Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. II. Band.die konservativen Elemente. Links von dem Herzen der Stadt, in den Stra¬ Diese Erkenntniß hat die neueste Staatsaction nicht bloß beschleunigt, Frankreich ist ruhig. Der Telegraph hat bis zu diesem Augenblick, die die konservativen Elemente. Links von dem Herzen der Stadt, in den Stra¬ Diese Erkenntniß hat die neueste Staatsaction nicht bloß beschleunigt, Frankreich ist ruhig. Der Telegraph hat bis zu diesem Augenblick, die <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0367" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/129893"/> <p xml:id="ID_1204" prev="#ID_1203"> die konservativen Elemente. Links von dem Herzen der Stadt, in den Stra¬<lb/> ßen, wo Handel und Industrie vorzugsweise sich angesiedelt haben, tiefe<lb/> und mürrische, aber thatlose Verdrossenheit über die Niederlage der Linken,<lb/> über den Fall des Nachfolgers der M'evsö nationale. Heut sind es fast ge¬<lb/> nau zwei Jahre, daß Thiers die Commune blutig in den Staub warf, sagte<lb/> mir ein 6xieier der Rue Lebrun in stiller Verzweiflung, und sein Werkzeug<lb/> von damals ist heute sein Nachfolger. Hat der Marschall heute einen an¬<lb/> dern Ehrgeiz, als das Werkzeug seines eigenen Nachfolgers zu sein? Hui<lb/> vivrs., vsrra. So der Epicier. So wie Versailles, ist wol ganz Frankreich<lb/> in zwei fast gleiche Hälften der neuen Regierung gegenüber getheilt. Ja,<lb/> wenn Frankreich befragt worden wäre, so hätte es zweifellos den Präsidenten<lb/> Thiers im Amte erhalten, und ihm durch die Abstimmung wahrscheinlich<lb/> einen Mitregenten aus dem radicalen Lager, wie Gambetta, eher aufgedrängt,<lb/> als aus dem konservativen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1205"> Diese Erkenntniß hat die neueste Staatsaction nicht bloß beschleunigt,<lb/> sondern geradezu veranlaßt. Die Siege der Radicalen bei den Nachwahlen,<lb/> die Verstärkung des liberalen Elements in dem letzten Ministerium des Prä¬<lb/> sidenten Thiers waren nur Vorwände zum Angriff, keineswegs besorgnißer-<lb/> regend für conservative Geister. Dagegen leidenschaftlich erbitternd wirkte die<lb/> stets und in ganz Frankreich wachsende Theilnahmlosigkeit und Abneigung<lb/> gegen die Leistungen und Arbeiten der Assemblee auf die Fraktionen der<lb/> Rechten. Dazu kam, daß die Regierung selbst diesen Ansichten soweit als<lb/> möglich entgegen kam. Der Zeitpunkt der „Befreiung des Territoriums"<lb/> war offen als der Moment der Neuwahlen und der neuen definitiven Ver¬<lb/> fassung bezeichnet. Bis dahin zählte man nur noch wenige Monate. Daß<lb/> die Neuwahlen und die neue Verfassung der Monarchie nicht günstig sein<lb/> würden, war offenbar. So lag für die Rechte Gefahr im Verzüge. Man<lb/> sammelte alle Streitkräfte, man begann den Angriff, man siegte — mit einer<lb/> Nasenlänge, mit vierzehn Stimmen, in der entscheidenden Abstimmung, von<lb/> fast siebenhundert.