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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band.

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Der Verfasser glaubt nicht, daß man im Ganzen von einer abnehmenden
Sittlichkeit der Dienstboten zu sprechen berechtigt sei, gibt aber zu, daß neuer¬
dings die Pietät vor der Dienstherrschaft und das Vertrauen zu derselben,
welches früher das Gesinde vortheilhaft ausgezeichnet habe, mehr und mehr
verschwunden sei (vielleicht zum Theil in Folge des häufigen und raschen
Dienstwechsels). Indessen schiebt er die Schuld daran zum nicht geringen
Theil den herrschenden Classen selbst zu, welche nach seiner Ansicht es nicht
verstehen sollen, für die geistige und sittliche Ausbildung der niedrigen Be¬
völkerung zu sorgen und derselben mit wahrer Liebe sich anzunehmen. Zu
weit geht v. d. Goltz aber entschieden, wenn er die zunehmende Putz- und
Verschwendungssucht der Dienstboten, namentlich der weiblichen, zu beschöni¬
gen sucht, und sich zu der Behauptung versteigt, daß in der gesammten arbei¬
tenden Classe nicht nur die Fähigkeit, sondern auch die Neigung zum Sparen
zugenommen habe. Und eine rein socialistische Anschauung ist es, wenn er
daran erinnert, daß die Richtung der Jetztzeit nach einer gewissen Ausgleichung
der Ständeunterschiede strebe, und man sich vernünftiger Weise deshalb gar
nicht darüber beklagen dürfe, wenn die Dienstmädchen den Kleiderluxus ihrer
Herrschaften nachzuahmen anfangen (!).

Als die zukünftigen Aufgaben, welche auf dem Gebiete des Gesinde-
Wesens zu lösen sein werden, erachtet der Verfasser in erster Linie, die Dienst¬
boten so zu erziehen, daß sie ihrem künftigen Kreise als Familienväter oder
als Hausfrauen in genügender und würdiger Weise vorzustehen vermögen.
Die Hauptschwierigkeit, welche der Erreichung dieser Aufgabe sich entgegen¬
stellen wird, nämlich die mangelnde Neigung des Gesindes, sich erziehen zu
lassen, erkennt freilich auch der Verfasser an. Er zeigt überall zwar für die
Pflichten der Dienstherrschaften ein scharfes Auge, dagegen nicht wenig Nei¬
gung, den Dienstboten gleiche Rechte mit den Dienstherrschaften zuzusprechen,
und er sucht seine Darstellung damit zu rechtfertigen, daß er das zu erstre¬
bende Ziel ohne Rücksicht darauf, ob dasselbe völlig erreicht werden könne,
vorführe und daß die von ihm vertheidigten Forderungen nur die Anwen-
dung allgemeiner sittlicher und christlicher Grundsätze auf ein ganz specielles
Gebiet enthielten, auch seine Vorschläge nur den schlimmsten Uebelständen
Abhülfe gewährten. In Betreff der Regelung des rechtlichen Verhältnisses
zwischen Herrschaft und Dienstboten hält der Verfasser es mit Recht in den
thatsächlichen Zuständen begründet, wenn das Gesetz von der Auffassung aus¬
geht, daß das gegenseitige Verhältniß zwischen Gesinde und Dienstherrschaft
ein engeres sei, als zwischen anderen Arbeitnehmern und Arbeitgebern. Er
erkennt demgemäß die Berechtigung des Erlasses besonderer Gesindeordnungen an.

Der Borschlag, die Schlichtung der Streitigkeiten zwischen Gesinde und
Herrschaft später den zu errichtenden Schiedsgerichten und Einigungsämtern


Der Verfasser glaubt nicht, daß man im Ganzen von einer abnehmenden
Sittlichkeit der Dienstboten zu sprechen berechtigt sei, gibt aber zu, daß neuer¬
dings die Pietät vor der Dienstherrschaft und das Vertrauen zu derselben,
welches früher das Gesinde vortheilhaft ausgezeichnet habe, mehr und mehr
verschwunden sei (vielleicht zum Theil in Folge des häufigen und raschen
Dienstwechsels). Indessen schiebt er die Schuld daran zum nicht geringen
Theil den herrschenden Classen selbst zu, welche nach seiner Ansicht es nicht
verstehen sollen, für die geistige und sittliche Ausbildung der niedrigen Be¬
völkerung zu sorgen und derselben mit wahrer Liebe sich anzunehmen. Zu
weit geht v. d. Goltz aber entschieden, wenn er die zunehmende Putz- und
Verschwendungssucht der Dienstboten, namentlich der weiblichen, zu beschöni¬
gen sucht, und sich zu der Behauptung versteigt, daß in der gesammten arbei¬
tenden Classe nicht nur die Fähigkeit, sondern auch die Neigung zum Sparen
zugenommen habe. Und eine rein socialistische Anschauung ist es, wenn er
daran erinnert, daß die Richtung der Jetztzeit nach einer gewissen Ausgleichung
der Ständeunterschiede strebe, und man sich vernünftiger Weise deshalb gar
nicht darüber beklagen dürfe, wenn die Dienstmädchen den Kleiderluxus ihrer
Herrschaften nachzuahmen anfangen (!).

