Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Angeschuldigten statt des alten Gottesurtheils gewährte Vergünstigung sei.
So war dem Angeklagten, als sich bereits in Civilsachen ein vollständiges
Beweisverfahren vor der Jury gebildet hatte, noch lange Zeit die Ver¬
theidigung vor der urtheilenden*) Jury beschränkt, und so hielten sich noch
im XVII. Jahrhundert die Richter berechtigt, gegen Geschworene, die gegen die
Ansicht der Richter ein freisprechendes Verdict abgegeben hatten, wie gegen
widerspänstige Zeugen mit Strafen, insbesondere mit hohen Geldbußen ein¬
zuschreiten. So konnte unter Jakob II. noch der berüchtigte Lord Ober¬
richter Jeffreys seine politischen Henkerreisen mit Hilfe der Jury erfolgreich
ausführen, und anfangs war die Jury weit davon entfernt, ein Bollwerk der
englischen Freiheit zu sein. Aber in ihrer in England vollständig ausgebil¬
deten Geschlossenheit und der in England Rechtens gewordenen Ein¬
stimmigkeit des Verdiets trug sie die Anlage dazu allerdings in sich. So be¬
gegnen wir bereits im XVI. Jahrhundert in dem geschichtlich bekannten Processe
HirocKmortoll einer großen Standhaftigkeit der Geschworenen, und berühmt ist
ja das freisprechende Verdict in dem Processe gegen die sieben Bischöfe unter
Jakob II.

Diese Standhaftigkeit der Geschworenen blieb aber nicht ohne Rückwir¬
kung auf die Stellung der Richter. Die glänzende Stellung der englischen
Oberrichter war freilich von jeher eine andere, als die der deutschen rechtsge¬
lehrten Richter. Aber sie waren abhängig von der Krone, nach deren Willen
absetzbar. Der ungerechte Gebrauch, welchen von der Krone abhängige Richter
den Geschworenen und den Angeklagten ^gegenüber von ihrer großen Macht¬
vollkommenheit machten, wurde offenbar durch den Widerstand der Ge¬
schworenen. Bald nach der zweiten Revolution sicherten Parlamentsacte
die Unabsetzbarkeit und Unabhängigkeit der Richter in einem Grade, der sür
die deutschen Richter vielleicht ein unerreichbares^Jdeal sein wird. So haben
in England die Geschworenen den Richtern die Unabhängigkeit unerobert.
Die Richter aber waren bei jenen scandalösen Processen öffentlich und ge¬
waltsam verfahren. Man darf fragen, wie würde sich die Entwicklung ge¬
staltet haben, wenn es den Richtern möglich gewesen wäre, in geheimer
Berathung mit den Geschworenen diese einzeln zu überreden, zu pressen und
so die Stimmen des öffentlichen Gewissens zu fälschen?

Aber noch war auch hiernach die Jury nicht im vollkommen sicheren
Besitze dessen, was ihr nach richtiger Bestimmung ihrer Competenz gebührte.
Noch gegen Ende des XVIII. Jahrhundert wurde der Jury in Libcllprocessen es
streitig gemacht, die Rechtsfrage durch das Verdict mitzuentscheiden: man
wollte sie hier beschränken auf die Feststellung lediglich des Thatsächlichen.



-) Die anfängliche Nügrjmy verwandelte sich später in die Anklagejury, welche aus 2Z
Personen besteht.

Angeschuldigten statt des alten Gottesurtheils gewährte Vergünstigung sei.
So war dem Angeklagten, als sich bereits in Civilsachen ein vollständiges
Beweisverfahren vor der Jury gebildet hatte, noch lange Zeit die Ver¬
theidigung vor der urtheilenden*) Jury beschränkt, und so hielten sich noch
im XVII. Jahrhundert die Richter berechtigt, gegen Geschworene, die gegen die
Ansicht der Richter ein freisprechendes Verdict abgegeben hatten, wie gegen
widerspänstige Zeugen mit Strafen, insbesondere mit hohen Geldbußen ein¬
zuschreiten. So konnte unter Jakob II. noch der berüchtigte Lord Ober¬
richter Jeffreys seine politischen Henkerreisen mit Hilfe der Jury erfolgreich
ausführen, und anfangs war die Jury weit davon entfernt, ein Bollwerk der
englischen Freiheit zu sein. Aber in ihrer in England vollständig ausgebil¬
deten Geschlossenheit und der in England Rechtens gewordenen Ein¬
stimmigkeit des Verdiets trug sie die Anlage dazu allerdings in sich. So be¬
gegnen wir bereits im XVI. Jahrhundert in dem geschichtlich bekannten Processe
HirocKmortoll einer großen Standhaftigkeit der Geschworenen, und berühmt ist
ja das freisprechende Verdict in dem Processe gegen die sieben Bischöfe unter
Jakob II.

