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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band.

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nachweisen, so lag es viel näher, auf die Haltung des Chores bei Platen auf¬
merksam zu machen. Doch hierauf kommen wir an einer späteren Stelle noch
zurück.

Während es also ganz Aristophaneisch von Platen ist, daß er verkehrte
Richtungen in der Literatur geißelt und zwar so, daß er sie in einzelne Per¬
sonen verkörpert, um an ihnen die Galle seines Unmuths auszulassen, so weicht
doch im Uebrigen das Verfahren beider Dichter wieder sehr von einander ab.
Bei Aristophanes sind die Helden, die uns vorgeführt werden, um nur einige
Dichter zu nennen, Aeschylus, Sophokles, Euripides, Agathon, welthistorische
Erscheinungen, bedeutende, hochbegabte Männer, die theils die Vollkraft der
Poesie und ihre idealste Höhe repräsentirten, theils den Uebergang zu einer
neuen Zeit und den Verfall der Kunst wie der Sittlichkeit verkündigten, alle
aber durch ihre blitzartig zündenden Worte und bei dem regen Interesse, mit
dem sie aufgenommen wurden, den nachhaltigsten Einfluß ausübten. Das ist
ein würdiges Object für eine große Poesie. Sie bleibt, wie ihre Helden blei¬
ben; schon allein der Stoff reicht hin, sie zum bleibenden Eigenthum aller
Zeiten zu machen. Bei Platen haben wir allerdings verderbliche und darum
satirischer Geißelhiebe würdige, im Grunde aber doch nur ephemere, bald
überwundene Geister, eine Gesellschaft von Phantasten und poetischen Narren.
Darum können die Stücke schon in unserer Zeit nicht mehr in dem Grade
fesseln, wie vor noch nicht 60 Jahren, als sie erschienen. Freilich liegt das
auch mit daran, daß so wenig Wechsel und Mannigfaltigkeit in der Erfin¬
dung herrscht. Es wird immer nur die eine Tendenz verfolgt, die Schicksals¬
tragödie und die Romantik bloß zu stellen; mit so viel Kunst das nun
auch geschieht, es wird doch des Guten zu viel. Aristophanes ist auch gründ¬
lich, er hat den Euripides alle Augenblicke am Schöpfe und befaßt sich mit
ihm ganze Scenen, ja Stücke hindurch, und doch ermüdet er nie, sondern
bleibt immer frisch und pikant, weil er die Haupthandlung mit immer neuen
Momenten, fördernden sowohl als retardirenden. ausschmückt. Er hat eben
etwas vor Platen voraus, was alle Kunst und aller Fleiß nie zu ersetzen im
Stande ist, die wunderbare Schöpferkraft der Phantasie. Es ist un¬
glaublich, was er mit Hülfe dieser Göttergabe für Situationen hervorzaubert,
und mit welchen Gestalten er Himmel, Erde und Hölle, das Luftreich und
die Wassertiefe bevölkert. Oder wo gibt es größere Phantasiebilder als das
Wolkenkukuksheim der Vögel, den Ritt des Trygäus auf dem Riesen-Mist-
Käfer, die Reise des Bacchus hinab in die Tiefen der Unterwelt? Doch wir
stehen davon ab, weitere Belege davon anzuführen, sie geben doch nur ein
sehr unzureichendes Bild von dem Gedankenreichthum und der enormen Thä¬
tigkeit jenes großen Dichters, der das ganze Universum sammt allem, was
darin kreucht und fleugt, mit den Negenbogenschwingen seiner Phantasie


nachweisen, so lag es viel näher, auf die Haltung des Chores bei Platen auf¬
merksam zu machen. Doch hierauf kommen wir an einer späteren Stelle noch
zurück.

