Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band.und er in ihnen sich bald mit dem Publikum unterredet, bald Lob und Tadel und er in ihnen sich bald mit dem Publikum unterredet, bald Lob und Tadel <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0226" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/193029"/> <p xml:id="ID_700" prev="#ID_699" next="#ID_701"> und er in ihnen sich bald mit dem Publikum unterredet, bald Lob und Tadel<lb/> spendet, bald die Götter anbetet, bald Helden feiert, bald Feinde verhöhnt,<lb/> hat Platen nur zwei Theile beibehalten, die eigentlichen Anapäste und das<lb/> Pnigos, um darin seinen Ruhm zu singen und seine Gegner zu verunglim¬<lb/> pfen. Während ferner bei Aristophanes die Parabase gewöhnlich in die Mitte<lb/> des Stückes fällt, so daß sie dasselbe in zwei annähernd gleiche Hälften theilt,<lb/> findet sie sich bei Platen am Ende jedes Actes; und während Aristophanes<lb/> nur eine Hauptparabase und höchstens noch eine und die andere Nebenpara-<lb/> base zuläßt, hat ihrer Platen beliebig viele. In der Verhängnißvollen Gabel<lb/> gibt es fünf Parabasen; jeder Act schließt mit einer solchen. Es ist das<lb/> keine glückliche Neuerung. Das heißt denn doch die Continuität des Ganzen<lb/> allzu oft unterbrechen und dem Publikum mehr als gewöhnliche Weisheits¬<lb/> bedürftigkeit zutrauen, wenn man es nach jedem Acte besonders in die Schule<lb/> nimmt. Daß diese Parabasen schon ihrer UnVollständigkeit wegen weit hinter<lb/> den Aristophanischen zurückstehen, bedarf keines Beweises. Sie haben weder<lb/> deren Gedankenreichthum noch ihre Mannigfaltigkeit im Inhalt, noch ihre<lb/> bezaubernde Fülle der Rhythmen und des Metrums. Aber es ist noch eins,<lb/> was den Nachahmer, und zwar den ungeschickten Nachahmer verräth. In<lb/> der Gabel hat der Dichter fünf Parabasen und keinen Chor. Wer spricht<lb/> sie? Der Jude schaust. Der Dichter läßt ihn allemal am Schlüsse des<lb/> Actes redend auftreten und fügt die theatralische Notiz hinzu: „schaust<lb/> wirft Mantel und Bart (oder was er sonst gerade trägt) weg und erscheint<lb/> als Chorus, indem er bis an den Rand des Theaters vortritt." Wieder<lb/> eine kühne Zumuthung, die Platen an sein Publikum stellt; es soll den Ju¬<lb/> den schaust für den Chores halten. Da mißversteht er ganz das Wesen<lb/> des griechischen Chorus. Derselbe ist immer eine Collcctivperson, mag er<lb/> nun in der Form von attischen Greisen oder Vögeln oder Fröschen erschei¬<lb/> nen, und darum hat er ein Recht dazu, allgemein gültige Ansichten auszu¬<lb/> sprechen. Und was geht nicht auch in Samischer Beziehung bei Platen alles<lb/> verloren! Bei Aristophanes greift der Chor wiederholt in die Handlung des<lb/> Stückes ein. Was muß das für ein grandioser Anblick gewesen sein, als die<lb/> Acharncr-Greise in fürchterlichster Erregung in die Orchestra hineinstürzten<lb/> und den Friedensstifter mit Drohungen und Steinwürfen bis auf die Bühne<lb/> verfolgten; oder als die gestachelten Wespen-Greise in dunkler Nacht bei<lb/> Fackelschein tappenden Schrittes und Lieder singend des schmutzigen Weges<lb/> daherkamen; oder als die Vögel in bunter Menge herbeiflogen und die Wol¬<lb/> ken-Göttinnen herniederschwebten. Hier ist jeder Chor schon in seiner bloßen<lb/> Erscheinung eine urkomische Potenz; dazu kommt dann der Tanz, kommen<lb/> die lyrischen Gesänge. Bei Platen fällt das alles weg; er hat offenbar mit<lb/> dem Chöre nichts anzufangen gewußt. Allerdings findet im Oedipus insofern</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0226]
