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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. II. Band.

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gehen der Regierungen, vornehmlich der Reichsregierung, auf jede berechtigte
Initiative und Entschließung des Volkswillens. Unter allen Parteien, die sich
zur nächsten Wahlschlacht richten, sind nur drei, die ohne alle Befriedigung
auf die Arbeiten des Reichstags und der Landtage während der letzten drei
Jahre zurückblicken: die feudalen Junker, die Socialisten und die Herren des
Centrums. Den letzten gab schon Karl Vogt im Frankfurter Parlament
den Rath, sich auf der äußersten Rechten und Linken gleichzeitig ein Bänk¬
chen nebenhinaus nageln zu lassen. Diese Parteien -- unter denen wir die
paar Polen, Welsen und Particularisten nur der Vollständigkeit halber mit¬
zählen -- sprechen durch ihre Lossagung von dem Marsche der deutschen Ge¬
setzgebung des letzten Trienmums zugleich in vernichtendster Weise ihr eigenes
Verdammungsurtheil aus. Ihr Standpunkt ist der Isolirschemel. Aus
eigener Kraft und Wurzel ziehen sie mit nichten die Säfte ihres Wirkens.
Das ist das dritte glückliche Zeichen der parlamentarischen Arbeit und Partei-
gruppirung unsrer Tage.

Es ist nicht immer so leicht geworden, nach beendigter Wahlperiode zu
den Wählern zurückzukehren mit der freudigen Botschaft: wir haben erfüllt
und erreicht, was wir unserm parlamentarischen Wirken zum Ziel setzten. Im
Reichstage sitzen noch Männer genug, die uns erzählen können von der Müh¬
sal des parlamentarischen und publicistischen Wirkens in den Landtagen, in
der Presse, in Flugblättern und Versammlungen während der zwei oder drei
Jahrzehnte, die der staatlichen Revolution von 1866 vorausgingen. Wie oft
kamen sie vom Landtag mit leeren Händen nach Hause. Wie oft fand ihr
politisches Wirken in der Volksvertretung, in Schriften und Reden, den un¬
harmonischen Nachhall strafrechtlicher Verfolgung. Niemand, auch nicht der
hartgesottenste Particularist, wird leugnen können, daß dieser Jammer der
neidischen Impotenz deutscher Kleinstaaterei völlig beseitigt wurde erst unter
dem Schirmdach des Norddeutschen Bundes und deutschen Reiches. Auch für
die Landtags-Errungenschaften ist seitdem das Tempo ein anderes geworden.
Und vollends für die nationalen Strebungen. Bis 1866 waren ja die heilig¬
sten Interessen der Nation an das feierliche Nichtsthun der Eschenheimer Gasse
geschmiedet.

Die grellsten Schlaglichter auf den gewaltigen Abstand zwischen damals
und heute werfen Schilderungen aus solchen deutschen "Staaten", in denen
vor 1866 in Negierungskreisen die Ueberzeugung von der eigenen Bedeutung
genau so groß und lebhaft war, als die Abneigung gegen Concessionen an die
nationalen Strebungen des deutschen Volkes. In dieser Hinsicht erfreut sich
das Beust'sche Sachsen einer Celebrität, die durch die damaligen Leistungen
Baierns, Württembergs und der beiden Hessen kaum in Schatten gestellt
wird. Bis wir eine vollständige quellenmäßige Geschichte des deutschen Bun-


gehen der Regierungen, vornehmlich der Reichsregierung, auf jede berechtigte
Initiative und Entschließung des Volkswillens. Unter allen Parteien, die sich
zur nächsten Wahlschlacht richten, sind nur drei, die ohne alle Befriedigung
auf die Arbeiten des Reichstags und der Landtage während der letzten drei
Jahre zurückblicken: die feudalen Junker, die Socialisten und die Herren des
Centrums. Den letzten gab schon Karl Vogt im Frankfurter Parlament
den Rath, sich auf der äußersten Rechten und Linken gleichzeitig ein Bänk¬
chen nebenhinaus nageln zu lassen. Diese Parteien — unter denen wir die
paar Polen, Welsen und Particularisten nur der Vollständigkeit halber mit¬
zählen — sprechen durch ihre Lossagung von dem Marsche der deutschen Ge¬
setzgebung des letzten Trienmums zugleich in vernichtendster Weise ihr eigenes
Verdammungsurtheil aus. Ihr Standpunkt ist der Isolirschemel. Aus
eigener Kraft und Wurzel ziehen sie mit nichten die Säfte ihres Wirkens.
Das ist das dritte glückliche Zeichen der parlamentarischen Arbeit und Partei-
gruppirung unsrer Tage.

Es ist nicht immer so leicht geworden, nach beendigter Wahlperiode zu
den Wählern zurückzukehren mit der freudigen Botschaft: wir haben erfüllt
und erreicht, was wir unserm parlamentarischen Wirken zum Ziel setzten. Im
Reichstage sitzen noch Männer genug, die uns erzählen können von der Müh¬
sal des parlamentarischen und publicistischen Wirkens in den Landtagen, in
der Presse, in Flugblättern und Versammlungen während der zwei oder drei
Jahrzehnte, die der staatlichen Revolution von 1866 vorausgingen. Wie oft
kamen sie vom Landtag mit leeren Händen nach Hause. Wie oft fand ihr
politisches Wirken in der Volksvertretung, in Schriften und Reden, den un¬
harmonischen Nachhall strafrechtlicher Verfolgung. Niemand, auch nicht der
hartgesottenste Particularist, wird leugnen können, daß dieser Jammer der
neidischen Impotenz deutscher Kleinstaaterei völlig beseitigt wurde erst unter
dem Schirmdach des Norddeutschen Bundes und deutschen Reiches. Auch für
die Landtags-Errungenschaften ist seitdem das Tempo ein anderes geworden.
Und vollends für die nationalen Strebungen. Bis 1866 waren ja die heilig¬
sten Interessen der Nation an das feierliche Nichtsthun der Eschenheimer Gasse
geschmiedet.

Die grellsten Schlaglichter auf den gewaltigen Abstand zwischen damals
und heute werfen Schilderungen aus solchen deutschen „Staaten", in denen
vor 1866 in Negierungskreisen die Ueberzeugung von der eigenen Bedeutung
genau so groß und lebhaft war, als die Abneigung gegen Concessionen an die
nationalen Strebungen des deutschen Volkes. In dieser Hinsicht erfreut sich
das Beust'sche Sachsen einer Celebrität, die durch die damaligen Leistungen
Baierns, Württembergs und der beiden Hessen kaum in Schatten gestellt
wird. Bis wir eine vollständige quellenmäßige Geschichte des deutschen Bun-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_129525/370>, abgerufen am 11.01.2025.