Während es also ganz Aristophaneisch von Platen ist, daß er verkehrte
Richtungen in der Literatur geißelt und zwar so, daß er sie in einzelne Per¬
sonen verkörpert, um an ihnen die Galle seines Unmuths auszulassen, so weicht
doch im Uebrigen das Verfahren beider Dichter wieder sehr von einander ab.
Bei Aristophanes sind die Helden, die uns vorgeführt werden, um nur einige
Dichter zu nennen, Aeschylus, Sophokles, Euripides, Agathon, welthistorische
Erscheinungen, bedeutende, hochbegabte Männer, die theils die Vollkraft der
Poesie und ihre idealste Höhe repräsentirten, theils den Uebergang zu einer
neuen Zeit und den Verfall der Kunst wie der Sittlichkeit verkündigten, alle
aber durch ihre blitzartig zündenden Worte und bei dem regen Interesse, mit
dem sie aufgenommen wurden, den nachhaltigsten Einfluß ausübten. Das ist
ein würdiges Object für eine große Poesie. Sie bleibt, wie ihre Helden blei¬
ben; schon allein der Stoff reicht hin, sie zum bleibenden Eigenthum aller
Zeiten zu machen. Bei Platen haben wir allerdings verderbliche und darum
satirischer Geißelhiebe würdige, im Grunde aber doch nur ephemere, bald
überwundene Geister, eine Gesellschaft von Phantasten und poetischen Narren.
Darum können die Stücke schon in unserer Zeit nicht mehr in dem Grade
fesseln, wie vor noch nicht 60 Jahren, als sie erschienen. Freilich liegt das
auch mit daran, daß so wenig Wechsel und Mannigfaltigkeit in der Erfin¬
dung herrscht. Es wird immer nur die eine Tendenz verfolgt, die Schicksals¬
tragödie und die Romantik bloß zu stellen; mit so viel Kunst das nun
auch geschieht, es wird doch des Guten zu viel. Aristophanes ist auch gründ¬
lich, er hat den Euripides alle Augenblicke am Schöpfe und befaßt sich mit
ihm ganze Scenen, ja Stücke hindurch, und doch ermüdet er nie, sondern
bleibt immer frisch und pikant, weil er die Haupthandlung mit immer neuen
Momenten, fördernden sowohl als retardirenden. ausschmückt. Er hat eben
etwas vor Platen voraus, was alle Kunst und aller Fleiß nie zu ersetzen im
Stande ist, die wunderbare Schöpferkraft der Phantasie. Es ist un¬
glaublich, was er mit Hülfe dieser Göttergabe für Situationen hervorzaubert,
und mit welchen Gestalten er Himmel, Erde und Hölle, das Luftreich und
die Wassertiefe bevölkert. Oder wo gibt es größere Phantasiebilder als das
Wolkenkukuksheim der Vögel, den Ritt des Trygäus auf dem Riesen-Mist-
Käfer, die Reise des Bacchus hinab in die Tiefen der Unterwelt? Doch wir
stehen davon ab, weitere Belege davon anzuführen, sie geben doch nur ein
sehr unzureichendes Bild von dem Gedankenreichthum und der enormen Thä¬
tigkeit jenes großen Dichters, der das ganze Universum sammt allem, was
darin kreucht und fleugt, mit den Negenbogenschwingen seiner Phantasie


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[0221] nachweisen, so lag es viel näher, auf die Haltung des Chores bei Platen auf¬ merksam zu machen. Doch hierauf kommen wir an einer späteren Stelle noch zurück. Während es also ganz Aristophaneisch von Platen ist, daß er verkehrte Richtungen in der Literatur geißelt und zwar so, daß er sie in einzelne Per¬ sonen verkörpert, um an ihnen die Galle seines Unmuths auszulassen, so weicht doch im Uebrigen das Verfahren beider Dichter wieder sehr von einander ab. Bei Aristophanes sind die Helden, die uns vorgeführt werden, um nur einige Dichter zu nennen, Aeschylus, Sophokles, Euripides, Agathon, welthistorische Erscheinungen, bedeutende, hochbegabte Männer, die theils die Vollkraft der Poesie und ihre idealste Höhe repräsentirten, theils den Uebergang zu einer neuen Zeit und den Verfall der Kunst wie der Sittlichkeit verkündigten, alle aber durch ihre blitzartig zündenden Worte und bei dem regen Interesse, mit dem sie aufgenommen wurden, den nachhaltigsten Einfluß ausübten. Das ist ein würdiges Object für eine große Poesie. Sie bleibt, wie ihre Helden blei¬ ben; schon allein der Stoff reicht hin, sie zum bleibenden Eigenthum aller Zeiten zu machen. Bei Platen haben wir allerdings verderbliche und darum satirischer Geißelhiebe würdige, im Grunde aber doch nur ephemere, bald überwundene Geister, eine Gesellschaft von Phantasten und poetischen Narren. Darum können die Stücke schon in unserer Zeit nicht mehr in dem Grade fesseln, wie vor noch nicht 60 Jahren, als sie erschienen. Freilich liegt das auch mit daran, daß so wenig Wechsel und Mannigfaltigkeit in der Erfin¬ dung herrscht. Es wird immer nur die eine Tendenz verfolgt, die Schicksals¬ tragödie und die Romantik bloß zu stellen; mit so viel Kunst das nun auch geschieht, es wird doch des Guten zu viel. Aristophanes ist auch gründ¬ lich, er hat den Euripides alle Augenblicke am Schöpfe und befaßt sich mit ihm ganze Scenen, ja Stücke hindurch, und doch ermüdet er nie, sondern bleibt immer frisch und pikant, weil er die Haupthandlung mit immer neuen Momenten, fördernden sowohl als retardirenden. ausschmückt. Er hat eben etwas vor Platen voraus, was alle Kunst und aller Fleiß nie zu ersetzen im Stande ist, die wunderbare Schöpferkraft der Phantasie. Es ist un¬ glaublich, was er mit Hülfe dieser Göttergabe für Situationen hervorzaubert, und mit welchen Gestalten er Himmel, Erde und Hölle, das Luftreich und die Wassertiefe bevölkert. Oder wo gibt es größere Phantasiebilder als das Wolkenkukuksheim der Vögel, den Ritt des Trygäus auf dem Riesen-Mist- Käfer, die Reise des Bacchus hinab in die Tiefen der Unterwelt? Doch wir stehen davon ab, weitere Belege davon anzuführen, sie geben doch nur ein sehr unzureichendes Bild von dem Gedankenreichthum und der enormen Thä¬ tigkeit jenes großen Dichters, der das ganze Universum sammt allem, was darin kreucht und fleugt, mit den Negenbogenschwingen seiner Phantasie

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_192802/221>, abgerufen am 06.02.2025.