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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. II. Band.

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ihm an eigenen Studien immer klarer, daß seine höchsten Interessen ihn an
das Studium der Philosophie fesselten, daß in einer academischen Lehrthä¬
tigkeit auch nach dieser Seite hin sein ' Lebensberuf liege. Als diese Klarheit
gefunden war, wurde eifrigst Philosophie und Literatur, namentlich auch
italienische und französische, im Original studirt, und daneben in eingehend,
ster Weise Land und Leute. Die Pfalz, Frankfurt, der Rhein, Holland,
Belgien, Schwaben, die nördliche Schweiz wurden während der Ferien durch¬
streift, und an dem damals so reichen politischen Leben Badens zum ersten
Male ein dämmerndes Interesse für das öffentliche Leben genommen. Die
Politik hatte den Studenten Biedermann in Leipzig völlig kalt gelassen, ob-
wol Sachsen gerade während seines dortigen Aufenthaltes in die Reihe der
constitutionellen Staaten eingetreten war, und Leipzig eine kleine Revolution
gesehen hatte! Auch viele andere unsrer namhaftesten Abgeordneten haben
noch im beginnenden Mannesalter nicht an Politik gedacht, geschweige denn
an eine eigene politische Rolle. Bon Simson. Bennigsen, Laster u. A. haben
d> Bl. bereits früher diese merkwürdige Thatsache berichtet. Sie ist ein Be¬
weis dafür, wie jung unser politisches Leben ist, wie wenig der Einzelne noch
das politische und parlamentarische Wirken als Lebensberuf ins Auge faßt.
Dafür sind unsere parlamentarischen Vertretungen bisher aber auch fast ganz
rein geblieben von den widerwärtigen Symptomen eines gewerbsmäßigen Par¬
lamentarismus. von den unreinen Jnteressenkämpfen der "xolitieg,! wen".

Auch Biedermann, als er zu Ostern 1834 Heidelberg verließ, um, nach
mehrmonatlichen Aufenthalt im Elternhause, nach Leipzig zurückzukehren und
hier die akademische Laufbahn zu beginnen, dachte nicht im entferntesten an
eigenes politisches Wirken. Er setzte mit grimmigem Fleiß seine philosophischen
Studien fort, und habilitirte sich im Herbst 1835 als Privatdocent durch Ver¬
theidigung einer, natürlich lateinischen Dissertation, in welcher die Systeme
Fichte's, Schellina.'s und. Hegel's eine entschiedene kritische Ablehnung er¬
fuhren. Ja, der junge Docent fand schon im folgenden Jahre den Muth,
sich an eine "Fundamental-Philosophie" zu wagen, und wenige Jahre später
sich um den von der Pariser Akademie der moralischen und politischen Wissen¬
schaften ausgeschriebenen Preis für eine "Geschichte der deutschen Philosophie
seit Kant" zu bewerben. Diesen Preis hat Biedermann zwar nicht ge¬
wonnen. Das erste Mal war es der bedenkliche französische Stil des Deut¬
schen, der ihm den Preis verscherzte; das zweite Mal sein freier religiöser
Standpunkt, dessen Gegentheil in Paris inzwischen Mode geworden war.
Aber beide Male wurde seine Arbeit unter allen Concurrenzschriften als die
vornehmste und bedeutendste bezeichnet. Sie erschien 1842 und 1843 in deut¬
scher Bearbeitung in zwei Bänden unter dem Titel "die deutsche Philosophie
von Kant bis auf unsere Zeit, ihre wissenschaftliche Entwicklung und ihre


ihm an eigenen Studien immer klarer, daß seine höchsten Interessen ihn an
das Studium der Philosophie fesselten, daß in einer academischen Lehrthä¬
tigkeit auch nach dieser Seite hin sein ' Lebensberuf liege. Als diese Klarheit
gefunden war, wurde eifrigst Philosophie und Literatur, namentlich auch
italienische und französische, im Original studirt, und daneben in eingehend,
ster Weise Land und Leute. Die Pfalz, Frankfurt, der Rhein, Holland,
Belgien, Schwaben, die nördliche Schweiz wurden während der Ferien durch¬
streift, und an dem damals so reichen politischen Leben Badens zum ersten
Male ein dämmerndes Interesse für das öffentliche Leben genommen. Die
Politik hatte den Studenten Biedermann in Leipzig völlig kalt gelassen, ob-
wol Sachsen gerade während seines dortigen Aufenthaltes in die Reihe der
constitutionellen Staaten eingetreten war, und Leipzig eine kleine Revolution
gesehen hatte! Auch viele andere unsrer namhaftesten Abgeordneten haben
noch im beginnenden Mannesalter nicht an Politik gedacht, geschweige denn
an eine eigene politische Rolle. Bon Simson. Bennigsen, Laster u. A. haben
d> Bl. bereits früher diese merkwürdige Thatsache berichtet. Sie ist ein Be¬
weis dafür, wie jung unser politisches Leben ist, wie wenig der Einzelne noch
das politische und parlamentarische Wirken als Lebensberuf ins Auge faßt.
Dafür sind unsere parlamentarischen Vertretungen bisher aber auch fast ganz
rein geblieben von den widerwärtigen Symptomen eines gewerbsmäßigen Par¬
lamentarismus. von den unreinen Jnteressenkämpfen der „xolitieg,! wen".

Auch Biedermann, als er zu Ostern 1834 Heidelberg verließ, um, nach
mehrmonatlichen Aufenthalt im Elternhause, nach Leipzig zurückzukehren und
hier die akademische Laufbahn zu beginnen, dachte nicht im entferntesten an
eigenes politisches Wirken. Er setzte mit grimmigem Fleiß seine philosophischen
Studien fort, und habilitirte sich im Herbst 1835 als Privatdocent durch Ver¬
theidigung einer, natürlich lateinischen Dissertation, in welcher die Systeme
Fichte's, Schellina.'s und. Hegel's eine entschiedene kritische Ablehnung er¬
fuhren. Ja, der junge Docent fand schon im folgenden Jahre den Muth,
sich an eine „Fundamental-Philosophie" zu wagen, und wenige Jahre später
sich um den von der Pariser Akademie der moralischen und politischen Wissen¬
schaften ausgeschriebenen Preis für eine „Geschichte der deutschen Philosophie
seit Kant" zu bewerben. Diesen Preis hat Biedermann zwar nicht ge¬
wonnen. Das erste Mal war es der bedenkliche französische Stil des Deut¬
schen, der ihm den Preis verscherzte; das zweite Mal sein freier religiöser
Standpunkt, dessen Gegentheil in Paris inzwischen Mode geworden war.
Aber beide Male wurde seine Arbeit unter allen Concurrenzschriften als die
vornehmste und bedeutendste bezeichnet. Sie erschien 1842 und 1843 in deut¬
scher Bearbeitung in zwei Bänden unter dem Titel „die deutsche Philosophie
von Kant bis auf unsere Zeit, ihre wissenschaftliche Entwicklung und ihre


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_129525/373>, abgerufen am 11.01.2025.