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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band.

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geöffnetem Munde: "Ja so war nicht gewettet. Das Gewissen muß hübsch
im Innern bleiben, wenn es heraustritt in die Welt des Handelns, muß
natürlich das Staatsgesetz gelten; sonst könnte ja auch Jemand das Recht
des Mordes um des Gewissens willen beanspruchen!" Ja wohl, so ist es,
Ihr Herren. Aber ist das noch eine unabhängige Religion, welcher der
Staat ein Halt zuruft, sobald sie das Gebiet des äußeren Handelns betreten
will? Ist das überhaupt noch eine Religion? Gehören nicht Inneres und
Aeußeres zusammen? Ist es nicht der Gipfel der Unnatur, ihnen zu sagen:
Ihr dürft Euch nicht berühren? Darum ist es ein Unding, die Religion zu
denken als nicht im Staat, als gleichgültig für den Staat. Der Staat ist
selbst das öffentliche Gewissen und nichts Anderes; der Arm des Gewissens,
aber auch sein Bildner, und er soll incompetent sein in Sachen des Gewis¬
sens ! Unter Bildung versteht man häusig nichts anderes als die Summe
der Vorurtheile, welche in den mit einem Durchschnittsmaß von überlieferten
Kenntnissen versehenen Klassen gang und gebe sind. Der Inhalt dieser Vor¬
urtheile kann richtig oder auch schief sein; es bleiben Vorurtheile, wenn die
Einsicht in die Gründe fehlt. Aber wenn die Mehrzahl der herrschenden Vor¬
urtheile einseitige und schiefe Ansichten enthält, so ist es desto schlimmer. Die
heutige sogenannte Bildung ist mit diesem Artikel in einem Grade gesegnet,
dessen sie sich entfernt nicht versieht.

Der Katholicismus ist nun gerade diejenige Religion, deren ganzes Wesen
der Zumuthung widerspricht, eine private Ansicht über außerirdische, nebel¬
hafte Dinge zu sein. Der Katholicismus ist der Glaube an die sichtbare,
von Gott unmittelbar gestiftete und im Auftrage Gottes zur Weltregierung
berufene Kirche. Nichts ist aber verstockter als die sogenannte Bildung, die
sich von der Unbildung eigentlich nur durch den Grad ihrer Einbildung unter¬
scheidet. Ein solcher Gebildeter kann täglich hundert Mal lesen, daß der Papst
sich den Statthalter Christi auf Erden nennt; er wird nicht aufhören zu ver¬
langen, daß man das Gewissen freigebe und den Katholiken erlaube, dem
Papst zu gehorchen, wo und wie er Gehorsam fordert. Daß er damit allen
übrigen Mächten der Erde zumuthet, sich der Souveränität des Papstes zu
unterwerfen, wie denn die Päpste zur Zeit Kaiser und Könige entsetzt haben,
das begreift ein solcher Gebildeter nicht. --

Zu jener Zeit also, von der wir sprechen wollen, wo der preußische
Staat ein zur Hälfte neues Gebiet erlangt hatte zum Ersatz für die Verlornen
Gebiete, die ihm der Sieg nicht wiedergebracht, da hatte sich die preußische
Regierung die Frage vorzulegen, wie sie es mit den kirchlichen Verhältnissen
ihrer zahlreichen katholischen Unterthanen halten wolle. Diese Verhältnisse
befanden sich vielfach in Unordnung und Verfall. Außerdem waren sie fast
in jeder Provinz des Staates anders -- man kann bei der eingerissenen Un-


geöffnetem Munde: „Ja so war nicht gewettet. Das Gewissen muß hübsch
im Innern bleiben, wenn es heraustritt in die Welt des Handelns, muß
natürlich das Staatsgesetz gelten; sonst könnte ja auch Jemand das Recht
des Mordes um des Gewissens willen beanspruchen!" Ja wohl, so ist es,
Ihr Herren. Aber ist das noch eine unabhängige Religion, welcher der
Staat ein Halt zuruft, sobald sie das Gebiet des äußeren Handelns betreten
will? Ist das überhaupt noch eine Religion? Gehören nicht Inneres und
Aeußeres zusammen? Ist es nicht der Gipfel der Unnatur, ihnen zu sagen:
Ihr dürft Euch nicht berühren? Darum ist es ein Unding, die Religion zu
denken als nicht im Staat, als gleichgültig für den Staat. Der Staat ist
selbst das öffentliche Gewissen und nichts Anderes; der Arm des Gewissens,
aber auch sein Bildner, und er soll incompetent sein in Sachen des Gewis¬
sens ! Unter Bildung versteht man häusig nichts anderes als die Summe
der Vorurtheile, welche in den mit einem Durchschnittsmaß von überlieferten
Kenntnissen versehenen Klassen gang und gebe sind. Der Inhalt dieser Vor¬
urtheile kann richtig oder auch schief sein; es bleiben Vorurtheile, wenn die
Einsicht in die Gründe fehlt. Aber wenn die Mehrzahl der herrschenden Vor¬
urtheile einseitige und schiefe Ansichten enthält, so ist es desto schlimmer. Die
heutige sogenannte Bildung ist mit diesem Artikel in einem Grade gesegnet,
dessen sie sich entfernt nicht versieht.

