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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band.

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und mag. Das wäre eine triftige Entschuldigung gewesen, wenn es deren be¬
durft hätte; Platen streift sie eigentlich auch, wenn er am Ende des citirten
Briefes sagt: "In Deutschland findet sich, da alles Oeffentliche und Politische
ausgeschlossen bleiben muß, weiter kein Stoff für die wahre Komödie, als der
literarische"; mit jener Aeußerung dagegen steht er sich selber ganz unnöthiger
Weise im Lichte.

Neuerdings hat Buchwald in seinen "Kleinen Bausteinen" auch noch auf
einen dritten Umstand aufmerksam gemacht, der das Zustandekommen einer
politischen Komödie in unseren Tagen verhindern soll. Er meint, die Schnel¬
ligkeit, mit welcher die Presse die politischen Ereignisse nicht bloß berichte,
sondern auch nach allen Seiten hin beleuchte, die Schlagfertigkeit. mit welcher
politische Thorheiten fast unmittelbar nach ihrem Verlauten durchgehechelt
würden, machten es in den meisten Fällen selbst dem gewandtesten Komödien-
dichter zur Unmöglichkeit, mit seinem Werke zur rechten Zeit aus dem Platze
zu erscheinen. Diese Worte haben auf den ersten Anblick viel für sich, sieht
man aber näher zu, so dürften sie sich schwerlich als stichhaltig erweisen. Die
ungeheuere Publicität der Presse ist an sich so wenig dem Aufblühen einer
politischen Komödie hinderlich, daß sie ihr vielmehr fördernd entgegenkommt.
Was in Athen der kleine Umfang des Staates ermöglichte, daß ein Jeder,
der die Lustspiele aufführen sah, seine Helden kannte und alle Anspielungen
verstand, das muß bei der größeren Ausdehnung der heutigen Staaten die
Universalität der Zeitungen leisten. Denn es ist für die Komödie hohen
Stils die umfassendste Bekanntschaft mit öffentlichen Vorgängen auf Seiten
des Publikums eine eben so unerläßliche Bedingung, wie für humoristisch-
satirische Wochenblätter. Wenn aber weiter gesagt wird, eine Dichtung von
der Gediegenheit einer Aristophanischen Komödie könne dem Verlauf der
Begebenheiten nicht so schnell folgen, als es nöthig sei, damit sie nicht schal
und abgestanden erscheine, so denke man an die staunenswerthe Productions-
kraft eines Aristophanes, der jährlich eine, auch zwei Komödien zu schreiben
im Stande war, und an sein allezeit originelles Genie, das jedem Thema,
auch dem vielbesprochenen und scheinbar erschöpften ein durch den Reiz der
Neuheit und durch künstlerische Vollendung fesselndes Gepräge gab, und man
wird zu dem Schluße kommen, daß nicht die rapide Verbreitung und augen¬
blicklich erfolgende Besprechung öffentlicher Dinge daran Schuld ist, wenn bei
uns keine Aristophanische Dichtung aufkommt, sondern daß man die Gründe
hierfür in der besondern Verfassung der modernen Staaten, in der Abwen¬
dung des Publikums vom öffentlichen Leben und schließlich und vor allem
darin zu suchen hat, daß noch kein zweiter Aristophanes erstanden ist.

Politisch also ist die Platen'sche Komödie nicht; weil sie es aber garnicht


und mag. Das wäre eine triftige Entschuldigung gewesen, wenn es deren be¬
durft hätte; Platen streift sie eigentlich auch, wenn er am Ende des citirten
Briefes sagt: „In Deutschland findet sich, da alles Oeffentliche und Politische
ausgeschlossen bleiben muß, weiter kein Stoff für die wahre Komödie, als der
literarische"; mit jener Aeußerung dagegen steht er sich selber ganz unnöthiger
Weise im Lichte.

Neuerdings hat Buchwald in seinen „Kleinen Bausteinen" auch noch auf
einen dritten Umstand aufmerksam gemacht, der das Zustandekommen einer
politischen Komödie in unseren Tagen verhindern soll. Er meint, die Schnel¬
ligkeit, mit welcher die Presse die politischen Ereignisse nicht bloß berichte,
sondern auch nach allen Seiten hin beleuchte, die Schlagfertigkeit. mit welcher
politische Thorheiten fast unmittelbar nach ihrem Verlauten durchgehechelt
würden, machten es in den meisten Fällen selbst dem gewandtesten Komödien-
dichter zur Unmöglichkeit, mit seinem Werke zur rechten Zeit aus dem Platze
zu erscheinen. Diese Worte haben auf den ersten Anblick viel für sich, sieht
man aber näher zu, so dürften sie sich schwerlich als stichhaltig erweisen. Die
ungeheuere Publicität der Presse ist an sich so wenig dem Aufblühen einer
politischen Komödie hinderlich, daß sie ihr vielmehr fördernd entgegenkommt.
Was in Athen der kleine Umfang des Staates ermöglichte, daß ein Jeder,
der die Lustspiele aufführen sah, seine Helden kannte und alle Anspielungen
verstand, das muß bei der größeren Ausdehnung der heutigen Staaten die
Universalität der Zeitungen leisten. Denn es ist für die Komödie hohen
Stils die umfassendste Bekanntschaft mit öffentlichen Vorgängen auf Seiten
des Publikums eine eben so unerläßliche Bedingung, wie für humoristisch-
satirische Wochenblätter. Wenn aber weiter gesagt wird, eine Dichtung von
der Gediegenheit einer Aristophanischen Komödie könne dem Verlauf der
Begebenheiten nicht so schnell folgen, als es nöthig sei, damit sie nicht schal
und abgestanden erscheine, so denke man an die staunenswerthe Productions-
kraft eines Aristophanes, der jährlich eine, auch zwei Komödien zu schreiben
im Stande war, und an sein allezeit originelles Genie, das jedem Thema,
auch dem vielbesprochenen und scheinbar erschöpften ein durch den Reiz der
Neuheit und durch künstlerische Vollendung fesselndes Gepräge gab, und man
wird zu dem Schluße kommen, daß nicht die rapide Verbreitung und augen¬
blicklich erfolgende Besprechung öffentlicher Dinge daran Schuld ist, wenn bei
uns keine Aristophanische Dichtung aufkommt, sondern daß man die Gründe
hierfür in der besondern Verfassung der modernen Staaten, in der Abwen¬
dung des Publikums vom öffentlichen Leben und schließlich und vor allem
darin zu suchen hat, daß noch kein zweiter Aristophanes erstanden ist.

Politisch also ist die Platen'sche Komödie nicht; weil sie es aber garnicht


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_192802/213>, abgerufen am 06.02.2025.