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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band.

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warmes Herz für das Volksschulwesen hatte und nach Kräften dafür wirkte --
bekannte noch 1787: "Den Bauer läßt man aufwachsen wie ein Thier; man
läßt ihn einige Redensarten auswendig lernen, die ihm nicht erklärt werden."

In der That, sehen wir auf den Lesestoff in den damaligen Schulen, so
bestand er lediglich in Bibel und Katechismus, welche von vorn bis hinten
(und zwar, was die Bibel betrifft, einschließlich der mancherlei anstößigen
Stellen im Alten Testamente) durchgelesen, oder vielmehr durchbuchstabirt
wurden. Der Katechismus ward auswendig gelernt. Ob das Gelesene für die
Kinder verständlich, fruchtbar, nützlich oder schädlich sei, fragte man nicht.

In katholischen Ländern ward der Katechismus überdies bisweilen dazu
gemißbraucht, Intoleranz und konfessionellen Haß zu verbreiten. So gab es
noch in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts auf den Dörfern in
gewissen Gegenden Süddeutschlands einen Katechismus, worin geschrieben stand
und also den Kindern gelehrt ward: "Was nahm denn I)r. Luther für ein
Ende?" Antwort: "Der Teufel drehte ihm das Genick um, nachdem Luther
viel tausend Seelen seinem Herrn und Meister in den Höllenschlund zugeführt
hatte".

Claus Harms erzählt aus seiner Jugend, daß in den Dorfschulen (im
Holsteinischen) die Fibel, der Katechismus und das Evangelienbuch, aber auch
die ganze Bibel gelesen worden sei. Die größern Schüler hätten außerdem
noch Hühner's Biblische Historien auswendig lernen müssen. Schreiben und
Rechnen wurde auch dort sehr dürftig betrieben: vom Kopfrechnen wußte man
nichts. Ebensowenig von deutscher Sprachlehre u. dergl. Dagegen ward
täglich dort viermal gebetet.

Auswendig lernen und gedankenloses Hersagen oder Herplappern, über¬
haupt der alleräußerlichste Mechanismus -- das war der durchgängige Typus
des damaligen Unterrichts. Dem entsprach natürlich auch der Charakter der
Schuldiseiplin. Ein- und Ausbläuen -- darin bestand in der Regel die ganze
pädagogische Weisheit eines solchen kleinen Despoten von Schulmeister. Die
Zahl der ausgetheilten Schläge und der sonstigen verhängten Züchtigungen galten
als Höhenmesser des guten Standes einer Schule und der vollwichtigen Au¬
torität ihres Lenkers. Die "Pädagogischen Unterhaltungen", eine in den 70.
Jahren erschienene reformatorische Zeitschrift im Fache des Erziehungswesens,
führen folgende Statistik von der Wirksamkeit eines gewissenhaften Schul¬
meisters in diesem Punkte der Disciplin an. In einem kleinen schwäbischen
Städtchen starb Herr Häuberle als eollczM Milaws. Er hatte während seiner
allerdings langen Berufsthätigkeit von 51 Jahren und 7 Monaten "nach
einer mäßigen Berechnung", wie es dort heißt, folgende Strafen dictirt und
alsbald auch selbst executire: 911,627 Stockschläge, 124,000 Ruthenhiebe,


warmes Herz für das Volksschulwesen hatte und nach Kräften dafür wirkte —
bekannte noch 1787: „Den Bauer läßt man aufwachsen wie ein Thier; man
läßt ihn einige Redensarten auswendig lernen, die ihm nicht erklärt werden."

In der That, sehen wir auf den Lesestoff in den damaligen Schulen, so
bestand er lediglich in Bibel und Katechismus, welche von vorn bis hinten
(und zwar, was die Bibel betrifft, einschließlich der mancherlei anstößigen
Stellen im Alten Testamente) durchgelesen, oder vielmehr durchbuchstabirt
wurden. Der Katechismus ward auswendig gelernt. Ob das Gelesene für die
Kinder verständlich, fruchtbar, nützlich oder schädlich sei, fragte man nicht.

In katholischen Ländern ward der Katechismus überdies bisweilen dazu
gemißbraucht, Intoleranz und konfessionellen Haß zu verbreiten. So gab es
noch in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts auf den Dörfern in
gewissen Gegenden Süddeutschlands einen Katechismus, worin geschrieben stand
und also den Kindern gelehrt ward: „Was nahm denn I)r. Luther für ein
Ende?" Antwort: „Der Teufel drehte ihm das Genick um, nachdem Luther
viel tausend Seelen seinem Herrn und Meister in den Höllenschlund zugeführt
hatte".

Claus Harms erzählt aus seiner Jugend, daß in den Dorfschulen (im
Holsteinischen) die Fibel, der Katechismus und das Evangelienbuch, aber auch
die ganze Bibel gelesen worden sei. Die größern Schüler hätten außerdem
noch Hühner's Biblische Historien auswendig lernen müssen. Schreiben und
Rechnen wurde auch dort sehr dürftig betrieben: vom Kopfrechnen wußte man
nichts. Ebensowenig von deutscher Sprachlehre u. dergl. Dagegen ward
täglich dort viermal gebetet.

Auswendig lernen und gedankenloses Hersagen oder Herplappern, über¬
haupt der alleräußerlichste Mechanismus — das war der durchgängige Typus
des damaligen Unterrichts. Dem entsprach natürlich auch der Charakter der
Schuldiseiplin. Ein- und Ausbläuen — darin bestand in der Regel die ganze
pädagogische Weisheit eines solchen kleinen Despoten von Schulmeister. Die
Zahl der ausgetheilten Schläge und der sonstigen verhängten Züchtigungen galten
als Höhenmesser des guten Standes einer Schule und der vollwichtigen Au¬
torität ihres Lenkers. Die „Pädagogischen Unterhaltungen", eine in den 70.
Jahren erschienene reformatorische Zeitschrift im Fache des Erziehungswesens,
führen folgende Statistik von der Wirksamkeit eines gewissenhaften Schul¬
meisters in diesem Punkte der Disciplin an. In einem kleinen schwäbischen
Städtchen starb Herr Häuberle als eollczM Milaws. Er hatte während seiner
allerdings langen Berufsthätigkeit von 51 Jahren und 7 Monaten „nach
einer mäßigen Berechnung", wie es dort heißt, folgende Strafen dictirt und
alsbald auch selbst executire: 911,627 Stockschläge, 124,000 Ruthenhiebe,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_192802/162>, abgerufen am 06.02.2025.