Der Katholicismus ist nun gerade diejenige Religion, deren ganzes Wesen
der Zumuthung widerspricht, eine private Ansicht über außerirdische, nebel¬
hafte Dinge zu sein. Der Katholicismus ist der Glaube an die sichtbare,
von Gott unmittelbar gestiftete und im Auftrage Gottes zur Weltregierung
berufene Kirche. Nichts ist aber verstockter als die sogenannte Bildung, die
sich von der Unbildung eigentlich nur durch den Grad ihrer Einbildung unter¬
scheidet. Ein solcher Gebildeter kann täglich hundert Mal lesen, daß der Papst
sich den Statthalter Christi auf Erden nennt; er wird nicht aufhören zu ver¬
langen, daß man das Gewissen freigebe und den Katholiken erlaube, dem
Papst zu gehorchen, wo und wie er Gehorsam fordert. Daß er damit allen
übrigen Mächten der Erde zumuthet, sich der Souveränität des Papstes zu
unterwerfen, wie denn die Päpste zur Zeit Kaiser und Könige entsetzt haben,
das begreift ein solcher Gebildeter nicht. —

Zu jener Zeit also, von der wir sprechen wollen, wo der preußische
Staat ein zur Hälfte neues Gebiet erlangt hatte zum Ersatz für die Verlornen
Gebiete, die ihm der Sieg nicht wiedergebracht, da hatte sich die preußische
Regierung die Frage vorzulegen, wie sie es mit den kirchlichen Verhältnissen
ihrer zahlreichen katholischen Unterthanen halten wolle. Diese Verhältnisse
befanden sich vielfach in Unordnung und Verfall. Außerdem waren sie fast
in jeder Provinz des Staates anders — man kann bei der eingerissenen Un-


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[0144] geöffnetem Munde: „Ja so war nicht gewettet. Das Gewissen muß hübsch im Innern bleiben, wenn es heraustritt in die Welt des Handelns, muß natürlich das Staatsgesetz gelten; sonst könnte ja auch Jemand das Recht des Mordes um des Gewissens willen beanspruchen!" Ja wohl, so ist es, Ihr Herren. Aber ist das noch eine unabhängige Religion, welcher der Staat ein Halt zuruft, sobald sie das Gebiet des äußeren Handelns betreten will? Ist das überhaupt noch eine Religion? Gehören nicht Inneres und Aeußeres zusammen? Ist es nicht der Gipfel der Unnatur, ihnen zu sagen: Ihr dürft Euch nicht berühren? Darum ist es ein Unding, die Religion zu denken als nicht im Staat, als gleichgültig für den Staat. Der Staat ist selbst das öffentliche Gewissen und nichts Anderes; der Arm des Gewissens, aber auch sein Bildner, und er soll incompetent sein in Sachen des Gewis¬ sens ! Unter Bildung versteht man häusig nichts anderes als die Summe der Vorurtheile, welche in den mit einem Durchschnittsmaß von überlieferten Kenntnissen versehenen Klassen gang und gebe sind. Der Inhalt dieser Vor¬ urtheile kann richtig oder auch schief sein; es bleiben Vorurtheile, wenn die Einsicht in die Gründe fehlt. Aber wenn die Mehrzahl der herrschenden Vor¬ urtheile einseitige und schiefe Ansichten enthält, so ist es desto schlimmer. Die heutige sogenannte Bildung ist mit diesem Artikel in einem Grade gesegnet, dessen sie sich entfernt nicht versieht. Der Katholicismus ist nun gerade diejenige Religion, deren ganzes Wesen der Zumuthung widerspricht, eine private Ansicht über außerirdische, nebel¬ hafte Dinge zu sein. Der Katholicismus ist der Glaube an die sichtbare, von Gott unmittelbar gestiftete und im Auftrage Gottes zur Weltregierung berufene Kirche. Nichts ist aber verstockter als die sogenannte Bildung, die sich von der Unbildung eigentlich nur durch den Grad ihrer Einbildung unter¬ scheidet. Ein solcher Gebildeter kann täglich hundert Mal lesen, daß der Papst sich den Statthalter Christi auf Erden nennt; er wird nicht aufhören zu ver¬ langen, daß man das Gewissen freigebe und den Katholiken erlaube, dem Papst zu gehorchen, wo und wie er Gehorsam fordert. Daß er damit allen übrigen Mächten der Erde zumuthet, sich der Souveränität des Papstes zu unterwerfen, wie denn die Päpste zur Zeit Kaiser und Könige entsetzt haben, das begreift ein solcher Gebildeter nicht. — Zu jener Zeit also, von der wir sprechen wollen, wo der preußische Staat ein zur Hälfte neues Gebiet erlangt hatte zum Ersatz für die Verlornen Gebiete, die ihm der Sieg nicht wiedergebracht, da hatte sich die preußische Regierung die Frage vorzulegen, wie sie es mit den kirchlichen Verhältnissen ihrer zahlreichen katholischen Unterthanen halten wolle. Diese Verhältnisse befanden sich vielfach in Unordnung und Verfall. Außerdem waren sie fast in jeder Provinz des Staates anders — man kann bei der eingerissenen Un-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_192802/144>, abgerufen am 06.02.2025.