— natür¬
lich , um in den Herzen der sächsischen Jugend, für welche dieser „Blüthen¬
strauß" bestimmt ist, den ziemlich eingeschlummerten Preußenhaß auf's neue
zu entflammen. Ein weiterer Zweck ist nicht abzusehen.

Um von der geistreichen Komposition des Ganzen wenigstens eine Idee
zu geben, lassen wir hier den Anfang der in Form eines Gespräches gekleide¬
ten Erzählung folgen:

„Nicht wahr, Onkel, unser Dresden ist eine der schönsten Städte in
ganz Deutschland?" So fragte der dreizehnjährige Benno den alten, pensio-
nirten Assessor Grundmeier.

„Ich glaube gar, sie ist die schönste Stadt in der ganzen Welt", fügte
Richard, ein elfjähriger, munterer Knabe, schnell hinzu.

„Die ganze Welt habe ich allerdings noch nicht durchreist", erwiederte
Grundmeier, „wohl aber habe ich die wichtigsten Städte Deutschlands alle
mit eigenen Augen geschaut. Und da muß ich denn doch gestehen, daß ich,
wenn mich nach Art jener Märchenkönigin Jemand fragt: Wer ist die
Schönste im ganzen Reich? — antworten würde: Dresden ist die
Schönste im ganzen Reich."

„Das denke ich auch, Onkel", fiel hier der kleine, siebenjährige Heinrich
schnell ein. „So viel Brätzel- und Knackwürsteljungen gibt's gewiß in keiner
anderen Stadt, als in Dresden und so viel Conditor (!) und Kuchenbäcker
auch nicht, als bei uns."

An diese classische Einleitung schließt Grundmeier eine Verherrlichung
Dresdens an, ganz im Geist des ächten Dresdner Spießbürgers, dem nun
menai Nichts in der Welt über sein geliebtes Dresden geht. Hat doch vor
mehreren Jahren ein Dresdner Realschullehrer in einem Schulprogramm
nachgewiesen, daß Sachsen das Herz Europas, und Dresden der Mittelpunkt
der civilisirten Welt sei. Man sieht, wir haben den Franzosen und speciell
den Parisern hinsichtlich des Dünkels und Größenwahns Nichts vorzuwerfen.

Doch zurück zu unserem „Grundmeier", oder, wie es richtiger heißen
sollte, „Heulmeier", denn alsbald nach diesen Ergüssen angeborner Beschei-


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[0236] geben für die zum Besten des sächsischen Albertvereins, eines internationa¬ len Frauenverews, veranstaltete Verloosung, ein Aufsatz von einem Dresdner Lehrer, Namens Wiedemann, erschien, betitelt „Ein düstres Blatt aus der Geschichte Dresdens". — Solche Blätter gibt es leider viele, von den Verfolgungen der sog. Kryptocalvinisten durch Vater August und der Hinrichtung des Canzlers Kreil an bis zu dem Maiaufstand von 1849. Aber wer sollte denken, daß gerade jetzt die alten Geschichten von der „Uebel¬ that" Friedrich's des Großen wieder aufgewärmt werden würden, daß jener Aufsatz eine förmliche Blüthenlese dessen enthält, was der 7jährige Krieg für Sachsen und besonders Dresden Drückendes und Schmerzliches brachte— natür¬ lich , um in den Herzen der sächsischen Jugend, für welche dieser „Blüthen¬ strauß" bestimmt ist, den ziemlich eingeschlummerten Preußenhaß auf's neue zu entflammen. Ein weiterer Zweck ist nicht abzusehen. Um von der geistreichen Komposition des Ganzen wenigstens eine Idee zu geben, lassen wir hier den Anfang der in Form eines Gespräches gekleide¬ ten Erzählung folgen: „Nicht wahr, Onkel, unser Dresden ist eine der schönsten Städte in ganz Deutschland?" So fragte der dreizehnjährige Benno den alten, pensio- nirten Assessor Grundmeier. „Ich glaube gar, sie ist die schönste Stadt in der ganzen Welt", fügte Richard, ein elfjähriger, munterer Knabe, schnell hinzu. „Die ganze Welt habe ich allerdings noch nicht durchreist", erwiederte Grundmeier, „wohl aber habe ich die wichtigsten Städte Deutschlands alle mit eigenen Augen geschaut. Und da muß ich denn doch gestehen, daß ich, wenn mich nach Art jener Märchenkönigin Jemand fragt: Wer ist die Schönste im ganzen Reich? — antworten würde: Dresden ist die Schönste im ganzen Reich." „Das denke ich auch, Onkel", fiel hier der kleine, siebenjährige Heinrich schnell ein. „So viel Brätzel- und Knackwürsteljungen gibt's gewiß in keiner anderen Stadt, als in Dresden und so viel Conditor (!) und Kuchenbäcker auch nicht, als bei uns." An diese classische Einleitung schließt Grundmeier eine Verherrlichung Dresdens an, ganz im Geist des ächten Dresdner Spießbürgers, dem nun menai Nichts in der Welt über sein geliebtes Dresden geht. Hat doch vor mehreren Jahren ein Dresdner Realschullehrer in einem Schulprogramm nachgewiesen, daß Sachsen das Herz Europas, und Dresden der Mittelpunkt der civilisirten Welt sei. Man sieht, wir haben den Franzosen und speciell den Parisern hinsichtlich des Dünkels und Größenwahns Nichts vorzuwerfen. Doch zurück zu unserem „Grundmeier", oder, wie es richtiger heißen sollte, „Heulmeier", denn alsbald nach diesen Ergüssen angeborner Beschei-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_192802/236>, abgerufen am 06.02.2025.