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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band.

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ist weder der einzige, noch der erste, der gegen die Schicksalstragödie Front ge¬
macht hat, aber eben so wahr ist es, daß sein Angriff der bedeutendste und
folgenreichste ist. Nach Platen's Verhängnißvoller Gabel ist jeder der Mühe
überhoben, die Verkehrtheit der Schicksaltragödie nachzuweisen. Mit großem
Geschick greift Platen die Sache so an, daß er eine im Ganzen und Einzelnen
konsequent durchgeführte Parodie der Schicksalstragödie gibt. Er liefert ein
solches Monstrum so gut, wie es nur ein Müllner, ein Houwald hätte schrei¬
ben können. Das verrückte Schicksal wählt sich eine Gabel, ein unschuldiges
zweizackiges Ding zum Vollstrecker seines Willens. Durch die Gabel, auf der
ein alter Fluch ruht, fällt der Mann der Salome, fällt Phyllis mit ihren
zwölf Kindern, fällt endlich noch Mopsus. Sieht man von dem schicksals¬
tragischen Unsinn jenes Fluches ab, der die hirnverbrannteste Willkür ist. so
entwickelt sich das übrige alles in scheinbar stetiger Folge. Das Stück ist
eine getreue Copie von den Stücken derer, die es bekämpft, nur mit dem
Unterschiede, daß es nicht Ernst, sondern Scherz, nicht Tragödie, sondern
Komödie ist. Somit gibt es keine bloß negative Kritik, sondern ein po¬
sitives Resultat, es ist ein Lustspiel in Form einer Antitragödie. In diesem
Punkte weicht Platen nicht unbedeutend von Aristophanes ab. Bei diesem
ist eine streng gegliederte Handlung nur selten vorhanden; er reiht, wie es
ihm eben paßt, in lockerer Verbindung Scene an Scene, so jedoch, daß schlie߬
lich alles zusammen den Haupt- und Grundgedanken von den verschiedensten
Seiten her beleuchtet. Bei Platen dagegen ist alles berechnet, und ganz so,
wie es die Tendenz erfordert, in den äußern Rahmen eines Dramas einge¬
fügt. Dieser Unsinn in Regeln gebracht, diese Tollheit in der Zwangsjacke
des schicksalstragischen Verstandes hat etwas ungemein spaßhaftes und
Lächerliches.

Der Romantische Oedipus, die andere, 1827 und 1828 in Italien
geschriebene Aristophanische Komödie Platen's befaßt sich mit den Auswüchsen
der Romantik, den Spektakelstücken, dem Ungeheuerlichen und scheußlichen, dem
Unklaren, Matten und Formlosen in der deutschen Literatur, so daß man versteht, wie
Gödeke hat behaupten können, es sei ein begeisterter Vertheidigungskampf pro
ari8 se locis der Poesie selbst gewesen. Und hier wie dort derselbe kunstvolle
Bau, derselbe überaus komische Januskopf der Tragi-Komödie. Man denke
an das Stück im Stücke, den Nimmermann'schen Oedipus. Seiner Anlage nach
ist derselbe zunächst wieder ein Hieb auf die Schicksalstragödie, da die Fleder¬
maus die ganze Aktion macht, allein die widerlichen Scenen, die darin spielen,
die abgeschmackten Liebesverhältnisse, die Gift- und Mordgeschichten, das sind
Dinge, durch deren Vorführung er die Romantiker, wie er sie nennt, die
Immermann, Houwald, Fouqui, Raupach, Kind, Kotzebue u. A. schonungs¬
los geißelt. An den Stücken Houwald's und seiner Genossen, sagt ein neuerer


ist weder der einzige, noch der erste, der gegen die Schicksalstragödie Front ge¬
macht hat, aber eben so wahr ist es, daß sein Angriff der bedeutendste und
folgenreichste ist. Nach Platen's Verhängnißvoller Gabel ist jeder der Mühe
überhoben, die Verkehrtheit der Schicksaltragödie nachzuweisen. Mit großem
Geschick greift Platen die Sache so an, daß er eine im Ganzen und Einzelnen
konsequent durchgeführte Parodie der Schicksalstragödie gibt. Er liefert ein
solches Monstrum so gut, wie es nur ein Müllner, ein Houwald hätte schrei¬
ben können. Das verrückte Schicksal wählt sich eine Gabel, ein unschuldiges
zweizackiges Ding zum Vollstrecker seines Willens. Durch die Gabel, auf der
ein alter Fluch ruht, fällt der Mann der Salome, fällt Phyllis mit ihren
zwölf Kindern, fällt endlich noch Mopsus. Sieht man von dem schicksals¬
tragischen Unsinn jenes Fluches ab, der die hirnverbrannteste Willkür ist. so
entwickelt sich das übrige alles in scheinbar stetiger Folge. Das Stück ist
eine getreue Copie von den Stücken derer, die es bekämpft, nur mit dem
Unterschiede, daß es nicht Ernst, sondern Scherz, nicht Tragödie, sondern
Komödie ist. Somit gibt es keine bloß negative Kritik, sondern ein po¬
sitives Resultat, es ist ein Lustspiel in Form einer Antitragödie. In diesem
Punkte weicht Platen nicht unbedeutend von Aristophanes ab. Bei diesem
ist eine streng gegliederte Handlung nur selten vorhanden; er reiht, wie es
ihm eben paßt, in lockerer Verbindung Scene an Scene, so jedoch, daß schlie߬
lich alles zusammen den Haupt- und Grundgedanken von den verschiedensten
Seiten her beleuchtet. Bei Platen dagegen ist alles berechnet, und ganz so,
wie es die Tendenz erfordert, in den äußern Rahmen eines Dramas einge¬
fügt. Dieser Unsinn in Regeln gebracht, diese Tollheit in der Zwangsjacke
des schicksalstragischen Verstandes hat etwas ungemein spaßhaftes und
Lächerliches.

Der Romantische Oedipus, die andere, 1827 und 1828 in Italien
geschriebene Aristophanische Komödie Platen's befaßt sich mit den Auswüchsen
der Romantik, den Spektakelstücken, dem Ungeheuerlichen und scheußlichen, dem
Unklaren, Matten und Formlosen in der deutschen Literatur, so daß man versteht, wie
Gödeke hat behaupten können, es sei ein begeisterter Vertheidigungskampf pro
ari8 se locis der Poesie selbst gewesen. Und hier wie dort derselbe kunstvolle
Bau, derselbe überaus komische Januskopf der Tragi-Komödie. Man denke
an das Stück im Stücke, den Nimmermann'schen Oedipus. Seiner Anlage nach
ist derselbe zunächst wieder ein Hieb auf die Schicksalstragödie, da die Fleder¬
maus die ganze Aktion macht, allein die widerlichen Scenen, die darin spielen,
die abgeschmackten Liebesverhältnisse, die Gift- und Mordgeschichten, das sind
Dinge, durch deren Vorführung er die Romantiker, wie er sie nennt, die
Immermann, Houwald, Fouqui, Raupach, Kind, Kotzebue u. A. schonungs¬
los geißelt. An den Stücken Houwald's und seiner Genossen, sagt ein neuerer


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_192802/218>, abgerufen am 06.02.2025.