Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band.quenzen der staatlichen Willkür; und in demselben Maße, wie diese der Rechts¬ Wenn nun aber Othello selbst da, wo wir ihn eine That begehen sehen, Und von dem Manne hat Gewinns andeuten können, Desdemona habe odor öd" ""em'et er "dicke n.un t"N' Mur loolcs Das ist die Stelle, an die Gervinus gedacht hat; und die sagt doch Der Dichter hat das doch mit so feinen und mit so starken Zügen ge¬ quenzen der staatlichen Willkür; und in demselben Maße, wie diese der Rechts¬ Wenn nun aber Othello selbst da, wo wir ihn eine That begehen sehen, Und von dem Manne hat Gewinns andeuten können, Desdemona habe odor öd« »«em'et er «dicke n.un t«N' Mur loolcs Das ist die Stelle, an die Gervinus gedacht hat; und die sagt doch Der Dichter hat das doch mit so feinen und mit so starken Zügen ge¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0132" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/192935"/> <p xml:id="ID_393" prev="#ID_392"> quenzen der staatlichen Willkür; und in demselben Maße, wie diese der Rechts¬<lb/> herrschaft Raum gab, hat jene an Boden verloren.</p><lb/> <p xml:id="ID_394"> Wenn nun aber Othello selbst da, wo wir ihn eine That begehen sehen,<lb/> vor der uns schaudern will, unser Mitgefühl nicht einbüßen kann, so ist fast<lb/> Alles, was wir sonst an ihm beobachten, sehr dazu angethan, ihm warme<lb/> Sympathie und hohe Achtung zu gewinnen. Selbst Othello's Todfeind<lb/> Jago muß ihm das höchste Lob spenden, daß er ein liebevolles und treues<lb/> Gemüth hat. Im rauhen, freudlosen Lagerleben erwachsen, hat er sich aus<lb/> einer verachteten Klasse durch eignes Verdienst, in jahrelanger treuer Thätig'<lb/> keit zu den höchsten Ehren eines stolzen und mächtigen Gemeinwesens empor-<lb/> gerungen. Und nicht als ein Miethling, sondern als treuer Bundesgenosse<lb/> hatte er Venedig gedient, er, der in Aleppo einen dem Staat gebotenen<lb/> Schimpf wie eine ihm selbst zugefügte Beleidigung empfunden und mit Ge¬<lb/> fahr des Lebens geahndet hatte. Dabei ist er auf dem glatten Boden dieser<lb/> überfeinerten, verderbten Republik ein schlichter, hochsinniger Kriegsmann ge¬<lb/> blieben — unter falschen Italienern, die ihm höflich thun, weil sie ihn brau-<lb/> chen, und die ihn heimlich verachten, heimathlos und weltfremd.</p><lb/> <p xml:id="ID_395"> Und von dem Manne hat Gewinns andeuten können, Desdemona habe<lb/> Unrecht gethan, ihn zu lieben! „Sie hatte", heißt es bei ihm, „mit der na¬<lb/> türlichen Abneigung gegen ein so fremdartiges Wesen zu kämpfen und fürchtete<lb/> seine Blicke, ehe sie sie lieben, lernte." Von Abneigung ist nun aber nirgend<lb/> die Rede.</p><lb/> <quote> odor öd« »«em'et er «dicke n.un t«N' Mur loolcs<lb/> Lbö Imo'ä thom mögt.</quote><lb/> <p xml:id="ID_396"> Das ist die Stelle, an die Gervinus gedacht hat; und die sagt doch<lb/> nichts Anderes, als entweder daß Desdemona sich vor ihrem Vater listig ver¬<lb/> stellte, oder daß das schüchterne Mädchen anfänglich das strenge Auge des<lb/> afrikanischen Feldherrn mit einer gewissen Scheu theilnahmvoll auf sich ruhen<lb/> fühlte. Gesetzt aber auch, es sei in der gefesselten Leidenschaft Othello's Et¬<lb/> was gewesen, was sie hätte warnen sollen, dennoch bliebe jene Bemerkung<lb/> eine ethische und ästhetische Verirrung. Denn es ist mit der Liebe wie mit<lb/> dem Glauben: wer mit vollem Herzen liebt, der hat keine Wahl, der kann<lb/> nicht anders. Und brauchen wir noch zu beweisen, daß Desdemona den<lb/> Mohren mit vollem Herzen geliebt hat?</p><lb/> <p xml:id="ID_397" next="#ID_398"> Der Dichter hat das doch mit so feinen und mit so starken Zügen ge¬<lb/> zeichnet, — zuweilen in Ausdrücken von jener anmuthigen Herzinnigkeit, in<lb/> der sich Shakespeare da, wo das Höchste gesagt werden soll, von keinem an¬<lb/> deren Dichter übertreffen läßt. Er läßt die Neigung der jungen Venetianerin<lb/> jenem Boden entkeimen, dem die reine Liebe eines sinnigen Mädchens in so<lb/> reizvollen Gegensatz entsprießt: in jungfräulicher Sprödigkeit geht sie aus einer</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0132]
quenzen der staatlichen Willkür; und in demselben Maße, wie diese der Rechts¬
herrschaft Raum gab, hat jene an Boden verloren.
