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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band.

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und Ideale und bei seinem warmen Herzen und regen Gefühl völlig ver¬
fehlte Charakteristik.

Auch einige pädagogische Winke hat Platen gegeben, und gegen sie läßt
sich nichts einwenden. Er eifert namentlich wider Frühreife und forcirte Er¬
ziehung. Der Wunderknabe Karl Witte muß zu diesem Zwecke wiederholt als
abschreckendes Beispiel dienen. Indeß, während bei Aristophanes auch solche
Scenen, die Gegenstände des Unterrichts und der Erziehung behandeln, mit
echt attischem Salze gewürzt sind, -- die Wolken können es bezeugen --, so
ist in den entsprechenden Platen'schen Bemerkungen wenig Witz zu verspüren.

Wenn nun aber die deutsche Komödie weder politisch noch social ist, wenn
sie weder in Beurtheilung der Gesellschaft noch in Behandlung philosophischer,
pädagogischer oder sonst wie allgemein fesselnder Fragen Hervorragendes leistet,
worin liegt denn eigentlich ihre Stärke? In der Kritik der Poesie.

Auch beim Aristophanes ist das öffentliche Leben nicht der einzige Tum¬
melplatz der Komik, die Literatur seines Volkes hat ihm gleichfalls Stoff, und
nicht den unwillkommensten, geliefert. Poeten aus allen Jahrhunderten, vor¬
nehmlich aber die Zeitgenossen, werden gemustert und je nachdem sie dem Ko¬
miker zusagen oder mißfallen, in sinniger Weise anerkannt oder aber erbärm¬
lich zugerichtet. Solche literarische oder genauer literarisch-ästhetische Partien
finden sich überall, nirgends aber mehr als in den Acharnern, den Thesmo-
phoriazusen und den Fröschen. In diesen drei Tragödien ist es Euripides,
der bluten muß. In den Acharnern werden uns seine Tragödien als aus
Lumpen und Fetzen bestehend vorgeführt und seine Helden als Lahme, Blinde
und Krüppel; in den Thesmophoriazusen findet sich eine glänzende Reproduktion
der Andromeda des Euripides, sowie eine raffinirte Verhöhnung selner Senti¬
mentalität und seines Weiberhasses; in den Fröschen endlich wird über seine
ganze geschwätzige, bombastische, phrasenhafte und charakterlose Poesie mit
eindringendem Verständniß und scharfer Kritik das Todtengericht gehalten und
der Stab gebrochen. So steht Euripides im Mittelpunkt des literarischen
Theiles der Aristophaneischen Komödie, aber neben ihm kommen noch viele
andere, große und kleine, epische, dramatische und lyrische Dichter in Betracht;
Kunstrichter von Profession gab es damals nicht, ihre Rolle spielt, natürlich
immer als Komiker, Aristophanes. Das ist die Richtung der attischen Ko¬
mödie, auf deren Nachahmung sich Platen verlegt hat. Sehen wir zu, mit
welchem Erfolge.

In dem ersten seiner polemischen Stücke, der im Jahre 1826 geschrie¬
benen "Verhängnisvollen Gabel" stellt sich der Dichter die Aufgabe,
die Schicksalstragödie, die damals in Blüthe stand, lächerlich zu machen. Die
Werner. Müllner, Houwald, Grillparzer u. s. w. waren damals gefeierte Dichter.
Stücke wie die Schuld, der 24. Februar, die Ahnfrau, wurden gierig ver-


und Ideale und bei seinem warmen Herzen und regen Gefühl völlig ver¬
fehlte Charakteristik.

Auch einige pädagogische Winke hat Platen gegeben, und gegen sie läßt
sich nichts einwenden. Er eifert namentlich wider Frühreife und forcirte Er¬
ziehung. Der Wunderknabe Karl Witte muß zu diesem Zwecke wiederholt als
abschreckendes Beispiel dienen. Indeß, während bei Aristophanes auch solche
Scenen, die Gegenstände des Unterrichts und der Erziehung behandeln, mit
echt attischem Salze gewürzt sind, — die Wolken können es bezeugen —, so
ist in den entsprechenden Platen'schen Bemerkungen wenig Witz zu verspüren.

Wenn nun aber die deutsche Komödie weder politisch noch social ist, wenn
sie weder in Beurtheilung der Gesellschaft noch in Behandlung philosophischer,
pädagogischer oder sonst wie allgemein fesselnder Fragen Hervorragendes leistet,
worin liegt denn eigentlich ihre Stärke? In der Kritik der Poesie.

