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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band.

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Nichts. Dafür wurde dann in den beliebten Geschichten von dem sächsischen
Prinzenraub, von Vater August und Mutter Anna, von den Kraftproben
August's des Starken, von Brühl's 833 Schnupftabaksdosen, seinen 47 Pel¬
zen, 43 Schlafröcken u. f. w. u. s. w. förmlich geschwelgt. Je fester nun
Borurtheile und Abneigungen haften, die schon in die zarte Kindesseele hin¬
eingepflanzt werden, um so allgemeiner und unvertilgbarer war früher jener
Preußenhaß, zumal in denjenigen Schichten der sächsischen Bevölkerung, die
nur auf die Volksschule angewiesen sind, und nur den gebildeten Kreisen ge¬
lang es, wenn auch selten ganz vollständig, durch umfassendere Geschichts¬
studien sich allmählich von jenen Vorurtheilen und Antipathien ihrer Kindheit
wieder frei zu machen.

Diese systematisch gepflegte preußenfeindliche Gesinnung fand besonders
wieder reichliche Nahrung in der Periode des großen Beust (1849--66), dieses
deutschen Ephialtes, der seinem Preußenhaß und seinen Rachegelüsten 1870
damit volle Genüge zu schaffen gedachte, daß er nur unsere erste Niederlage
abwarten wollte, um dann das östreichische Heer unsern gegen die Fran¬
zosen aufgebotenen Truppen meuchlerisch in den Rücken fallen zu lassen. Seit¬
dem dieser Minister, welcher durch seine unselige Politik das Andenken eines
zweiten Brühl wieder aufleben ließ, von dem sächsischen Schauplatz 1866 un¬
ter den Verwünschungen des Landes abgetreten war, nachdem Sachsen wieder
einmal die Augen darüber aufgegangen waren, zu welchem Abgrund diese
preußenfeindliche Politik geführt hatte, machte sich mit dem Eintritt Sachsens
in den norddeutschen Bund und die gemeinsame gesetzgeberische Arbeit des Reichs¬
tags eine entschiedene Klärung und Besserung der politischen Ansichten und
Gesinnungen geltend. Als dann gar der gottgesandte Krieg von 1870
kam und in seiner gewaltigen Lohe all den alten Hader, all'die kleinliche Eifer¬
sucht der deutschen Stämme verzehrte, als er uns endlich das' brachte, wonach
unsere Väter vergebens getrachtet, ein einiges deutsches Reich und einen deut¬
schen Kaiser, da schwand auch in Sachsen jener alte Preußenhaß fast völlig
dahin, und namentlich die Jugend wandte sich mit Begeisterung den Thaten
des neugeeinigten großen Vaterlandes zu.

Das scheint nun jene Clique Dresdner Schulmeister, welche sich als
Stammhalter des ächten loyalen Sachsenthums ansieht, übel vermerkt zu
haben, und damit der Preußenhaß, ohne welchen nach ihrer Meinung das
specifische Sachsenthum nicht bestehen kann, ja nicht völlig untergehe, griff sie
wieder in die alte Rüstkammer und spitzte und vergiftete die Pfeile aufs
Neue, die sie früher abzuschießen pflegte, um dem gutmüthigen Sachsenvolk
die Milch der frommen Denkart in gährend Drachengift zu verwandeln.

So mußte man es denn erleben, daß in einem unlängst in 16,000
Exemplaren erschienenen "Blüthenstrauß für die Jugend", herausge-


Nichts. Dafür wurde dann in den beliebten Geschichten von dem sächsischen
Prinzenraub, von Vater August und Mutter Anna, von den Kraftproben
August's des Starken, von Brühl's 833 Schnupftabaksdosen, seinen 47 Pel¬
zen, 43 Schlafröcken u. f. w. u. s. w. förmlich geschwelgt. Je fester nun
Borurtheile und Abneigungen haften, die schon in die zarte Kindesseele hin¬
eingepflanzt werden, um so allgemeiner und unvertilgbarer war früher jener
Preußenhaß, zumal in denjenigen Schichten der sächsischen Bevölkerung, die
nur auf die Volksschule angewiesen sind, und nur den gebildeten Kreisen ge¬
lang es, wenn auch selten ganz vollständig, durch umfassendere Geschichts¬
studien sich allmählich von jenen Vorurtheilen und Antipathien ihrer Kindheit
wieder frei zu machen.

