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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. II. Band.

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befriedigende Lösung finde, erwiederte der König: "Ich bin auch dafür zu
jedem Opfer bereit." Nach raschem Abschluß seiner Berliner Mission und
persönlicher Berichterstattung in Dresden, eilte Biedermann in das Frankfurter
Vorparlament, wo er einer zwischen der Rechten und Linken vermittelnden
Partei angehörte, und namentlich auch Blum's Wahl in den Fünfzigeraus¬
schuß befürwortete.

Weit feindseliger stellte sich die radikale Partei in Sachsen Biedermann
gegenüber. Sie drohte, überall, wo er zum Parlament candidiren würde,
ihm ihren Führer Blum entgegenzustellen. Und diese Drohung war nicht zu
unterschätzen in einem Lande, das an den Bezirkswahlzwang gewöhnt war,
und daher nur Kirchthurmscelebritäten oder weithin genannte Namen auf die
Kandidatenliste zu setzen geneigt schien. Aber gerade hier kam Biedermann
sein weithin gedrungenes publicistisches Wirken trefflich zu statten. Er wurde
in Zwickau mit Zweidrittelmajorität gewählt und hatte fünf bis sechs Man¬
datsangebote abzulehnen. Ueber den Antheil Biedermann's am Frankfurter
Parlament giebt den besten Aufschluß seine noch heute viel gelesene Schrift
"Erinnerungen aus der Paulskirche" (1848), wol die gründlichste und ma߬
vollste Denkschrift persönlicher Beobachtung aus jenen Tagen. Seine Partei¬
stellung und sein Wirken daselbst darf bei jedem Gebildeten als bekannt vor¬
ausgesetzt werden. An Ehrenstellen der Versammlung wurde ihm gleich an¬
fangs das zweite Schriftsühreramt, in den letzten Wochen der Versammlung
das Amt des ersten Vicepräsidenten übertragen. In der von ihm unbegrün¬
deten "Erbkaiserpartei", dem "Weidenbuschverein", führte er fast unausgesetzt
den Vorsitz. Anfang April 1849 war er Mitglied der Kaiserdeputation nach
Berlin. Das hoffnungsreich begonnene Jahr der großen Bewegung hatte
ihm persönlich mit schmerzlichsten Mißklang geendet: die theure Mutter war
ihm gestorben.

In den ersten Tagen des Juni 1849 kehrte er wieder nach Leipzig zu¬
rück. "Mit welchen Gefühlen, wäre schwer^ zu sagen", schreibt er selbst.*)
"Ueber ein Jahr lang hatte ich mich nur mit den höchsten Angelegenheiten
der Nation beschäftigt, mit den edelsten und erleuchtetsten, gleich mir für so
hohe Ziele aufs Lebhafteste begeisterten Männern verkehrt. Jetzt trat ich
wieder ein in die Kreise Solcher, die von dem "Rausche" des Jahres 1848
zu ihren gewohnten Alltagsbeschäftigungen zurückgekehrt waren und an die
Hoffnungen und Enttäuschungen der nächsten Vergangenheit, vollends an
ihre eigene Betheiligung daran, um keinen Preis erinnert sein mochten. Sie
hatten keinerlei sympathisches Verständniß für den ungeheuren Schmerz, der
mein ganzes Inneres erfüllte, oder für die hartnäckige Zähigkeit, womit ich



') Deutsche Nationalbibliothek von Feld. Schmidt, 3. Bd. Berlin, B. Bngl. 1862. S. l.XIV.

befriedigende Lösung finde, erwiederte der König: „Ich bin auch dafür zu
jedem Opfer bereit." Nach raschem Abschluß seiner Berliner Mission und
persönlicher Berichterstattung in Dresden, eilte Biedermann in das Frankfurter
Vorparlament, wo er einer zwischen der Rechten und Linken vermittelnden
Partei angehörte, und namentlich auch Blum's Wahl in den Fünfzigeraus¬
schuß befürwortete.

Weit feindseliger stellte sich die radikale Partei in Sachsen Biedermann
gegenüber. Sie drohte, überall, wo er zum Parlament candidiren würde,
ihm ihren Führer Blum entgegenzustellen. Und diese Drohung war nicht zu
unterschätzen in einem Lande, das an den Bezirkswahlzwang gewöhnt war,
und daher nur Kirchthurmscelebritäten oder weithin genannte Namen auf die
Kandidatenliste zu setzen geneigt schien. Aber gerade hier kam Biedermann
sein weithin gedrungenes publicistisches Wirken trefflich zu statten. Er wurde
in Zwickau mit Zweidrittelmajorität gewählt und hatte fünf bis sechs Man¬
datsangebote abzulehnen. Ueber den Antheil Biedermann's am Frankfurter
Parlament giebt den besten Aufschluß seine noch heute viel gelesene Schrift
„Erinnerungen aus der Paulskirche" (1848), wol die gründlichste und ma߬
vollste Denkschrift persönlicher Beobachtung aus jenen Tagen. Seine Partei¬
stellung und sein Wirken daselbst darf bei jedem Gebildeten als bekannt vor¬
ausgesetzt werden. An Ehrenstellen der Versammlung wurde ihm gleich an¬
fangs das zweite Schriftsühreramt, in den letzten Wochen der Versammlung
das Amt des ersten Vicepräsidenten übertragen. In der von ihm unbegrün¬
deten „Erbkaiserpartei", dem „Weidenbuschverein", führte er fast unausgesetzt
den Vorsitz. Anfang April 1849 war er Mitglied der Kaiserdeputation nach
Berlin. Das hoffnungsreich begonnene Jahr der großen Bewegung hatte
ihm persönlich mit schmerzlichsten Mißklang geendet: die theure Mutter war
ihm gestorben.

