Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band.welche das aufgehobene Concordat (Art. 8. K.) thatsächlich in Geltung be¬ Am auffallendsten ist übrigens die Rücksichtslosigkeit, mit welcher man welche das aufgehobene Concordat (Art. 8. K.) thatsächlich in Geltung be¬ Am auffallendsten ist übrigens die Rücksichtslosigkeit, mit welcher man <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0164" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/192967"/> <p xml:id="ID_508" prev="#ID_507"> welche das aufgehobene Concordat (Art. 8. K.) thatsächlich in Geltung be¬<lb/> ließ, waren von den 7 Staatsgymnasien 2 zu katholischen Instituten mit<lb/> katholischem Lehrerpersonal unter der Direction von Clerikern gemacht worden,<lb/> neuerdings aber wurde sogar noch ein drittes Gymnasium unter die Direktion<lb/> eines infallivilistischen Priesters gestellt. So ist es die eine Thatsache, daß in<lb/> dreien von jenen 7 Staatsinstituten die Erziehung der heranwachsenden Ju¬<lb/> gend im Sinn und Geist der Herrn Ketteler und Gen. erfolgt. Die Welt¬<lb/> geschichte wird hier von Staatswegen gelehrt als Wunder- und Heiligenge¬<lb/> schichte, als Entwicklung des Kampfes und Sieges des Katholicismus, die Re¬<lb/> formation als Kirchenraub: was kümmert das die Minister! fallen dabei doch<lb/> genug der schwarzen Flecken auf den Staat Friedrich's des Großen! Daß<lb/> bei unserer selost in den ehemals katholischen Landestheilen jetzt ganz ge¬<lb/> mischten Bevölkerung auch die Söhne protestantischer Eltern von Staats¬<lb/> wegen in solch blühendem Unsinn unterrichtet werden, wie ihn die klerikale<lb/> Geschichtsschreibung fortwährend zu Tage fördert, kommt natürlich nicht in<lb/> Betracht. Aehnlich liegen die Verhältnisse auf der Landesuniversität. Nicht<lb/> nur stellte die Regierung neuerdings einen eigenen Professor für „katholische<lb/> Weltgeschichte" an. sondern sie corrilegirte auch für verschiedene Disciplinen,<lb/> welche bisher ohne konfessionelle Rücksichten an der Universität vertreten waren,<lb/> aus Staatsmitteln eigene Lehrstühle an der katholisch - theologischen Facultät:<lb/> so daß letztere dermalen eine erheblich größere Zahl von Professoren begreift,<lb/> als die evangelisch-theologische und nach der neuesten Uebersicht auf 11.<lb/> Studirende der katholischen Theologie, in der evangelischen dagegen auf 31<lb/> Studirende ein Professor entfällt. Auch die Zuwendung von Staatsstipen¬<lb/> dien um Katholiken steht, wie neuerdings nicht ohne Grund in der Presse<lb/> hervorgehoben wurde, in gar keinem Verhältniß zur Bevölkerungsziffer, und<lb/> weist auf das Streben hin, das katholische Element im Staatsdienst auf jede<lb/> Weise zu fördern.</p><lb/> <p xml:id="ID_509" next="#ID_510"> Am auffallendsten ist übrigens die Rücksichtslosigkeit, mit welcher man<lb/> es neuerdings wagt, die Gefühle der protestantischen Mehrheit zu verletzen.<lb/> Ein Beispiel statt vieler! Während in den letzten Wochen im katholischen<lb/> Baiern die Verwendung des Militärs bei Processionen allgemeinen Anstoß<lb/> erregt hat, und man in Württemberg schon einmal — in den 50er Jahren<lb/> zur Zeit des Concordats und der katholischen Mätressenwirthschaft — sich<lb/> genöthigt sah, eine Bestimmung der damaligen Kriegsdienstordnung über das<lb/> Präsentiren des Militärs bei kirchlichen Processionen ?c. der Erbitterung der<lb/> Bevölkerung gegenüber Preis zu geben, hält man es jetzt bei uns an der<lb/> Zeit, auch auf diesem Gebiet den-Zumuthungen der Ultramontanen nachzu¬<lb/> geben. Man lese — das ehemalige oberschwäbische Kloster Weingarten war<lb/> schon im alten deutschen Reich bekannt durch ein alljährlich wiederholtes, mit</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0164]
