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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band.

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Indessen die Literatur, mag sie auch in den stürmischen Zeiten einer
Revolution verstummen, ist doch diejenige Macht, welche sich am schwersten
reglementiren läßt. Offenbar schwebte Napoleon in Bezug auf die Literatur
das Zeitalter Ludwig's des XIV. vor, wie er ja in vielen Dingen seine Herr¬
schaft mit der Vergangenheit zu verknüpfen bemüht war. Napoleon war nicht ohne
literarisches und künstlerisches Interesse, ja es läßt sich ihm sogar ein gewisses Ver¬
ständniß auf dem Gebiet der Poesie nicht absprechen. Aber sein Ideal war das
Erhabene, das Classische im Sinne der Franzosen. Auf Pflege der Classicität
waren daher auch seine Bestrebungen gerichtet. Indessen lag zwischen seiner
Negierung und dem Zeitalter Ludwig's des XIV. das philosophische Jahr¬
hundert und die Revolution. Das 18. Jahrhundert hatte allerdings, trotz
seiner philosophischen Kühnheit, in den poetischen Formen allgemein das
classische Muster festgehalten. Aber ein Blick auf Corneille und Voltaire
zeigt, daß doch selbst im Drama die alte Form allmälich einen anderen
geistigen Gehalt gewonnen hatte. Nun aber war die Revolution mit ihren
gewaltigen Erschütterungen gekommen. Neue Ideen hatten sich mit Gewalt
Bahn gebrochen, und rangen auch auf literarischem Gebiete nach neuer Form.
Zugleich aber hatte sich eine mächtige von z. Th. sehr bedeutenden Geistern
getragene Gegenströmung gegen die Ideen der Revolution entwickelt, die in¬
dessen keineswegs die Richtung auf das aneion rägime in der Literatur ein¬
schlug, im Gegentheil sich bald im allerschärfsten Gegensatz gegen die Classi¬
cität befand. Gerade die hervorragendsten Leiter der antirevolutionären
Bewegung waren von dem dämonischen Geiste der Revolution erfaßt.
Chateaubriand, mochte er sich auch für berufen halten, in Frankreich das
Christenthum wiederherzustellen, stand in mancher Beziehung zu Sitte und
Herkommen in einem schärferen Gegensatz, als Voltaire und die Encyklopä¬
disten. Die religiöse Gluth neben der tobenden, verzehrenden Leidenschaft
macht einen unheimlichen Eindruck. Ist diese Gluth etwas anders, als die
Ableitung der Leidenschaft von einem Gegenstande auf den andern? Und
weit entfernt, daß das religiöse Feuer die irdischen Leidenschaften läutert,
beide Gluthen nähren sich unausgesetzt eine an der andern. Und neben der
Leidenschaft der grauenvollste, wüsteste Weltschmerz, "^.prös I<z mMeur 6o
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un nomme!" Rene', in dem Chateaubriand sich selbst schildert, ist in seiner
Leidenschaft und Blasirtheit der vollendetste Egoist. Und der Rene' war, als
er ihn schilderte, für ihn nicht etwa ein überwundener Standpunkt; er war
"nicht die Ablagerung eines vorübergehenden Gefühls, sondern die Summe
eines Lebens. War Chateaubriand in der Jugend Rene', so spricht fast aus
jeder Seite seiner Existenz eine Randnote aus, daß er es immer geblieben ist!"
Ein innerer Widerspruch zieht sich durch Chateaubriand's Leben. Er schwelgt


Indessen die Literatur, mag sie auch in den stürmischen Zeiten einer
Revolution verstummen, ist doch diejenige Macht, welche sich am schwersten
reglementiren läßt. Offenbar schwebte Napoleon in Bezug auf die Literatur
das Zeitalter Ludwig's des XIV. vor, wie er ja in vielen Dingen seine Herr¬
schaft mit der Vergangenheit zu verknüpfen bemüht war. Napoleon war nicht ohne
literarisches und künstlerisches Interesse, ja es läßt sich ihm sogar ein gewisses Ver¬
ständniß auf dem Gebiet der Poesie nicht absprechen. Aber sein Ideal war das
Erhabene, das Classische im Sinne der Franzosen. Auf Pflege der Classicität
waren daher auch seine Bestrebungen gerichtet. Indessen lag zwischen seiner
Negierung und dem Zeitalter Ludwig's des XIV. das philosophische Jahr¬
hundert und die Revolution. Das 18. Jahrhundert hatte allerdings, trotz
seiner philosophischen Kühnheit, in den poetischen Formen allgemein das
classische Muster festgehalten. Aber ein Blick auf Corneille und Voltaire
zeigt, daß doch selbst im Drama die alte Form allmälich einen anderen
geistigen Gehalt gewonnen hatte. Nun aber war die Revolution mit ihren
gewaltigen Erschütterungen gekommen. Neue Ideen hatten sich mit Gewalt
Bahn gebrochen, und rangen auch auf literarischem Gebiete nach neuer Form.
Zugleich aber hatte sich eine mächtige von z. Th. sehr bedeutenden Geistern
getragene Gegenströmung gegen die Ideen der Revolution entwickelt, die in¬
dessen keineswegs die Richtung auf das aneion rägime in der Literatur ein¬
schlug, im Gegentheil sich bald im allerschärfsten Gegensatz gegen die Classi¬
cität befand. Gerade die hervorragendsten Leiter der antirevolutionären
Bewegung waren von dem dämonischen Geiste der Revolution erfaßt.
Chateaubriand, mochte er sich auch für berufen halten, in Frankreich das
Christenthum wiederherzustellen, stand in mancher Beziehung zu Sitte und
Herkommen in einem schärferen Gegensatz, als Voltaire und die Encyklopä¬
disten. Die religiöse Gluth neben der tobenden, verzehrenden Leidenschaft
macht einen unheimlichen Eindruck. Ist diese Gluth etwas anders, als die
Ableitung der Leidenschaft von einem Gegenstande auf den andern? Und
weit entfernt, daß das religiöse Feuer die irdischen Leidenschaften läutert,
beide Gluthen nähren sich unausgesetzt eine an der andern. Und neben der
Leidenschaft der grauenvollste, wüsteste Weltschmerz, „^.prös I<z mMeur 6o
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Leidenschaft und Blasirtheit der vollendetste Egoist. Und der Rene' war, als
er ihn schilderte, für ihn nicht etwa ein überwundener Standpunkt; er war
„nicht die Ablagerung eines vorübergehenden Gefühls, sondern die Summe
eines Lebens. War Chateaubriand in der Jugend Rene', so spricht fast aus
jeder Seite seiner Existenz eine Randnote aus, daß er es immer geblieben ist!"
Ein innerer Widerspruch zieht sich durch Chateaubriand's Leben. Er schwelgt


