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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band.

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wahrheitung der Parteibehauptung war aber der Eid, und zwar entweder der
Eid der Partei allein oder mit Eidhelfern, d. h. mit Personen, welche ihren
Glauben an die Redlichkeit des Eides der Partei beschworen. Aeußersten
Falles bediente man sich des Zweikampfes, dessen Ausgang man als un¬
mittelbare Entscheidung der Gottheit betrachtete, oder des eigentlichen Gottes-
urtheilcs, d. h. der Probe durch eine Naturkraft, meistens der Probe des
glühenden Eisens oder später des s. g. Kesselfanges: die Partei (der Ange¬
klagte) mußte ein glühendes Eisen anfassen oder eine Strecke tragen oder
den Arm bis zum Ellnbogen in siedendes Wasser eintauchen; blieb die Hand,
der Arm unversehrt, so galt die Partei als nichtschuldig, entgegengesetzten
Falles als überführt. Nur ausnahmsweise kommen Zeugen vor. wesentlich
nur dann, wenn die Parteien dieselben als Garanten bei Rechtsgeschäften
zugezogen hatten; sie unterscheiden sich aber darin sehr erheblich von den Zeugen
im Sinn unsres heutigen Proceßrechts, daß sie nicht über einzelne thatsäch¬
liche Umstände aussagten, aus denen dann der Richter wie h. z. T. nach
seiner Ueberzeugung ein Bild des faktischen Herganges sich zusammengesetzt
hätte, um diesen unter einen bestimmten Rechtssatz zu subsumiren und da¬
raus dann eine bestimmte Rechtsfolge abzuleiten, sondern daß sie sofort er¬
klärten, welche Partei mit ihrer den Ausgang des Processes bedingenden Be¬
hauptung in der Wahrheit und im Rechte sich befinde. In diesem Sinne
kommt auch ein Zeugniß der Gemeinde vor; selbstverständlich aber nur über
Dinge, die überhaupt ihrer Natur nach gemeindekundig sein konnten, z. B.
über die Grenzen eines Grundstückes.

So sonderbar und selbst barbarisch dies wesentlich auf den Eid, den Zwei¬
kampf und das Gottesurtheil basirre Beweisrecht auf den ersten Anblick
erscheinen mag, so war es doch keineswegs in Anbetracht der damaligen
Culturverhältnisse durchaus irrationell. Es bestanden und wurden mit einer
gewißen Feinheit ausgebildet Regeln darüber, wer von den Parteien das
Vorrecht habe, seine Behauptung durch Eid oder durch Eid mit Eidhelfern
zu beweisen, und diese Regeln waren den Bedürfnissen des Verkehrs ganz
angemessen, dienten sogar ganz gut der Feststellung materieller Wahrheit.
Die Partei mußte ihre Behauptungen sofort in endgültiger Form dem Gegner
gegenüber aufstellen und mußte darauf gefaßt sein, sie Angesichts der ganzen
Gemeinde, nöthigenfalls mit Eidhelfern zu beschwören oder auch, wenn irgend
Jemand sie dann des Meineids beschuldigen wollte, deßhalb den Zweikampf
mit dem Unschuldiger zu bestehen. So war die Aufstellung lügenhafter, aus
der Lust gegriffener Behauptungen immerhin um so mehr erschwert, als die¬
selben meistens durch Angabe concreter, nicht leicht vollkommen zu erfindender
Umstände, um hier des technischen Ausdrucks unseres heutigen Processes uns zu
bedienen, substanziirt werden mußten. Dagegen hatte dies Beweisrecht den


wahrheitung der Parteibehauptung war aber der Eid, und zwar entweder der
Eid der Partei allein oder mit Eidhelfern, d. h. mit Personen, welche ihren
Glauben an die Redlichkeit des Eides der Partei beschworen. Aeußersten
Falles bediente man sich des Zweikampfes, dessen Ausgang man als un¬
mittelbare Entscheidung der Gottheit betrachtete, oder des eigentlichen Gottes-
urtheilcs, d. h. der Probe durch eine Naturkraft, meistens der Probe des
glühenden Eisens oder später des s. g. Kesselfanges: die Partei (der Ange¬
klagte) mußte ein glühendes Eisen anfassen oder eine Strecke tragen oder
den Arm bis zum Ellnbogen in siedendes Wasser eintauchen; blieb die Hand,
der Arm unversehrt, so galt die Partei als nichtschuldig, entgegengesetzten
Falles als überführt. Nur ausnahmsweise kommen Zeugen vor. wesentlich
nur dann, wenn die Parteien dieselben als Garanten bei Rechtsgeschäften
zugezogen hatten; sie unterscheiden sich aber darin sehr erheblich von den Zeugen
im Sinn unsres heutigen Proceßrechts, daß sie nicht über einzelne thatsäch¬
liche Umstände aussagten, aus denen dann der Richter wie h. z. T. nach
seiner Ueberzeugung ein Bild des faktischen Herganges sich zusammengesetzt
hätte, um diesen unter einen bestimmten Rechtssatz zu subsumiren und da¬
raus dann eine bestimmte Rechtsfolge abzuleiten, sondern daß sie sofort er¬
klärten, welche Partei mit ihrer den Ausgang des Processes bedingenden Be¬
hauptung in der Wahrheit und im Rechte sich befinde. In diesem Sinne
kommt auch ein Zeugniß der Gemeinde vor; selbstverständlich aber nur über
Dinge, die überhaupt ihrer Natur nach gemeindekundig sein konnten, z. B.
über die Grenzen eines Grundstückes.

So sonderbar und selbst barbarisch dies wesentlich auf den Eid, den Zwei¬
kampf und das Gottesurtheil basirre Beweisrecht auf den ersten Anblick
erscheinen mag, so war es doch keineswegs in Anbetracht der damaligen
Culturverhältnisse durchaus irrationell. Es bestanden und wurden mit einer
gewißen Feinheit ausgebildet Regeln darüber, wer von den Parteien das
Vorrecht habe, seine Behauptung durch Eid oder durch Eid mit Eidhelfern
zu beweisen, und diese Regeln waren den Bedürfnissen des Verkehrs ganz
angemessen, dienten sogar ganz gut der Feststellung materieller Wahrheit.
Die Partei mußte ihre Behauptungen sofort in endgültiger Form dem Gegner
gegenüber aufstellen und mußte darauf gefaßt sein, sie Angesichts der ganzen
Gemeinde, nöthigenfalls mit Eidhelfern zu beschwören oder auch, wenn irgend
Jemand sie dann des Meineids beschuldigen wollte, deßhalb den Zweikampf
mit dem Unschuldiger zu bestehen. So war die Aufstellung lügenhafter, aus
der Lust gegriffener Behauptungen immerhin um so mehr erschwert, als die¬
selben meistens durch Angabe concreter, nicht leicht vollkommen zu erfindender
Umstände, um hier des technischen Ausdrucks unseres heutigen Processes uns zu
bedienen, substanziirt werden mußten. Dagegen hatte dies Beweisrecht den


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_192802/100>, abgerufen am 06.02.2025.