Als die zukünftigen Aufgaben, welche auf dem Gebiete des Gesinde-
Wesens zu lösen sein werden, erachtet der Verfasser in erster Linie, die Dienst¬
boten so zu erziehen, daß sie ihrem künftigen Kreise als Familienväter oder
als Hausfrauen in genügender und würdiger Weise vorzustehen vermögen.
Die Hauptschwierigkeit, welche der Erreichung dieser Aufgabe sich entgegen¬
stellen wird, nämlich die mangelnde Neigung des Gesindes, sich erziehen zu
lassen, erkennt freilich auch der Verfasser an. Er zeigt überall zwar für die
Pflichten der Dienstherrschaften ein scharfes Auge, dagegen nicht wenig Nei¬
gung, den Dienstboten gleiche Rechte mit den Dienstherrschaften zuzusprechen,
und er sucht seine Darstellung damit zu rechtfertigen, daß er das zu erstre¬
bende Ziel ohne Rücksicht darauf, ob dasselbe völlig erreicht werden könne,
vorführe und daß die von ihm vertheidigten Forderungen nur die Anwen-
dung allgemeiner sittlicher und christlicher Grundsätze auf ein ganz specielles
Gebiet enthielten, auch seine Vorschläge nur den schlimmsten Uebelständen
Abhülfe gewährten. In Betreff der Regelung des rechtlichen Verhältnisses
zwischen Herrschaft und Dienstboten hält der Verfasser es mit Recht in den
thatsächlichen Zuständen begründet, wenn das Gesetz von der Auffassung aus¬
geht, daß das gegenseitige Verhältniß zwischen Gesinde und Dienstherrschaft
ein engeres sei, als zwischen anderen Arbeitnehmern und Arbeitgebern. Er
erkennt demgemäß die Berechtigung des Erlasses besonderer Gesindeordnungen an.

Der Borschlag, die Schlichtung der Streitigkeiten zwischen Gesinde und
Herrschaft später den zu errichtenden Schiedsgerichten und Einigungsämtern


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[0206] Der Verfasser glaubt nicht, daß man im Ganzen von einer abnehmenden Sittlichkeit der Dienstboten zu sprechen berechtigt sei, gibt aber zu, daß neuer¬ dings die Pietät vor der Dienstherrschaft und das Vertrauen zu derselben, welches früher das Gesinde vortheilhaft ausgezeichnet habe, mehr und mehr verschwunden sei (vielleicht zum Theil in Folge des häufigen und raschen Dienstwechsels). Indessen schiebt er die Schuld daran zum nicht geringen Theil den herrschenden Classen selbst zu, welche nach seiner Ansicht es nicht verstehen sollen, für die geistige und sittliche Ausbildung der niedrigen Be¬ völkerung zu sorgen und derselben mit wahrer Liebe sich anzunehmen. Zu weit geht v. d. Goltz aber entschieden, wenn er die zunehmende Putz- und Verschwendungssucht der Dienstboten, namentlich der weiblichen, zu beschöni¬ gen sucht, und sich zu der Behauptung versteigt, daß in der gesammten arbei¬ tenden Classe nicht nur die Fähigkeit, sondern auch die Neigung zum Sparen zugenommen habe. Und eine rein socialistische Anschauung ist es, wenn er daran erinnert, daß die Richtung der Jetztzeit nach einer gewissen Ausgleichung der Ständeunterschiede strebe, und man sich vernünftiger Weise deshalb gar nicht darüber beklagen dürfe, wenn die Dienstmädchen den Kleiderluxus ihrer Herrschaften nachzuahmen anfangen (!). Als die zukünftigen Aufgaben, welche auf dem Gebiete des Gesinde- Wesens zu lösen sein werden, erachtet der Verfasser in erster Linie, die Dienst¬ boten so zu erziehen, daß sie ihrem künftigen Kreise als Familienväter oder als Hausfrauen in genügender und würdiger Weise vorzustehen vermögen. Die Hauptschwierigkeit, welche der Erreichung dieser Aufgabe sich entgegen¬ stellen wird, nämlich die mangelnde Neigung des Gesindes, sich erziehen zu lassen, erkennt freilich auch der Verfasser an. Er zeigt überall zwar für die Pflichten der Dienstherrschaften ein scharfes Auge, dagegen nicht wenig Nei¬ gung, den Dienstboten gleiche Rechte mit den Dienstherrschaften zuzusprechen, und er sucht seine Darstellung damit zu rechtfertigen, daß er das zu erstre¬ bende Ziel ohne Rücksicht darauf, ob dasselbe völlig erreicht werden könne, vorführe und daß die von ihm vertheidigten Forderungen nur die Anwen- dung allgemeiner sittlicher und christlicher Grundsätze auf ein ganz specielles Gebiet enthielten, auch seine Vorschläge nur den schlimmsten Uebelständen Abhülfe gewährten. In Betreff der Regelung des rechtlichen Verhältnisses zwischen Herrschaft und Dienstboten hält der Verfasser es mit Recht in den thatsächlichen Zuständen begründet, wenn das Gesetz von der Auffassung aus¬ geht, daß das gegenseitige Verhältniß zwischen Gesinde und Dienstherrschaft ein engeres sei, als zwischen anderen Arbeitnehmern und Arbeitgebern. Er erkennt demgemäß die Berechtigung des Erlasses besonderer Gesindeordnungen an. Der Borschlag, die Schlichtung der Streitigkeiten zwischen Gesinde und Herrschaft später den zu errichtenden Schiedsgerichten und Einigungsämtern

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_192802/206>, abgerufen am 06.02.2025.