Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. II. Band.Philosophen Gebrauch gemacht hatte, über den Urgrund des Seins und einige So hatte sich denn Biedermann eine bedeutende academische Laufbahn Philosophen Gebrauch gemacht hatte, über den Urgrund des Seins und einige So hatte sich denn Biedermann eine bedeutende academische Laufbahn <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0375" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/129901"/> <p xml:id="ID_1225" prev="#ID_1224"> Philosophen Gebrauch gemacht hatte, über den Urgrund des Seins und einige<lb/> verwandte Fragen zu schreiben, war man ihm in Dresden wohlgewogen ge¬<lb/> wesen, und hatte ihn ungewöhnlich rasch zum außerordentlichen Professor be¬<lb/> fördert. Nun aber waren seine Vorträge, seine Schriften, und ganz beson¬<lb/> ders seine Gesellschaften plötzlich „zu wenig positiv". Er möge sich doch reli¬<lb/> giöser, rechtlicher und staatlicher Fragen enthalten, schrieb man ihm von<lb/> Dresden, „und sich am besten auf das Gebiet des rein formalen Denkens,<lb/> der Logik (!), beschränken!" Sonst werde er auf Beförderung nicht zu rech¬<lb/> nen haben. Und als ihm eine Professur in Dorpat in Aussicht gestellt wurde,<lb/> meinte der damalige Chef des Sächsischen Kultusministeriums treuherzig: man<lb/> sehe es ganz gern, wenn junge Lehrkräfte sich einmal auswärts versuchten;<lb/> später könne man sie ja wieder zurückberufen. — Ja, später!</p><lb/> <p xml:id="ID_1226" next="#ID_1227"> So hatte sich denn Biedermann eine bedeutende academische Laufbahn<lb/> schon verscherzt, als er zum ersten Mal seine Wissenschaft für das practische<lb/> Leben nutzbar zu machen suchte, und es gehörte sein unbestechlicher Drang<lb/> nach Wahrheit und Unabhängigkeit dazu, um diesen Lockungen und Einschüchte¬<lb/> rungen gegenüber standhaft zu bleiben. Denn an seinen materiellen Erwerb<lb/> stellten seine persönlichen Verhältnisse gerade jetzt größere Anforderungen als<lb/> je zuvor. Schon in den Tagen seiner ersten Leipziger Studienzeit hatte er<lb/> in der Familie des jetzigen Leipziger Bürgermeisters Koch einen Kreis gefun¬<lb/> den, der ihn vor allen andern anzog. Mit einer der Schwestern des Freun¬<lb/> des hatte er sich 1836 verlobt, und wünschte, einen eigenen Hausstand zu<lb/> gründen. Nun war ihm auch der Stiefvater gestorben, und hatte die treue<lb/> Mutter seiner Sorge allein hinterlassen. Jugendfrisch und kühn warf sich in dieser<lb/> Lage der zurückgesetzte Docent in die ungewohnte Bahn der Journalistik.<lb/> Seine durch manche gute Arbeit bethätigte Mitarbeiterschaft an den „Halli¬<lb/> schen Jahrbüchern" ermuthigte ihn, den bewährten Rath Hitzig's für seinen<lb/> Plan anzurufen, eine „deutsche Monatsschrift für Literatur und öffentliches<lb/> Leben" herauszugeben. Hitzig warnte: der Journalist wirke wol für den<lb/> Augenblick, aber er gebe auch sein bestes Theil an solche Einzelwirkung hin,<lb/> und gelange kaum mehr zu gesammelter, auf Großes gerichteter Thätigkeit.<lb/> Aber als Biedermann bei dem Plane beharrte, sorgte Hitzig liebenswürdig<lb/> für einen Verleger. Das Programm, mit welchem der Redacteur zu Beginn<lb/> des Jahres 1842 die deutsche Monatsschrift beim Publikum zuerst einführte,<lb/> enthält schon die entschiedene Forderung des politischen Anschlusses der deut¬<lb/> schen Staaten an Preußen, der Ausbildung des Zollvereins nach der politischen<lb/> Seite, der Klärung der Beziehungen zwischen Staat und Kirche, Zurückfüh-<lb/> rung der Letzteren auf ihre ursprüngliche und natürliche Basis, die Gemeinde;<lb/> also lauter eminent moderne Forderungen. Die Monatsschrift sammelte bald<lb/> viele nationale und gemäßigt liberale Geister Deutschlands um sich, und for-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0375]
