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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band.

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Nur so erklärt sich die Kühnheit, mit welcher der Dichter allen Gefahren zum
Trotz seine Ansichten ausspricht, nur so auch die triumphirende Heiterkeit in
dem Vernichtungskampfe'selbst gegen die schrecklichste Entartung.

Der Platen'schen Komödie muß dagegen jeder politische Charakter abge¬
sprochen werden. Vorgänge und Verhältnisse des öffentlichen Lebens, Schäden
und Schwächen am Staatskörper, Freuden und Leiden des Volkes, und was
sonst noch aus der großen Welt einen patriotischen Dichter zu warnender,
strafender oder tobender Rede veranlassen könnte, Platen sieht von dem allen
in seinen Stücken völlig ab, man müßte denn einige unbedeutende Seiten¬
hiebe hierherziehen wollen, in denen er Fürsten seiner Zeit bald als Tyrannen
bald als flache Köpfe verspottet. Somit fehlt der Platen'schen Komödie der
innerste Kern der Aristophaneischen Dichtung, die Politik und das öffentliche
Leben. Platen selber ist sich dessen wol bewußt gewesen, er unterließ es mit
Absicht, satirisch-polemische Gedichte im hohen Stile des Aristophanes zu schrei¬
ben. In der Parabase des IV. Aktes der Vers. Gabel läßt er den Chorus
von sich sagen:


Mag er wissen, was vom deutschen Schaugerüst man sich verspricht,
Wie es steht in deutschen Landen, frage man Poeten nicht!
Einem spätern Meister überläßt er die berühmte That,
Volk und Mächtige zu geißeln, ein gefürchtet Haube im Staat.

Und bald darauf schreibt er an G. Schwab die bezeichnenden Worte:
"Im Politischen bin ich vorsichtig gewesen, und habe nichts gesagt, was sich
nicht jede Zeitung erlaubt; dieß geschah, um mir nicht den Weg nach Italien
zu versperren, wohin ich so sehr trachte." Es ist das ein merkwürdiges Ge¬
ständnis; ! Wie muß sich hier der kühne Meister seines allzu vorsichtigen Jün¬
gers schämen! Aristophanes ringt mit dem mächtigsten Manne des Staates,
weil er ihn für einen Schurken hält, setzt sich hochnothpeinlichen Processen,
ja Prügeln aus und sagt doch immer wieder mit kühnem Muthe die Wahr¬
heit im Interesse der gemeinen Wohlfahrt, und Platen schweigt, er sagt es
ja selber, aus einem rein persönlichen Grunde, er schweigt, um sich nicht den
Weg nach Italien zu versperren. Was sollen da noch die stolzen Worte, die
er den obigen hinzufügt: "Ich habe nichts geschrieben als die reine Wahrheit,
wie könnt' ich sonst schreiben, wie ich schreibe?" Gewiß athmet jede Zeile in
Platen's Komödien Wahrheit, aber es ist doch eine sehr kluge, sehr bedächtige
Wahrheit. Platen hätte gut gethan, von dem unpolitischen Charakter seiner
Dichtungen zu schweigen; wollte er ihn aber doch erwähnen und entschuldigen,
so brauchte er ja nur zu sagen: von Politik schweige ich, weil das moderne
Publikum, was Sinn und Verständniß für dieselbe betrifft, nicht entfernt mit
dem alten zu vergleichen ist, und dann, weil der moderne Staat nicht in gleicher
Weise wie die Demokratie der Athener absolute Redefreiheit gewähren kann


Nur so erklärt sich die Kühnheit, mit welcher der Dichter allen Gefahren zum
Trotz seine Ansichten ausspricht, nur so auch die triumphirende Heiterkeit in
dem Vernichtungskampfe'selbst gegen die schrecklichste Entartung.

Der Platen'schen Komödie muß dagegen jeder politische Charakter abge¬
sprochen werden. Vorgänge und Verhältnisse des öffentlichen Lebens, Schäden
und Schwächen am Staatskörper, Freuden und Leiden des Volkes, und was
sonst noch aus der großen Welt einen patriotischen Dichter zu warnender,
strafender oder tobender Rede veranlassen könnte, Platen sieht von dem allen
in seinen Stücken völlig ab, man müßte denn einige unbedeutende Seiten¬
hiebe hierherziehen wollen, in denen er Fürsten seiner Zeit bald als Tyrannen
bald als flache Köpfe verspottet. Somit fehlt der Platen'schen Komödie der
innerste Kern der Aristophaneischen Dichtung, die Politik und das öffentliche
Leben. Platen selber ist sich dessen wol bewußt gewesen, er unterließ es mit
Absicht, satirisch-polemische Gedichte im hohen Stile des Aristophanes zu schrei¬
ben. In der Parabase des IV. Aktes der Vers. Gabel läßt er den Chorus
von sich sagen:


Mag er wissen, was vom deutschen Schaugerüst man sich verspricht,
Wie es steht in deutschen Landen, frage man Poeten nicht!
Einem spätern Meister überläßt er die berühmte That,
Volk und Mächtige zu geißeln, ein gefürchtet Haube im Staat.

Und bald darauf schreibt er an G. Schwab die bezeichnenden Worte:
„Im Politischen bin ich vorsichtig gewesen, und habe nichts gesagt, was sich
nicht jede Zeitung erlaubt; dieß geschah, um mir nicht den Weg nach Italien
zu versperren, wohin ich so sehr trachte." Es ist das ein merkwürdiges Ge¬
ständnis; ! Wie muß sich hier der kühne Meister seines allzu vorsichtigen Jün¬
gers schämen! Aristophanes ringt mit dem mächtigsten Manne des Staates,
weil er ihn für einen Schurken hält, setzt sich hochnothpeinlichen Processen,
ja Prügeln aus und sagt doch immer wieder mit kühnem Muthe die Wahr¬
heit im Interesse der gemeinen Wohlfahrt, und Platen schweigt, er sagt es
ja selber, aus einem rein persönlichen Grunde, er schweigt, um sich nicht den
Weg nach Italien zu versperren. Was sollen da noch die stolzen Worte, die
er den obigen hinzufügt: „Ich habe nichts geschrieben als die reine Wahrheit,
wie könnt' ich sonst schreiben, wie ich schreibe?" Gewiß athmet jede Zeile in
Platen's Komödien Wahrheit, aber es ist doch eine sehr kluge, sehr bedächtige
Wahrheit. Platen hätte gut gethan, von dem unpolitischen Charakter seiner
Dichtungen zu schweigen; wollte er ihn aber doch erwähnen und entschuldigen,
so brauchte er ja nur zu sagen: von Politik schweige ich, weil das moderne
Publikum, was Sinn und Verständniß für dieselbe betrifft, nicht entfernt mit
dem alten zu vergleichen ist, und dann, weil der moderne Staat nicht in gleicher
Weise wie die Demokratie der Athener absolute Redefreiheit gewähren kann


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_192802/212>, abgerufen am 06.02.2025.