Diese systematisch gepflegte preußenfeindliche Gesinnung fand besonders
wieder reichliche Nahrung in der Periode des großen Beust (1849—66), dieses
deutschen Ephialtes, der seinem Preußenhaß und seinen Rachegelüsten 1870
damit volle Genüge zu schaffen gedachte, daß er nur unsere erste Niederlage
abwarten wollte, um dann das östreichische Heer unsern gegen die Fran¬
zosen aufgebotenen Truppen meuchlerisch in den Rücken fallen zu lassen. Seit¬
dem dieser Minister, welcher durch seine unselige Politik das Andenken eines
zweiten Brühl wieder aufleben ließ, von dem sächsischen Schauplatz 1866 un¬
ter den Verwünschungen des Landes abgetreten war, nachdem Sachsen wieder
einmal die Augen darüber aufgegangen waren, zu welchem Abgrund diese
preußenfeindliche Politik geführt hatte, machte sich mit dem Eintritt Sachsens
in den norddeutschen Bund und die gemeinsame gesetzgeberische Arbeit des Reichs¬
tags eine entschiedene Klärung und Besserung der politischen Ansichten und
Gesinnungen geltend. Als dann gar der gottgesandte Krieg von 1870
kam und in seiner gewaltigen Lohe all den alten Hader, all'die kleinliche Eifer¬
sucht der deutschen Stämme verzehrte, als er uns endlich das' brachte, wonach
unsere Väter vergebens getrachtet, ein einiges deutsches Reich und einen deut¬
schen Kaiser, da schwand auch in Sachsen jener alte Preußenhaß fast völlig
dahin, und namentlich die Jugend wandte sich mit Begeisterung den Thaten
des neugeeinigten großen Vaterlandes zu.

Das scheint nun jene Clique Dresdner Schulmeister, welche sich als
Stammhalter des ächten loyalen Sachsenthums ansieht, übel vermerkt zu
haben, und damit der Preußenhaß, ohne welchen nach ihrer Meinung das
specifische Sachsenthum nicht bestehen kann, ja nicht völlig untergehe, griff sie
wieder in die alte Rüstkammer und spitzte und vergiftete die Pfeile aufs
Neue, die sie früher abzuschießen pflegte, um dem gutmüthigen Sachsenvolk
die Milch der frommen Denkart in gährend Drachengift zu verwandeln.

So mußte man es denn erleben, daß in einem unlängst in 16,000
Exemplaren erschienenen „Blüthenstrauß für die Jugend", herausge-


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[0235] Nichts. Dafür wurde dann in den beliebten Geschichten von dem sächsischen Prinzenraub, von Vater August und Mutter Anna, von den Kraftproben August's des Starken, von Brühl's 833 Schnupftabaksdosen, seinen 47 Pel¬ zen, 43 Schlafröcken u. f. w. u. s. w. förmlich geschwelgt. Je fester nun Borurtheile und Abneigungen haften, die schon in die zarte Kindesseele hin¬ eingepflanzt werden, um so allgemeiner und unvertilgbarer war früher jener Preußenhaß, zumal in denjenigen Schichten der sächsischen Bevölkerung, die nur auf die Volksschule angewiesen sind, und nur den gebildeten Kreisen ge¬ lang es, wenn auch selten ganz vollständig, durch umfassendere Geschichts¬ studien sich allmählich von jenen Vorurtheilen und Antipathien ihrer Kindheit wieder frei zu machen. Diese systematisch gepflegte preußenfeindliche Gesinnung fand besonders wieder reichliche Nahrung in der Periode des großen Beust (1849—66), dieses deutschen Ephialtes, der seinem Preußenhaß und seinen Rachegelüsten 1870 damit volle Genüge zu schaffen gedachte, daß er nur unsere erste Niederlage abwarten wollte, um dann das östreichische Heer unsern gegen die Fran¬ zosen aufgebotenen Truppen meuchlerisch in den Rücken fallen zu lassen. Seit¬ dem dieser Minister, welcher durch seine unselige Politik das Andenken eines zweiten Brühl wieder aufleben ließ, von dem sächsischen Schauplatz 1866 un¬ ter den Verwünschungen des Landes abgetreten war, nachdem Sachsen wieder einmal die Augen darüber aufgegangen waren, zu welchem Abgrund diese preußenfeindliche Politik geführt hatte, machte sich mit dem Eintritt Sachsens in den norddeutschen Bund und die gemeinsame gesetzgeberische Arbeit des Reichs¬ tags eine entschiedene Klärung und Besserung der politischen Ansichten und Gesinnungen geltend. Als dann gar der gottgesandte Krieg von 1870 kam und in seiner gewaltigen Lohe all den alten Hader, all'die kleinliche Eifer¬ sucht der deutschen Stämme verzehrte, als er uns endlich das' brachte, wonach unsere Väter vergebens getrachtet, ein einiges deutsches Reich und einen deut¬ schen Kaiser, da schwand auch in Sachsen jener alte Preußenhaß fast völlig dahin, und namentlich die Jugend wandte sich mit Begeisterung den Thaten des neugeeinigten großen Vaterlandes zu. Das scheint nun jene Clique Dresdner Schulmeister, welche sich als Stammhalter des ächten loyalen Sachsenthums ansieht, übel vermerkt zu haben, und damit der Preußenhaß, ohne welchen nach ihrer Meinung das specifische Sachsenthum nicht bestehen kann, ja nicht völlig untergehe, griff sie wieder in die alte Rüstkammer und spitzte und vergiftete die Pfeile aufs Neue, die sie früher abzuschießen pflegte, um dem gutmüthigen Sachsenvolk die Milch der frommen Denkart in gährend Drachengift zu verwandeln. So mußte man es denn erleben, daß in einem unlängst in 16,000 Exemplaren erschienenen „Blüthenstrauß für die Jugend", herausge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_192802/235>, abgerufen am 06.02.2025.