Philosophen Gebrauch gemacht hatte, über den Urgrund des Seins und einige
verwandte Fragen zu schreiben, war man ihm in Dresden wohlgewogen ge¬
wesen, und hatte ihn ungewöhnlich rasch zum außerordentlichen Professor be¬
fördert. Nun aber waren seine Vorträge, seine Schriften, und ganz beson¬
ders seine Gesellschaften plötzlich „zu wenig positiv". Er möge sich doch reli¬
giöser, rechtlicher und staatlicher Fragen enthalten, schrieb man ihm von
Dresden, „und sich am besten auf das Gebiet des rein formalen Denkens,
der Logik (!), beschränken!" Sonst werde er auf Beförderung nicht zu rech¬
nen haben. Und als ihm eine Professur in Dorpat in Aussicht gestellt wurde,
meinte der damalige Chef des Sächsischen Kultusministeriums treuherzig: man
sehe es ganz gern, wenn junge Lehrkräfte sich einmal auswärts versuchten;
später könne man sie ja wieder zurückberufen. — Ja, später!
So hatte sich denn Biedermann eine bedeutende academische Laufbahn
schon verscherzt, als er zum ersten Mal seine Wissenschaft für das practische
Leben nutzbar zu machen suchte, und es gehörte sein unbestechlicher Drang
nach Wahrheit und Unabhängigkeit dazu, um diesen Lockungen und Einschüchte¬
rungen gegenüber standhaft zu bleiben. Denn an seinen materiellen Erwerb
stellten seine persönlichen Verhältnisse gerade jetzt größere Anforderungen als
je zuvor. Schon in den Tagen seiner ersten Leipziger Studienzeit hatte er
in der Familie des jetzigen Leipziger Bürgermeisters Koch einen Kreis gefun¬
den, der ihn vor allen andern anzog. Mit einer der Schwestern des Freun¬
des hatte er sich 1836 verlobt, und wünschte, einen eigenen Hausstand zu
gründen. Nun war ihm auch der Stiefvater gestorben, und hatte die treue
Mutter seiner Sorge allein hinterlassen. Jugendfrisch und kühn warf sich in dieser
Lage der zurückgesetzte Docent in die ungewohnte Bahn der Journalistik.
Seine durch manche gute Arbeit bethätigte Mitarbeiterschaft an den „Halli¬
schen Jahrbüchern" ermuthigte ihn, den bewährten Rath Hitzig's für seinen
Plan anzurufen, eine „deutsche Monatsschrift für Literatur und öffentliches
Leben" herauszugeben. Hitzig warnte: der Journalist wirke wol für den
Augenblick, aber er gebe auch sein bestes Theil an solche Einzelwirkung hin,
und gelange kaum mehr zu gesammelter, auf Großes gerichteter Thätigkeit.
Aber als Biedermann bei dem Plane beharrte, sorgte Hitzig liebenswürdig
für einen Verleger. Das Programm, mit welchem der Redacteur zu Beginn
des Jahres 1842 die deutsche Monatsschrift beim Publikum zuerst einführte,
enthält schon die entschiedene Forderung des politischen Anschlusses der deut¬
schen Staaten an Preußen, der Ausbildung des Zollvereins nach der politischen
Seite, der Klärung der Beziehungen zwischen Staat und Kirche, Zurückfüh-
rung der Letzteren auf ihre ursprüngliche und natürliche Basis, die Gemeinde;
also lauter eminent moderne Forderungen. Die Monatsschrift sammelte bald
viele nationale und gemäßigt liberale Geister Deutschlands um sich, und for-
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