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[0194] Indessen die Literatur, mag sie auch in den stürmischen Zeiten einer Revolution verstummen, ist doch diejenige Macht, welche sich am schwersten reglementiren läßt. Offenbar schwebte Napoleon in Bezug auf die Literatur das Zeitalter Ludwig's des XIV. vor, wie er ja in vielen Dingen seine Herr¬ schaft mit der Vergangenheit zu verknüpfen bemüht war. Napoleon war nicht ohne literarisches und künstlerisches Interesse, ja es läßt sich ihm sogar ein gewisses Ver¬ ständniß auf dem Gebiet der Poesie nicht absprechen. Aber sein Ideal war das Erhabene, das Classische im Sinne der Franzosen. Auf Pflege der Classicität waren daher auch seine Bestrebungen gerichtet. Indessen lag zwischen seiner Negierung und dem Zeitalter Ludwig's des XIV. das philosophische Jahr¬ hundert und die Revolution. Das 18. Jahrhundert hatte allerdings, trotz seiner philosophischen Kühnheit, in den poetischen Formen allgemein das classische Muster festgehalten. Aber ein Blick auf Corneille und Voltaire zeigt, daß doch selbst im Drama die alte Form allmälich einen anderen geistigen Gehalt gewonnen hatte. Nun aber war die Revolution mit ihren gewaltigen Erschütterungen gekommen. Neue Ideen hatten sich mit Gewalt Bahn gebrochen, und rangen auch auf literarischem Gebiete nach neuer Form. Zugleich aber hatte sich eine mächtige von z. Th. sehr bedeutenden Geistern getragene Gegenströmung gegen die Ideen der Revolution entwickelt, die in¬ dessen keineswegs die Richtung auf das aneion rägime in der Literatur ein¬ schlug, im Gegentheil sich bald im allerschärfsten Gegensatz gegen die Classi¬ cität befand. Gerade die hervorragendsten Leiter der antirevolutionären Bewegung waren von dem dämonischen Geiste der Revolution erfaßt. Chateaubriand, mochte er sich auch für berufen halten, in Frankreich das Christenthum wiederherzustellen, stand in mancher Beziehung zu Sitte und Herkommen in einem schärferen Gegensatz, als Voltaire und die Encyklopä¬ disten. Die religiöse Gluth neben der tobenden, verzehrenden Leidenschaft macht einen unheimlichen Eindruck. Ist diese Gluth etwas anders, als die Ableitung der Leidenschaft von einem Gegenstande auf den andern? Und weit entfernt, daß das religiöse Feuer die irdischen Leidenschaften läutert, beide Gluthen nähren sich unausgesetzt eine an der andern. Und neben der Leidenschaft der grauenvollste, wüsteste Weltschmerz, „^.prös I<z mMeur 6o tM-i-L, .jo n'en eonnküs MS c>« plus grund, <ZM (x;lui as äonnki- 1s Mr Ä un nomme!" Rene', in dem Chateaubriand sich selbst schildert, ist in seiner Leidenschaft und Blasirtheit der vollendetste Egoist. Und der Rene' war, als er ihn schilderte, für ihn nicht etwa ein überwundener Standpunkt; er war „nicht die Ablagerung eines vorübergehenden Gefühls, sondern die Summe eines Lebens. War Chateaubriand in der Jugend Rene', so spricht fast aus jeder Seite seiner Existenz eine Randnote aus, daß er es immer geblieben ist!" Ein innerer Widerspruch zieht sich durch Chateaubriand's Leben. Er schwelgt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_192802/194>, abgerufen am 06.02.2025.