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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band.

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Gelegenheit, sich sehen zu lassen und die Bewunderung der Kanakas auf sich
zu lenken. O nobler Ehrgeiz dieses modernen Richelieu!

Es ist interessant, diesem Leichenbegängniß das ihres berühmten Ahnherrn,
Kamehameha's des Eroberers gegenüber zu stellen, der am 8. Mai 1819, also
vor fünfzig Jahren starb, und zwar im Glauben seiner Väter; denn erst im
Jahre darauf kamen die Missionäre hier an. Es war sein Unglück, daß er
nicht in Berührung mit Leuten kam, die ihn in Sachen der Religion auf den
rechten Weg bringen konnten. Er scheint nicht nur ein großer, sondern auch
ein guter Mann gewesen zu sein. Noch heute ist das Volk von Hawai stolz
auf ihn und voll warmer Verehrung vor ihm. Sie lieben den Namen ihres
alten Heldenkönigs, seine Thaten bilden ihr heroisches Zeitalter, und überall
herrscht, selbst von den Fremden, dir seinen Werth kannten, getheilt, eine Be¬
geisterung für sein Andenken, die den festesten Stützpfeiler seiner Dynastie
bildet.

Statt Menschen, wie sonst Gebrauch, opferte man an seinem Grabe drei¬
hundert Hunde -- nichts Geringes, wenn man bedenkt, wie hoch dieses Thier
von den Kanakas gehalten wird. Seine Gebeine wurden, nachdem man sie
eine Weile aufbewahrt, so sorgfältig verborgen, daß niemand jetzt weiß, wo
sie ruhen. Es hieß damals unter den gemeinen Leuten. die Knochen eines
grausamen Königs ließen sich nicht verstecken, sie machten Fischhaken und
Pfeilspitzen daraus, die sie jedesmal, wenn sie gebraucht wurden, mit bittern
Verwünschungen bedeckten.

Als Kamehamcha in seiner Residenz Koua gefährlich erkrankte und die
Priester ihn nicht curiren konnten, sagten sie: "Sei guten Muthes und baue
Deinem Gotte ein Haus, auf daß Du genesest." Die Häuptlinge unterstützten
diesen Rath, und noch denselben Abend wurde seinem Hausgotte Kukailimoku
ein Tempel geweiht. Sie schlugen auch dem König vor, zur Verlängerung
seines Lebens dieser Gottheit Menschen zu schlachten, worauf der größere Theil
der Stadtbevölkerung sich flüchtete und verbarg, bis der "Tabu" (Bann)
vorüber wäre. Es ist zweifelhaft, ob der kranke König letzteren Vorschlag
gut hieß, da er nach Aussage seines Sohnes und Nachfolgers Liholiho mehr¬
mals geäußert hatte: "die Leute gehören dem König", d. h. dem Dienst
seines Thronerben.

Hierauf nahm seine Krankheit so zu. daß er nicht mehr die Kraft hatte,
sich im Bette umzudrehen. Er sagte jetzt zu Liholiho: "Geh und bete zu
Deinem Gotte, ich kann nicht gehen und will zu Hause beten." Als die
Reihe von Gebeten, die er an seinen gefiederten Götzen Kukailimoku zu rich¬
ten hatte, gesprochen war, schlug ein religiös gestimmter Hawaier, der einen
Gott in Vogelgestalt, Namens Pua, besaß, vor, es mit dessen Einfluß zur
Beseitigung seines Siechthums zu versuchen. Kamehameha ging darauf ein


Gelegenheit, sich sehen zu lassen und die Bewunderung der Kanakas auf sich
zu lenken. O nobler Ehrgeiz dieses modernen Richelieu!

Es ist interessant, diesem Leichenbegängniß das ihres berühmten Ahnherrn,
Kamehameha's des Eroberers gegenüber zu stellen, der am 8. Mai 1819, also
vor fünfzig Jahren starb, und zwar im Glauben seiner Väter; denn erst im
Jahre darauf kamen die Missionäre hier an. Es war sein Unglück, daß er
nicht in Berührung mit Leuten kam, die ihn in Sachen der Religion auf den
rechten Weg bringen konnten. Er scheint nicht nur ein großer, sondern auch
ein guter Mann gewesen zu sein. Noch heute ist das Volk von Hawai stolz
auf ihn und voll warmer Verehrung vor ihm. Sie lieben den Namen ihres
alten Heldenkönigs, seine Thaten bilden ihr heroisches Zeitalter, und überall
herrscht, selbst von den Fremden, dir seinen Werth kannten, getheilt, eine Be¬
geisterung für sein Andenken, die den festesten Stützpfeiler seiner Dynastie
bildet.

Statt Menschen, wie sonst Gebrauch, opferte man an seinem Grabe drei¬
hundert Hunde — nichts Geringes, wenn man bedenkt, wie hoch dieses Thier
von den Kanakas gehalten wird. Seine Gebeine wurden, nachdem man sie
eine Weile aufbewahrt, so sorgfältig verborgen, daß niemand jetzt weiß, wo
sie ruhen. Es hieß damals unter den gemeinen Leuten. die Knochen eines
grausamen Königs ließen sich nicht verstecken, sie machten Fischhaken und
Pfeilspitzen daraus, die sie jedesmal, wenn sie gebraucht wurden, mit bittern
Verwünschungen bedeckten.

Als Kamehamcha in seiner Residenz Koua gefährlich erkrankte und die
Priester ihn nicht curiren konnten, sagten sie: „Sei guten Muthes und baue
Deinem Gotte ein Haus, auf daß Du genesest." Die Häuptlinge unterstützten
diesen Rath, und noch denselben Abend wurde seinem Hausgotte Kukailimoku
ein Tempel geweiht. Sie schlugen auch dem König vor, zur Verlängerung
seines Lebens dieser Gottheit Menschen zu schlachten, worauf der größere Theil
der Stadtbevölkerung sich flüchtete und verbarg, bis der „Tabu" (Bann)
vorüber wäre. Es ist zweifelhaft, ob der kranke König letzteren Vorschlag
gut hieß, da er nach Aussage seines Sohnes und Nachfolgers Liholiho mehr¬
mals geäußert hatte: „die Leute gehören dem König", d. h. dem Dienst
seines Thronerben.

Hierauf nahm seine Krankheit so zu. daß er nicht mehr die Kraft hatte,
sich im Bette umzudrehen. Er sagte jetzt zu Liholiho: „Geh und bete zu
Deinem Gotte, ich kann nicht gehen und will zu Hause beten." Als die
Reihe von Gebeten, die er an seinen gefiederten Götzen Kukailimoku zu rich¬
ten hatte, gesprochen war, schlug ein religiös gestimmter Hawaier, der einen
Gott in Vogelgestalt, Namens Pua, besaß, vor, es mit dessen Einfluß zur
Beseitigung seines Siechthums zu versuchen. Kamehameha ging darauf ein


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_192802/151>, abgerufen am 06.02.2025.