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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band.

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durchzuführen versucht hatte, -- warum sollte das nicht ein zweites Mal
geschehen? Sodann ist wiederum der neuesten deutschen Forschung der Nach¬
weis zu verdanken, daß die Ideen der französischen Aufklärung, die am Aus¬
gang des vorigen Jahrhunderts den Continent beherrschten und von den
Franzosen selbst so gerne als los in!"W cle 1789 bezeichnet werden, am mei¬
sten zu Gute gekommen sind der streitenden römischen Kirche, dem Ultra¬
montanismus. Der neue Glaube an ein allgemeines Weltbürgerthum, die
Lockerung der historischen Traditionen und des Nationalbewußtseins ist von
dem Jesuitismus zu reichen Fischzügen benützt worden; die neuen Ideen
paßten trefflich in sein System disctplinirter Vaterlandslosigkeit. Aber zu der
Zeit, als Streiter jung war, hatte sich diese Rückbildung im katholischen
Clerus Deutschlands noch nicht vollzogen. Erst die jüngeren Geschlechter
sind ihr willenlos verfallen. Als Streiter jung war und als Mann zu wir¬
ken begann, hielt sich der deutsche Clerus männiglich zum Episeopalsystem,
am eifrigsten die Häupter der Kirche. Kein deutscher Kirchenfürst hätte da¬
mals auch nur für möglich gehalten, daß den Bischöfen ihre nach canoni¬
schem Kirchenrecht wohlerworbenen Rechte jemals von Rom aus verkümmert
werden könnten. Der Glaube jener Zeit darf auch im katholischen Lager
als ein milder aufgeklärter Humanismus bezeichnet werden. Der Eindruck
dieser Auffassung vom Wesen des katholischen Glaubens und von dem Ver¬
hältniß der kirchlichen Gewalten unter einander ist Streiter immer frisch ge¬
blieben. So mächtig sich rings um ihn in seinem Vaterlande die jesuitische
Doctrin und Organisation erhob, er hat nie daran gezweifelt, daß auch ihr
nur eine Spanne Zeit zugemessen sei, und der gesunde Menschenverstand
nimmer von ihr gebeugt werden könne.

Noch in den letzten Monaten seines Daseins sind Joseph Streiter von
der jesuitischen Clerisei seiner Stadt ganz absonderliche Beweise ihrer Macht¬
fülle zugedacht gewesen. Man hat den Versuch gewagt, ihn, den schwerkran¬
ken Mann, mit Gewalt zur Beichte zu nöthigen. Vor dem Hausfriedens¬
bruch selbst sind die dunkeln Gesellen nicht zurückgeschreckt, bis der Sohn das
Hausrecht des Vaters in kräftigster Weise wahrte. Auch Joseph Streiter's
letzte Tage noch sind durch die charakterlose Nachgiebigkeit des Cultusmini¬
sters v. Stremayer verbittert worden. Aber dennoch ist er hoffnungsreich
und starken Herzens gestorben. Er, der teutschgesinnte Oesterreicher, der an
der nationalen Entwickelung Deutschlands von jeher den wärmsten Antheil
genommen, ist in der Zuversicht geschieden, daß jeder Streich, der in Deutsch¬
land gegen die Bollwerke des römischen Clerus geführt wird, auch die Stel¬
lung der Jesuiten am Jnn und an der Donau erschüttern müsse.

Wir legen an dem Grabhügel Joseph Streiter's den grünen Lorbeer


durchzuführen versucht hatte, — warum sollte das nicht ein zweites Mal
geschehen? Sodann ist wiederum der neuesten deutschen Forschung der Nach¬
weis zu verdanken, daß die Ideen der französischen Aufklärung, die am Aus¬
gang des vorigen Jahrhunderts den Continent beherrschten und von den
Franzosen selbst so gerne als los in!«W cle 1789 bezeichnet werden, am mei¬
sten zu Gute gekommen sind der streitenden römischen Kirche, dem Ultra¬
montanismus. Der neue Glaube an ein allgemeines Weltbürgerthum, die
Lockerung der historischen Traditionen und des Nationalbewußtseins ist von
dem Jesuitismus zu reichen Fischzügen benützt worden; die neuen Ideen
paßten trefflich in sein System disctplinirter Vaterlandslosigkeit. Aber zu der
Zeit, als Streiter jung war, hatte sich diese Rückbildung im katholischen
Clerus Deutschlands noch nicht vollzogen. Erst die jüngeren Geschlechter
sind ihr willenlos verfallen. Als Streiter jung war und als Mann zu wir¬
ken begann, hielt sich der deutsche Clerus männiglich zum Episeopalsystem,
am eifrigsten die Häupter der Kirche. Kein deutscher Kirchenfürst hätte da¬
mals auch nur für möglich gehalten, daß den Bischöfen ihre nach canoni¬
schem Kirchenrecht wohlerworbenen Rechte jemals von Rom aus verkümmert
werden könnten. Der Glaube jener Zeit darf auch im katholischen Lager
als ein milder aufgeklärter Humanismus bezeichnet werden. Der Eindruck
dieser Auffassung vom Wesen des katholischen Glaubens und von dem Ver¬
hältniß der kirchlichen Gewalten unter einander ist Streiter immer frisch ge¬
blieben. So mächtig sich rings um ihn in seinem Vaterlande die jesuitische
Doctrin und Organisation erhob, er hat nie daran gezweifelt, daß auch ihr
nur eine Spanne Zeit zugemessen sei, und der gesunde Menschenverstand
nimmer von ihr gebeugt werden könne.

Noch in den letzten Monaten seines Daseins sind Joseph Streiter von
der jesuitischen Clerisei seiner Stadt ganz absonderliche Beweise ihrer Macht¬
fülle zugedacht gewesen. Man hat den Versuch gewagt, ihn, den schwerkran¬
ken Mann, mit Gewalt zur Beichte zu nöthigen. Vor dem Hausfriedens¬
bruch selbst sind die dunkeln Gesellen nicht zurückgeschreckt, bis der Sohn das
Hausrecht des Vaters in kräftigster Weise wahrte. Auch Joseph Streiter's
letzte Tage noch sind durch die charakterlose Nachgiebigkeit des Cultusmini¬
sters v. Stremayer verbittert worden. Aber dennoch ist er hoffnungsreich
und starken Herzens gestorben. Er, der teutschgesinnte Oesterreicher, der an
der nationalen Entwickelung Deutschlands von jeher den wärmsten Antheil
genommen, ist in der Zuversicht geschieden, daß jeder Streich, der in Deutsch¬
land gegen die Bollwerke des römischen Clerus geführt wird, auch die Stel¬
lung der Jesuiten am Jnn und an der Donau erschüttern müsse.

Wir legen an dem Grabhügel Joseph Streiter's den grünen Lorbeer


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_192802/199>, abgerufen am 06.02.2025.