Auch beim Aristophanes ist das öffentliche Leben nicht der einzige Tum¬
melplatz der Komik, die Literatur seines Volkes hat ihm gleichfalls Stoff, und
nicht den unwillkommensten, geliefert. Poeten aus allen Jahrhunderten, vor¬
nehmlich aber die Zeitgenossen, werden gemustert und je nachdem sie dem Ko¬
miker zusagen oder mißfallen, in sinniger Weise anerkannt oder aber erbärm¬
lich zugerichtet. Solche literarische oder genauer literarisch-ästhetische Partien
finden sich überall, nirgends aber mehr als in den Acharnern, den Thesmo-
phoriazusen und den Fröschen. In diesen drei Tragödien ist es Euripides,
der bluten muß. In den Acharnern werden uns seine Tragödien als aus
Lumpen und Fetzen bestehend vorgeführt und seine Helden als Lahme, Blinde
und Krüppel; in den Thesmophoriazusen findet sich eine glänzende Reproduktion
der Andromeda des Euripides, sowie eine raffinirte Verhöhnung selner Senti¬
mentalität und seines Weiberhasses; in den Fröschen endlich wird über seine
ganze geschwätzige, bombastische, phrasenhafte und charakterlose Poesie mit
eindringendem Verständniß und scharfer Kritik das Todtengericht gehalten und
der Stab gebrochen. So steht Euripides im Mittelpunkt des literarischen
Theiles der Aristophaneischen Komödie, aber neben ihm kommen noch viele
andere, große und kleine, epische, dramatische und lyrische Dichter in Betracht;
Kunstrichter von Profession gab es damals nicht, ihre Rolle spielt, natürlich
immer als Komiker, Aristophanes. Das ist die Richtung der attischen Ko¬
mödie, auf deren Nachahmung sich Platen verlegt hat. Sehen wir zu, mit
welchem Erfolge.

In dem ersten seiner polemischen Stücke, der im Jahre 1826 geschrie¬
benen „Verhängnisvollen Gabel" stellt sich der Dichter die Aufgabe,
die Schicksalstragödie, die damals in Blüthe stand, lächerlich zu machen. Die
Werner. Müllner, Houwald, Grillparzer u. s. w. waren damals gefeierte Dichter.
Stücke wie die Schuld, der 24. Februar, die Ahnfrau, wurden gierig ver-


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[0216] und Ideale und bei seinem warmen Herzen und regen Gefühl völlig ver¬ fehlte Charakteristik. Auch einige pädagogische Winke hat Platen gegeben, und gegen sie läßt sich nichts einwenden. Er eifert namentlich wider Frühreife und forcirte Er¬ ziehung. Der Wunderknabe Karl Witte muß zu diesem Zwecke wiederholt als abschreckendes Beispiel dienen. Indeß, während bei Aristophanes auch solche Scenen, die Gegenstände des Unterrichts und der Erziehung behandeln, mit echt attischem Salze gewürzt sind, — die Wolken können es bezeugen —, so ist in den entsprechenden Platen'schen Bemerkungen wenig Witz zu verspüren. Wenn nun aber die deutsche Komödie weder politisch noch social ist, wenn sie weder in Beurtheilung der Gesellschaft noch in Behandlung philosophischer, pädagogischer oder sonst wie allgemein fesselnder Fragen Hervorragendes leistet, worin liegt denn eigentlich ihre Stärke? In der Kritik der Poesie. Auch beim Aristophanes ist das öffentliche Leben nicht der einzige Tum¬ melplatz der Komik, die Literatur seines Volkes hat ihm gleichfalls Stoff, und nicht den unwillkommensten, geliefert. Poeten aus allen Jahrhunderten, vor¬ nehmlich aber die Zeitgenossen, werden gemustert und je nachdem sie dem Ko¬ miker zusagen oder mißfallen, in sinniger Weise anerkannt oder aber erbärm¬ lich zugerichtet. Solche literarische oder genauer literarisch-ästhetische Partien finden sich überall, nirgends aber mehr als in den Acharnern, den Thesmo- phoriazusen und den Fröschen. In diesen drei Tragödien ist es Euripides, der bluten muß. In den Acharnern werden uns seine Tragödien als aus Lumpen und Fetzen bestehend vorgeführt und seine Helden als Lahme, Blinde und Krüppel; in den Thesmophoriazusen findet sich eine glänzende Reproduktion der Andromeda des Euripides, sowie eine raffinirte Verhöhnung selner Senti¬ mentalität und seines Weiberhasses; in den Fröschen endlich wird über seine ganze geschwätzige, bombastische, phrasenhafte und charakterlose Poesie mit eindringendem Verständniß und scharfer Kritik das Todtengericht gehalten und der Stab gebrochen. So steht Euripides im Mittelpunkt des literarischen Theiles der Aristophaneischen Komödie, aber neben ihm kommen noch viele andere, große und kleine, epische, dramatische und lyrische Dichter in Betracht; Kunstrichter von Profession gab es damals nicht, ihre Rolle spielt, natürlich immer als Komiker, Aristophanes. Das ist die Richtung der attischen Ko¬ mödie, auf deren Nachahmung sich Platen verlegt hat. Sehen wir zu, mit welchem Erfolge. In dem ersten seiner polemischen Stücke, der im Jahre 1826 geschrie¬ benen „Verhängnisvollen Gabel" stellt sich der Dichter die Aufgabe, die Schicksalstragödie, die damals in Blüthe stand, lächerlich zu machen. Die Werner. Müllner, Houwald, Grillparzer u. s. w. waren damals gefeierte Dichter. Stücke wie die Schuld, der 24. Februar, die Ahnfrau, wurden gierig ver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_192802/216>, abgerufen am 06.02.2025.