Diese Standhaftigkeit der Geschworenen blieb aber nicht ohne Rückwir¬
kung auf die Stellung der Richter. Die glänzende Stellung der englischen
Oberrichter war freilich von jeher eine andere, als die der deutschen rechtsge¬
lehrten Richter. Aber sie waren abhängig von der Krone, nach deren Willen
absetzbar. Der ungerechte Gebrauch, welchen von der Krone abhängige Richter
den Geschworenen und den Angeklagten ^gegenüber von ihrer großen Macht¬
vollkommenheit machten, wurde offenbar durch den Widerstand der Ge¬
schworenen. Bald nach der zweiten Revolution sicherten Parlamentsacte
die Unabsetzbarkeit und Unabhängigkeit der Richter in einem Grade, der sür
die deutschen Richter vielleicht ein unerreichbares^Jdeal sein wird. So haben
in England die Geschworenen den Richtern die Unabhängigkeit unerobert.
Die Richter aber waren bei jenen scandalösen Processen öffentlich und ge¬
waltsam verfahren. Man darf fragen, wie würde sich die Entwicklung ge¬
staltet haben, wenn es den Richtern möglich gewesen wäre, in geheimer
Berathung mit den Geschworenen diese einzeln zu überreden, zu pressen und
so die Stimmen des öffentlichen Gewissens zu fälschen?

Aber noch war auch hiernach die Jury nicht im vollkommen sicheren
Besitze dessen, was ihr nach richtiger Bestimmung ihrer Competenz gebührte.
Noch gegen Ende des XVIII. Jahrhundert wurde der Jury in Libcllprocessen es
streitig gemacht, die Rechtsfrage durch das Verdict mitzuentscheiden: man
wollte sie hier beschränken auf die Feststellung lediglich des Thatsächlichen.