Wenn nun aber Othello selbst da, wo wir ihn eine That begehen sehen,
vor der uns schaudern will, unser Mitgefühl nicht einbüßen kann, so ist fast
Alles, was wir sonst an ihm beobachten, sehr dazu angethan, ihm warme
Sympathie und hohe Achtung zu gewinnen. Selbst Othello's Todfeind
Jago muß ihm das höchste Lob spenden, daß er ein liebevolles und treues
Gemüth hat. Im rauhen, freudlosen Lagerleben erwachsen, hat er sich aus
einer verachteten Klasse durch eignes Verdienst, in jahrelanger treuer Thätig'
keit zu den höchsten Ehren eines stolzen und mächtigen Gemeinwesens empor-
gerungen. Und nicht als ein Miethling, sondern als treuer Bundesgenosse
hatte er Venedig gedient, er, der in Aleppo einen dem Staat gebotenen
Schimpf wie eine ihm selbst zugefügte Beleidigung empfunden und mit Ge¬
fahr des Lebens geahndet hatte. Dabei ist er auf dem glatten Boden dieser
überfeinerten, verderbten Republik ein schlichter, hochsinniger Kriegsmann ge¬
blieben — unter falschen Italienern, die ihm höflich thun, weil sie ihn brau-
chen, und die ihn heimlich verachten, heimathlos und weltfremd.
Und von dem Manne hat Gewinns andeuten können, Desdemona habe
Unrecht gethan, ihn zu lieben! „Sie hatte", heißt es bei ihm, „mit der na¬
türlichen Abneigung gegen ein so fremdartiges Wesen zu kämpfen und fürchtete
seine Blicke, ehe sie sie lieben, lernte." Von Abneigung ist nun aber nirgend
die Rede.
odor öd« »«em'et er «dicke n.un t«N' Mur loolcs
Lbö Imo'ä thom mögt.
Das ist die Stelle, an die Gervinus gedacht hat; und die sagt doch
nichts Anderes, als entweder daß Desdemona sich vor ihrem Vater listig ver¬
stellte, oder daß das schüchterne Mädchen anfänglich das strenge Auge des
afrikanischen Feldherrn mit einer gewissen Scheu theilnahmvoll auf sich ruhen
fühlte. Gesetzt aber auch, es sei in der gefesselten Leidenschaft Othello's Et¬
was gewesen, was sie hätte warnen sollen, dennoch bliebe jene Bemerkung
eine ethische und ästhetische Verirrung. Denn es ist mit der Liebe wie mit
dem Glauben: wer mit vollem Herzen liebt, der hat keine Wahl, der kann
nicht anders. Und brauchen wir noch zu beweisen, daß Desdemona den
Mohren mit vollem Herzen geliebt hat?
Der Dichter hat das doch mit so feinen und mit so starken Zügen ge¬
zeichnet, — zuweilen in Ausdrücken von jener anmuthigen Herzinnigkeit, in
der sich Shakespeare da, wo das Höchste gesagt werden soll, von keinem an¬
deren Dichter übertreffen läßt. Er läßt die Neigung der jungen Venetianerin
jenem Boden entkeimen, dem die reine Liebe eines sinnigen Mädchens in so
reizvollen Gegensatz entsprießt: in jungfräulicher Sprödigkeit geht sie aus einer
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