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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band.

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selbstgemachten Halsketten aus der prachtvollen rothen Blüthe der Ohia, und
sie füllen die Märkte und die anliegenden Straßen mit ihrer bunten Gegen¬
wart und -- riechen mit ihrem gräulichen Kokusnußöl wie eine in Brand ge¬
rathene Lumpensammlerstube.

Gelegentlich sieht man einen Heiden von den sonnigen Eilanden tief
unten im Süden mit einem so tättowirten Gesicht und Hals, daß er aussieht,
wie der wohlbekannte Bettelmann von Washoe, der in einem Bergwerk in
die Luft gesprengt worden ist. Einige sind mit dunkelblauer Farbe bis zur
Oberlippe herab tättowirt, gleichsam maskirt; denn das natürlich lichte Geld
der Haut des Mikronesiers - bleibt von da an unpunctirt. Einige haben
breite Streifen, die auf beiden Seiten des Gesichts vom Haar bis zum Halse
herunterlaufen, und dazwischen ein Stück des ursprünglichen Gelb, zwei Zoll
breit -- ein Bratrost, bei dem eine Querstange abgebrochen ist. Bei einigen
ist das ganze Gesicht durch die volkstümliche Tinte umgefärbt, und nur zwei
dünne Wellenlinien des angeborenen Gelb laufen quer über das Gesicht von
Ohr zu Ohr, und Augen funkeln unter schattigem Hutrand aus dieser Dun¬
kelheit wie Sterne bei einer Mondfinsterniß.

Indem wir uns in dem rührigen Gedränge hinbewegen, kommen wir zu
den Poi-Verkäufern, die im Schatten in echt nationaler Weise auf ihren Fersen
hocken und von Kunden umstanden sind. Das Poi sieht wie unser gewöhn¬
licher Mehlkleister aus und wird in großen Schüsseln aufbewahrt, die aus
Kürbissen gemacht sind und etwa drei oder vier Gallonen halten. Poi ist
das Hauptnahrungsmittel der Eingebornen und wird aus der Taropflcmze
bereitet. Die Wurzel der letzteren sieht wie eine dicke oder, wenn das besser
klingt, wie eine corpulente Kartoffel von der länglichen Sorte aus und nimmt
durch Kochen eine leichte dunkelrothe Farbe an. Sie ist dann ein erträgliches
Ersatzmittel des Brotes. Die Kanakas backen sie in Erdlöchern, stampfen sie
dann mit einer schweren Lavakeule, vermischen es mit Wasser bis es eine Art
Brei wird, setzen es bei Seite und lassen es gähren, wo es Poi wird -- eine
wenig anlockende Mischung, fast geschmacklos vor der Gährung und später
zu sauer. um ein Vergnügen zu sein. Aber nichts ist nahrhafter. Wird es
indeß ohne Beigabe andrer Speisen genossen, so giebt es Magensäure, was ge¬
nügend den launenhaften Charakter der Kanakas erklärt. Ich glaube, es ge¬
hört ebensoviel Geschick dazu. Poi richtig zu handhaben, als mit chinesischen
Stäbchen Reis zu essen. Der Zeigefinger wird in den Brei hineingestochen
und rasch ein paar Mal herumgedreht, worauf er ebenfalls rasch zurückgezogen
wird und dann dick mit dem Kleister bekleidet erscheint, wie wenn er bepfla¬
stert Wäre. Der Kopf wird zurückgeworfen, der Finger in den Mund gesteckt
und die Delikatesse abgeleckt und hintergeschluckt, während die Augen sich sanft
wie in schmachtender Verzückung schließen. Gar mancher verschiedene Finger


selbstgemachten Halsketten aus der prachtvollen rothen Blüthe der Ohia, und
sie füllen die Märkte und die anliegenden Straßen mit ihrer bunten Gegen¬
wart und — riechen mit ihrem gräulichen Kokusnußöl wie eine in Brand ge¬
rathene Lumpensammlerstube.

Gelegentlich sieht man einen Heiden von den sonnigen Eilanden tief
unten im Süden mit einem so tättowirten Gesicht und Hals, daß er aussieht,
wie der wohlbekannte Bettelmann von Washoe, der in einem Bergwerk in
die Luft gesprengt worden ist. Einige sind mit dunkelblauer Farbe bis zur
Oberlippe herab tättowirt, gleichsam maskirt; denn das natürlich lichte Geld
der Haut des Mikronesiers - bleibt von da an unpunctirt. Einige haben
breite Streifen, die auf beiden Seiten des Gesichts vom Haar bis zum Halse
herunterlaufen, und dazwischen ein Stück des ursprünglichen Gelb, zwei Zoll
breit — ein Bratrost, bei dem eine Querstange abgebrochen ist. Bei einigen
ist das ganze Gesicht durch die volkstümliche Tinte umgefärbt, und nur zwei
dünne Wellenlinien des angeborenen Gelb laufen quer über das Gesicht von
Ohr zu Ohr, und Augen funkeln unter schattigem Hutrand aus dieser Dun¬
kelheit wie Sterne bei einer Mondfinsterniß.

Indem wir uns in dem rührigen Gedränge hinbewegen, kommen wir zu
den Poi-Verkäufern, die im Schatten in echt nationaler Weise auf ihren Fersen
hocken und von Kunden umstanden sind. Das Poi sieht wie unser gewöhn¬
licher Mehlkleister aus und wird in großen Schüsseln aufbewahrt, die aus
Kürbissen gemacht sind und etwa drei oder vier Gallonen halten. Poi ist
das Hauptnahrungsmittel der Eingebornen und wird aus der Taropflcmze
bereitet. Die Wurzel der letzteren sieht wie eine dicke oder, wenn das besser
klingt, wie eine corpulente Kartoffel von der länglichen Sorte aus und nimmt
durch Kochen eine leichte dunkelrothe Farbe an. Sie ist dann ein erträgliches
Ersatzmittel des Brotes. Die Kanakas backen sie in Erdlöchern, stampfen sie
dann mit einer schweren Lavakeule, vermischen es mit Wasser bis es eine Art
Brei wird, setzen es bei Seite und lassen es gähren, wo es Poi wird — eine
wenig anlockende Mischung, fast geschmacklos vor der Gährung und später
zu sauer. um ein Vergnügen zu sein. Aber nichts ist nahrhafter. Wird es
indeß ohne Beigabe andrer Speisen genossen, so giebt es Magensäure, was ge¬
nügend den launenhaften Charakter der Kanakas erklärt. Ich glaube, es ge¬
hört ebensoviel Geschick dazu. Poi richtig zu handhaben, als mit chinesischen
Stäbchen Reis zu essen. Der Zeigefinger wird in den Brei hineingestochen
und rasch ein paar Mal herumgedreht, worauf er ebenfalls rasch zurückgezogen
wird und dann dick mit dem Kleister bekleidet erscheint, wie wenn er bepfla¬
stert Wäre. Der Kopf wird zurückgeworfen, der Finger in den Mund gesteckt
und die Delikatesse abgeleckt und hintergeschluckt, während die Augen sich sanft
wie in schmachtender Verzückung schließen. Gar mancher verschiedene Finger


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_192802/109>, abgerufen am 06.02.2025.