-) Die anfängliche Nügrjmy verwandelte sich später in die Anklagejury, welche aus 2Z
Personen besteht.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0107" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/192910"/>
            <p xml:id="ID_298" prev="#ID_297"> Angeschuldigten statt des alten Gottesurtheils gewährte Vergünstigung sei.<lb/>
So war dem Angeklagten, als sich bereits in Civilsachen ein vollständiges<lb/>
Beweisverfahren vor der Jury gebildet hatte, noch lange Zeit die Ver¬<lb/>
theidigung vor der urtheilenden*) Jury beschränkt, und so hielten sich noch<lb/>
im XVII. Jahrhundert die Richter berechtigt, gegen Geschworene, die gegen die<lb/>
Ansicht der Richter ein freisprechendes Verdict abgegeben hatten, wie gegen<lb/>
widerspänstige Zeugen mit Strafen, insbesondere mit hohen Geldbußen ein¬<lb/>
zuschreiten. So konnte unter Jakob II. noch der berüchtigte Lord Ober¬<lb/>
richter Jeffreys seine politischen Henkerreisen mit Hilfe der Jury erfolgreich<lb/>
ausführen, und anfangs war die Jury weit davon entfernt, ein Bollwerk der<lb/>
englischen Freiheit zu sein. Aber in ihrer in England vollständig ausgebil¬<lb/>
deten Geschlossenheit und der in England Rechtens gewordenen Ein¬<lb/>
stimmigkeit des Verdiets trug sie die Anlage dazu allerdings in sich. So be¬<lb/>
gegnen wir bereits im XVI. Jahrhundert in dem geschichtlich bekannten Processe<lb/>
HirocKmortoll einer großen Standhaftigkeit der Geschworenen, und berühmt ist<lb/>
ja das freisprechende Verdict in dem Processe gegen die sieben Bischöfe unter<lb/>
Jakob II.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_299"> Diese Standhaftigkeit der Geschworenen blieb aber nicht ohne Rückwir¬<lb/>
kung auf die Stellung der Richter. Die glänzende Stellung der englischen<lb/>
Oberrichter war freilich von jeher eine andere, als die der deutschen rechtsge¬<lb/>
lehrten Richter. Aber sie waren abhängig von der Krone, nach deren Willen<lb/>
absetzbar. Der ungerechte Gebrauch, welchen von der Krone abhängige Richter<lb/>
den Geschworenen und den Angeklagten ^gegenüber von ihrer großen Macht¬<lb/>
vollkommenheit machten, wurde offenbar durch den Widerstand der Ge¬<lb/>
schworenen. Bald nach der zweiten Revolution sicherten Parlamentsacte<lb/>
die Unabsetzbarkeit und Unabhängigkeit der Richter in einem Grade, der sür<lb/>
die deutschen Richter vielleicht ein unerreichbares^Jdeal sein wird. So haben<lb/>
in England die Geschworenen den Richtern die Unabhängigkeit unerobert.<lb/>
Die Richter aber waren bei jenen scandalösen Processen öffentlich und ge¬<lb/>
waltsam verfahren. Man darf fragen, wie würde sich die Entwicklung ge¬<lb/>
staltet haben, wenn es den Richtern möglich gewesen wäre, in geheimer<lb/>
Berathung mit den Geschworenen diese einzeln zu überreden, zu pressen und<lb/>
so die Stimmen des öffentlichen Gewissens zu fälschen?</p><lb/>
            <p xml:id="ID_300" next="#ID_301"> Aber noch war auch hiernach die Jury nicht im vollkommen sicheren<lb/>
Besitze dessen, was ihr nach richtiger Bestimmung ihrer Competenz gebührte.<lb/>
Noch gegen Ende des XVIII. Jahrhundert wurde der Jury in Libcllprocessen es<lb/>
streitig gemacht, die Rechtsfrage durch das Verdict mitzuentscheiden: man<lb/>
wollte sie hier beschränken auf die Feststellung lediglich des Thatsächlichen.</p><lb/>
            <note xml:id="FID_82" place="foot"> -) Die anfängliche Nügrjmy verwandelte sich später in die Anklagejury, welche aus 2Z<lb/>
Personen besteht.</note><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0107] Angeschuldigten statt des alten Gottesurtheils gewährte Vergünstigung sei. So war dem Angeklagten, als sich bereits in Civilsachen ein vollständiges Beweisverfahren vor der Jury gebildet hatte, noch lange Zeit die Ver¬ theidigung vor der urtheilenden*) Jury beschränkt, und so hielten sich noch im XVII. Jahrhundert die Richter berechtigt, gegen Geschworene, die gegen die Ansicht der Richter ein freisprechendes Verdict abgegeben hatten, wie gegen widerspänstige Zeugen mit Strafen, insbesondere mit hohen Geldbußen ein¬ zuschreiten. So konnte unter Jakob II. noch der berüchtigte Lord Ober¬ richter Jeffreys seine politischen Henkerreisen mit Hilfe der Jury erfolgreich ausführen, und anfangs war die Jury weit davon entfernt, ein Bollwerk der englischen Freiheit zu sein. Aber in ihrer in England vollständig ausgebil¬ deten Geschlossenheit und der in England Rechtens gewordenen Ein¬ stimmigkeit des Verdiets trug sie die Anlage dazu allerdings in sich. So be¬ gegnen wir bereits im XVI. Jahrhundert in dem geschichtlich bekannten Processe HirocKmortoll einer großen Standhaftigkeit der Geschworenen, und berühmt ist ja das freisprechende Verdict in dem Processe gegen die sieben Bischöfe unter Jakob II. Diese Standhaftigkeit der Geschworenen blieb aber nicht ohne Rückwir¬ kung auf die Stellung der Richter. Die glänzende Stellung der englischen Oberrichter war freilich von jeher eine andere, als die der deutschen rechtsge¬ lehrten Richter. Aber sie waren abhängig von der Krone, nach deren Willen absetzbar. Der ungerechte Gebrauch, welchen von der Krone abhängige Richter den Geschworenen und den Angeklagten ^gegenüber von ihrer großen Macht¬ vollkommenheit machten, wurde offenbar durch den Widerstand der Ge¬ schworenen. Bald nach der zweiten Revolution sicherten Parlamentsacte die Unabsetzbarkeit und Unabhängigkeit der Richter in einem Grade, der sür die deutschen Richter vielleicht ein unerreichbares^Jdeal sein wird. So haben in England die Geschworenen den Richtern die Unabhängigkeit unerobert. Die Richter aber waren bei jenen scandalösen Processen öffentlich und ge¬ waltsam verfahren. Man darf fragen, wie würde sich die Entwicklung ge¬ staltet haben, wenn es den Richtern möglich gewesen wäre, in geheimer Berathung mit den Geschworenen diese einzeln zu überreden, zu pressen und so die Stimmen des öffentlichen Gewissens zu fälschen? Aber noch war auch hiernach die Jury nicht im vollkommen sicheren Besitze dessen, was ihr nach richtiger Bestimmung ihrer Competenz gebührte. Noch gegen Ende des XVIII. Jahrhundert wurde der Jury in Libcllprocessen es streitig gemacht, die Rechtsfrage durch das Verdict mitzuentscheiden: man wollte sie hier beschränken auf die Feststellung lediglich des Thatsächlichen. -) Die anfängliche Nügrjmy verwandelte sich später in die Anklagejury, welche aus 2Z Personen besteht.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_192802
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_192802/107
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_192802/107>, abgerufen am 06.02.2025.