In den ersten Tagen des Juni 1849 kehrte er wieder nach Leipzig zu¬
rück. „Mit welchen Gefühlen, wäre schwer^ zu sagen", schreibt er selbst.*)
„Ueber ein Jahr lang hatte ich mich nur mit den höchsten Angelegenheiten
der Nation beschäftigt, mit den edelsten und erleuchtetsten, gleich mir für so
hohe Ziele aufs Lebhafteste begeisterten Männern verkehrt. Jetzt trat ich
wieder ein in die Kreise Solcher, die von dem „Rausche" des Jahres 1848
zu ihren gewohnten Alltagsbeschäftigungen zurückgekehrt waren und an die
Hoffnungen und Enttäuschungen der nächsten Vergangenheit, vollends an
ihre eigene Betheiligung daran, um keinen Preis erinnert sein mochten. Sie
hatten keinerlei sympathisches Verständniß für den ungeheuren Schmerz, der
mein ganzes Inneres erfüllte, oder für die hartnäckige Zähigkeit, womit ich



') Deutsche Nationalbibliothek von Feld. Schmidt, 3. Bd. Berlin, B. Bngl. 1862. S. l.XIV.
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[0379] befriedigende Lösung finde, erwiederte der König: „Ich bin auch dafür zu jedem Opfer bereit." Nach raschem Abschluß seiner Berliner Mission und persönlicher Berichterstattung in Dresden, eilte Biedermann in das Frankfurter Vorparlament, wo er einer zwischen der Rechten und Linken vermittelnden Partei angehörte, und namentlich auch Blum's Wahl in den Fünfzigeraus¬ schuß befürwortete. Weit feindseliger stellte sich die radikale Partei in Sachsen Biedermann gegenüber. Sie drohte, überall, wo er zum Parlament candidiren würde, ihm ihren Führer Blum entgegenzustellen. Und diese Drohung war nicht zu unterschätzen in einem Lande, das an den Bezirkswahlzwang gewöhnt war, und daher nur Kirchthurmscelebritäten oder weithin genannte Namen auf die Kandidatenliste zu setzen geneigt schien. Aber gerade hier kam Biedermann sein weithin gedrungenes publicistisches Wirken trefflich zu statten. Er wurde in Zwickau mit Zweidrittelmajorität gewählt und hatte fünf bis sechs Man¬ datsangebote abzulehnen. Ueber den Antheil Biedermann's am Frankfurter Parlament giebt den besten Aufschluß seine noch heute viel gelesene Schrift „Erinnerungen aus der Paulskirche" (1848), wol die gründlichste und ma߬ vollste Denkschrift persönlicher Beobachtung aus jenen Tagen. Seine Partei¬ stellung und sein Wirken daselbst darf bei jedem Gebildeten als bekannt vor¬ ausgesetzt werden. An Ehrenstellen der Versammlung wurde ihm gleich an¬ fangs das zweite Schriftsühreramt, in den letzten Wochen der Versammlung das Amt des ersten Vicepräsidenten übertragen. In der von ihm unbegrün¬ deten „Erbkaiserpartei", dem „Weidenbuschverein", führte er fast unausgesetzt den Vorsitz. Anfang April 1849 war er Mitglied der Kaiserdeputation nach Berlin. Das hoffnungsreich begonnene Jahr der großen Bewegung hatte ihm persönlich mit schmerzlichsten Mißklang geendet: die theure Mutter war ihm gestorben. In den ersten Tagen des Juni 1849 kehrte er wieder nach Leipzig zu¬ rück. „Mit welchen Gefühlen, wäre schwer^ zu sagen", schreibt er selbst.*) „Ueber ein Jahr lang hatte ich mich nur mit den höchsten Angelegenheiten der Nation beschäftigt, mit den edelsten und erleuchtetsten, gleich mir für so hohe Ziele aufs Lebhafteste begeisterten Männern verkehrt. Jetzt trat ich wieder ein in die Kreise Solcher, die von dem „Rausche" des Jahres 1848 zu ihren gewohnten Alltagsbeschäftigungen zurückgekehrt waren und an die Hoffnungen und Enttäuschungen der nächsten Vergangenheit, vollends an ihre eigene Betheiligung daran, um keinen Preis erinnert sein mochten. Sie hatten keinerlei sympathisches Verständniß für den ungeheuren Schmerz, der mein ganzes Inneres erfüllte, oder für die hartnäckige Zähigkeit, womit ich ') Deutsche Nationalbibliothek von Feld. Schmidt, 3. Bd. Berlin, B. Bngl. 1862. S. l.XIV.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_129525/379>, abgerufen am 12.01.2025.