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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band.

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Mummenschanz jeder Art verknüpftes religiöses Spectakelstück, den sog. Blut-
ritt. Das Blut Christi, welches Heinrich III. von Mantua nach Weingarten ge-
bracht haben soll, wird hiebei von einem Priester zu Roß, gefolgt von einer Caval-
cade vermummter Reiter, theils in altrömischem Soldatenornat, theils in abge¬
tragenen Uniformen aus aller Herren Länder und allen Zeiten, welchen sich Bauern
und Geistliche zu Pferd anschließen, - den sog. Blutreitern, in Procession herum¬
getragen, wobei die Feldfrüchte mit dem heiligen Blut gesegnet werden, auch Wein
getrunken wird, der mit dem heiligen Blut gesegnet ist, wodurch vollkommener Ablaß
erlangt wird, den Papst Clemens X. verliehen hat. Weingarten ist neuer¬
dings Garnisonsort geworden: und als vor einigen Wochen wiederum der
famose Blutritt stattfand, meldete der Württemberg. Staatsanzeiger, daß eine
Abtheilung des dortigen Infanterieregiments commandirt worden sei, bei je¬
ner Procession Parade zu machen! In der That eine würdige Verwendung
der deutschen Armee, die namentlich mit den geltenden preußischen Dienstvor¬
schriften trefflich im Einklang steht! So weit sind wir in der Selbsterniedri¬
gung gegenüber den Ultramontanen gekommen. Natürlich profitirt hieran auch
der liebe Pöbel. Mit Staunen las man neulich bei uns in den öffentlichen
Blättern als etwas selbstverständliches, daß ein preußischer Regierungspräsi¬
dent in Schlesien bedeckten Hauptes an einer Procession vorüber gegangen sei:
in Württemberg, wo in den gemischten Landestheilen namentlich in neuester
Zeit solche Processionen oft Tag für Tag die Straßen unsicher machen, hätte
er bei gleichem Wagniß seine Person in ernste Gefahr gesetzt; denn
Angesichts der Stimmung, welche dermalen in kirchlichen Dingen in den
regierenden Kreisen herrscht, sind auch die unteren Organe der Executive,
wollen sie sich nicht mißliebig machen, gegen alle Ausschreitungen der Ultra¬
montanen längst blind geworden. Anstatt dem täglich zunehmenden corrum-
pirenden Unfug des Wallfahrens entgegenzutreten, oder doch über der Gleich¬
berechtigung der Confessionen und die Aufrechterhaltung der öffentlichen
Ordnung zu wachen, muthet man -- um nur den Katholiken keinen Anstoß
zu geben, -- den übrigen Staatsbürgern zu, wenn eine Procession droht, ent¬
weder die Straße zu meiden und zu Hause zu bleiben, oder sich gegen bessere
Ueberzeugung dem Terrorismus des Pöbels zu beugen! Um die ganze
Situation zu kennzeichnen, haben wir nur noch beizufügen, daß daneben an
der Spitze der obersten evangelischen Kirchenbehörde des Landes (als Präsident
des Konsistoriums) eben jener Herr von Golther fungirt, der s. Z- als Cultus-
minister mit Schäffle und Genossen die Liga der großdeutschen Particularisten
mit den Ultramontanen gegen das "Preußenthum" inaugurirte und in den
Jahren 18KK-70 gegen die in Verdacht preußischer Gesinnung stehenden
evangelischen Kirchen- und Schuldtener jene famose Hetzjagd in Scene setzte,
welche heute noch in aller Erinnerung ist, bis ihn endlich seine einlenkt


Mummenschanz jeder Art verknüpftes religiöses Spectakelstück, den sog. Blut-
ritt. Das Blut Christi, welches Heinrich III. von Mantua nach Weingarten ge-
bracht haben soll, wird hiebei von einem Priester zu Roß, gefolgt von einer Caval-
cade vermummter Reiter, theils in altrömischem Soldatenornat, theils in abge¬
tragenen Uniformen aus aller Herren Länder und allen Zeiten, welchen sich Bauern
und Geistliche zu Pferd anschließen, - den sog. Blutreitern, in Procession herum¬
getragen, wobei die Feldfrüchte mit dem heiligen Blut gesegnet werden, auch Wein
getrunken wird, der mit dem heiligen Blut gesegnet ist, wodurch vollkommener Ablaß
erlangt wird, den Papst Clemens X. verliehen hat. Weingarten ist neuer¬
dings Garnisonsort geworden: und als vor einigen Wochen wiederum der
famose Blutritt stattfand, meldete der Württemberg. Staatsanzeiger, daß eine
Abtheilung des dortigen Infanterieregiments commandirt worden sei, bei je¬
ner Procession Parade zu machen! In der That eine würdige Verwendung
der deutschen Armee, die namentlich mit den geltenden preußischen Dienstvor¬
schriften trefflich im Einklang steht! So weit sind wir in der Selbsterniedri¬
gung gegenüber den Ultramontanen gekommen. Natürlich profitirt hieran auch
der liebe Pöbel. Mit Staunen las man neulich bei uns in den öffentlichen
Blättern als etwas selbstverständliches, daß ein preußischer Regierungspräsi¬
dent in Schlesien bedeckten Hauptes an einer Procession vorüber gegangen sei:
in Württemberg, wo in den gemischten Landestheilen namentlich in neuester
Zeit solche Processionen oft Tag für Tag die Straßen unsicher machen, hätte
er bei gleichem Wagniß seine Person in ernste Gefahr gesetzt; denn
Angesichts der Stimmung, welche dermalen in kirchlichen Dingen in den
regierenden Kreisen herrscht, sind auch die unteren Organe der Executive,
wollen sie sich nicht mißliebig machen, gegen alle Ausschreitungen der Ultra¬
montanen längst blind geworden. Anstatt dem täglich zunehmenden corrum-
pirenden Unfug des Wallfahrens entgegenzutreten, oder doch über der Gleich¬
berechtigung der Confessionen und die Aufrechterhaltung der öffentlichen
Ordnung zu wachen, muthet man — um nur den Katholiken keinen Anstoß
zu geben, — den übrigen Staatsbürgern zu, wenn eine Procession droht, ent¬
weder die Straße zu meiden und zu Hause zu bleiben, oder sich gegen bessere
Ueberzeugung dem Terrorismus des Pöbels zu beugen! Um die ganze
Situation zu kennzeichnen, haben wir nur noch beizufügen, daß daneben an
der Spitze der obersten evangelischen Kirchenbehörde des Landes (als Präsident
des Konsistoriums) eben jener Herr von Golther fungirt, der s. Z- als Cultus-
minister mit Schäffle und Genossen die Liga der großdeutschen Particularisten
mit den Ultramontanen gegen das „Preußenthum" inaugurirte und in den
Jahren 18KK-70 gegen die in Verdacht preußischer Gesinnung stehenden
evangelischen Kirchen- und Schuldtener jene famose Hetzjagd in Scene setzte,
welche heute noch in aller Erinnerung ist, bis ihn endlich seine einlenkt


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_192802/165>, abgerufen am 06.02.2025.