und er in ihnen sich bald mit dem Publikum unterredet, bald Lob und Tadel
spendet, bald die Götter anbetet, bald Helden feiert, bald Feinde verhöhnt,
hat Platen nur zwei Theile beibehalten, die eigentlichen Anapäste und das
Pnigos, um darin seinen Ruhm zu singen und seine Gegner zu verunglim¬
pfen. Während ferner bei Aristophanes die Parabase gewöhnlich in die Mitte
des Stückes fällt, so daß sie dasselbe in zwei annähernd gleiche Hälften theilt,
findet sie sich bei Platen am Ende jedes Actes; und während Aristophanes
nur eine Hauptparabase und höchstens noch eine und die andere Nebenpara-
base zuläßt, hat ihrer Platen beliebig viele. In der Verhängnißvollen Gabel
gibt es fünf Parabasen; jeder Act schließt mit einer solchen. Es ist das
keine glückliche Neuerung. Das heißt denn doch die Continuität des Ganzen
allzu oft unterbrechen und dem Publikum mehr als gewöhnliche Weisheits¬
bedürftigkeit zutrauen, wenn man es nach jedem Acte besonders in die Schule
nimmt. Daß diese Parabasen schon ihrer UnVollständigkeit wegen weit hinter
den Aristophanischen zurückstehen, bedarf keines Beweises. Sie haben weder
deren Gedankenreichthum noch ihre Mannigfaltigkeit im Inhalt, noch ihre
bezaubernde Fülle der Rhythmen und des Metrums. Aber es ist noch eins,
was den Nachahmer, und zwar den ungeschickten Nachahmer verräth. In
der Gabel hat der Dichter fünf Parabasen und keinen Chor. Wer spricht
sie? Der Jude schaust. Der Dichter läßt ihn allemal am Schlüsse des
Actes redend auftreten und fügt die theatralische Notiz hinzu: „schaust
wirft Mantel und Bart (oder was er sonst gerade trägt) weg und erscheint
als Chorus, indem er bis an den Rand des Theaters vortritt." Wieder
eine kühne Zumuthung, die Platen an sein Publikum stellt; es soll den Ju¬
den schaust für den Chores halten. Da mißversteht er ganz das Wesen
des griechischen Chorus. Derselbe ist immer eine Collcctivperson, mag er
nun in der Form von attischen Greisen oder Vögeln oder Fröschen erschei¬
nen, und darum hat er ein Recht dazu, allgemein gültige Ansichten auszu¬
sprechen. Und was geht nicht auch in Samischer Beziehung bei Platen alles
verloren! Bei Aristophanes greift der Chor wiederholt in die Handlung des
Stückes ein. Was muß das für ein grandioser Anblick gewesen sein, als die
Acharncr-Greise in fürchterlichster Erregung in die Orchestra hineinstürzten
und den Friedensstifter mit Drohungen und Steinwürfen bis auf die Bühne
verfolgten; oder als die gestachelten Wespen-Greise in dunkler Nacht bei
Fackelschein tappenden Schrittes und Lieder singend des schmutzigen Weges
daherkamen; oder als die Vögel in bunter Menge herbeiflogen und die Wol¬
ken-Göttinnen herniederschwebten. Hier ist jeder Chor schon in seiner bloßen
Erscheinung eine urkomische Potenz; dazu kommt dann der Tanz, kommen
die lyrischen Gesänge. Bei Platen fällt das alles weg; er hat offenbar mit
dem Chöre nichts anzufangen gewußt. Allerdings findet im Oedipus insofern
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