welche das aufgehobene Concordat (Art. 8. K.) thatsächlich in Geltung be¬
ließ, waren von den 7 Staatsgymnasien 2 zu katholischen Instituten mit
katholischem Lehrerpersonal unter der Direction von Clerikern gemacht worden,
neuerdings aber wurde sogar noch ein drittes Gymnasium unter die Direktion
eines infallivilistischen Priesters gestellt. So ist es die eine Thatsache, daß in
dreien von jenen 7 Staatsinstituten die Erziehung der heranwachsenden Ju¬
gend im Sinn und Geist der Herrn Ketteler und Gen. erfolgt. Die Welt¬
geschichte wird hier von Staatswegen gelehrt als Wunder- und Heiligenge¬
schichte, als Entwicklung des Kampfes und Sieges des Katholicismus, die Re¬
formation als Kirchenraub: was kümmert das die Minister! fallen dabei doch
genug der schwarzen Flecken auf den Staat Friedrich's des Großen! Daß
bei unserer selost in den ehemals katholischen Landestheilen jetzt ganz ge¬
mischten Bevölkerung auch die Söhne protestantischer Eltern von Staats¬
wegen in solch blühendem Unsinn unterrichtet werden, wie ihn die klerikale
Geschichtsschreibung fortwährend zu Tage fördert, kommt natürlich nicht in
Betracht. Aehnlich liegen die Verhältnisse auf der Landesuniversität. Nicht
nur stellte die Regierung neuerdings einen eigenen Professor für „katholische
Weltgeschichte" an. sondern sie corrilegirte auch für verschiedene Disciplinen,
welche bisher ohne konfessionelle Rücksichten an der Universität vertreten waren,
aus Staatsmitteln eigene Lehrstühle an der katholisch - theologischen Facultät:
so daß letztere dermalen eine erheblich größere Zahl von Professoren begreift,
als die evangelisch-theologische und nach der neuesten Uebersicht auf 11.
Studirende der katholischen Theologie, in der evangelischen dagegen auf 31
Studirende ein Professor entfällt. Auch die Zuwendung von Staatsstipen¬
dien um Katholiken steht, wie neuerdings nicht ohne Grund in der Presse
hervorgehoben wurde, in gar keinem Verhältniß zur Bevölkerungsziffer, und
weist auf das Streben hin, das katholische Element im Staatsdienst auf jede
Weise zu fördern.
Am auffallendsten ist übrigens die Rücksichtslosigkeit, mit welcher man
es neuerdings wagt, die Gefühle der protestantischen Mehrheit zu verletzen.
Ein Beispiel statt vieler! Während in den letzten Wochen im katholischen
Baiern die Verwendung des Militärs bei Processionen allgemeinen Anstoß
erregt hat, und man in Württemberg schon einmal — in den 50er Jahren
zur Zeit des Concordats und der katholischen Mätressenwirthschaft — sich
genöthigt sah, eine Bestimmung der damaligen Kriegsdienstordnung über das
Präsentiren des Militärs bei kirchlichen Processionen ?c. der Erbitterung der
Bevölkerung gegenüber Preis zu geben, hält man es jetzt bei uns an der
Zeit, auch auf diesem Gebiet den-Zumuthungen der Ultramontanen nachzu¬
geben. Man lese — das ehemalige oberschwäbische Kloster Weingarten war
schon im alten deutschen Reich bekannt durch ein alljährlich wiederholtes, mit
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