</p><lb/> <p xml:id="ID_1206" next="#ID_1207"> Frankreich ist ruhig. Der Telegraph hat bis zu diesem Augenblick, die<lb/> Kunde von dem unerwarteten Umschwung bereits in die äußersten Grenzen<lb/> des Reichs getragen, und die Rückäußerung uns vermittelt, daß Alles er¬<lb/> regt, aber nirgend die Ruhe gestört sei, auch in Lyon nicht. Diese Nach¬<lb/> richt kommt nicht unerwartet. Mein Weg führte mich in der gestrigen Nacht<lb/> vorüber an jener Villa, vor welcher der starke militärische Posten den Wan¬<lb/> derer erinnert, daß sie das Gefängniß des Marschalls Bazaine ist. Der<lb/> brennende Ehrgeiz, der hinter diesen Mauern von der Republik in Banden<lb/> gehalten wird, hat wol den Schmerz seiner Fesseln noch nie so tief empfun¬<lb/> den, als in dieser vorgerückten Nachtstunde, die sicherlich auch ihm die Nach¬<lb/> richt von der Erhebung seines alten Waffengefährten auf den Präsidenten--<lb/> Stuhl der Republik zugetragen hat. Aber Mac-Mahon ist kein Bazaine.<lb/> Bazaine an der Stelle Mac-Mahon's wäre der neue militärische Cäsar Frank¬<lb/> reichs geworden, der Staatsstreich in Person. Seiner Erhebung wäre der<lb/> Appell an die Waffen bei Freund und Feind unmittelbar gefolgt. Mac-<lb/> Mahon dagegen ist die verkörperte Pflichterfüllung. Er ist nicht gewöhnt,<lb/> selbst sich als den Ersten im Staate zu wünschen, wol aber fremde Befehle<lb/> auszuführen, gleichviel von wem sie kommen. Er hat dem Kaiserreich und<lb/> der Republik als tapferer Soldat gedient, er wird in seiner Vergangenheit<lb/> an sich kein Hinderniß sehen, auch einem etwaigen Königthum seinen Degen</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0367]
die konservativen Elemente. Links von dem Herzen der Stadt, in den Stra¬
ßen, wo Handel und Industrie vorzugsweise sich angesiedelt haben, tiefe
und mürrische, aber thatlose Verdrossenheit über die Niederlage der Linken,
über den Fall des Nachfolgers der M'evsö nationale. Heut sind es fast ge¬
nau zwei Jahre, daß Thiers die Commune blutig in den Staub warf, sagte
mir ein 6xieier der Rue Lebrun in stiller Verzweiflung, und sein Werkzeug
von damals ist heute sein Nachfolger. Hat der Marschall heute einen an¬
dern Ehrgeiz, als das Werkzeug seines eigenen Nachfolgers zu sein? Hui
vivrs., vsrra. So der Epicier. So wie Versailles, ist wol ganz Frankreich
in zwei fast gleiche Hälften der neuen Regierung gegenüber getheilt. Ja,
wenn Frankreich befragt worden wäre, so hätte es zweifellos den Präsidenten
Thiers im Amte erhalten, und ihm durch die Abstimmung wahrscheinlich
einen Mitregenten aus dem radicalen Lager, wie Gambetta, eher aufgedrängt,
als aus dem konservativen.
Diese Erkenntniß hat die neueste Staatsaction nicht bloß beschleunigt,
sondern geradezu veranlaßt. Die Siege der Radicalen bei den Nachwahlen,
die Verstärkung des liberalen Elements in dem letzten Ministerium des Prä¬
sidenten Thiers waren nur Vorwände zum Angriff, keineswegs besorgnißer-
regend für conservative Geister. Dagegen leidenschaftlich erbitternd wirkte die
stets und in ganz Frankreich wachsende Theilnahmlosigkeit und Abneigung
gegen die Leistungen und Arbeiten der Assemblee auf die Fraktionen der
Rechten. Dazu kam, daß die Regierung selbst diesen Ansichten soweit als
möglich entgegen kam. Der Zeitpunkt der „Befreiung des Territoriums"
war offen als der Moment der Neuwahlen und der neuen definitiven Ver¬
fassung bezeichnet. Bis dahin zählte man nur noch wenige Monate. Daß
die Neuwahlen und die neue Verfassung der Monarchie nicht günstig sein
würden, war offenbar. So lag für die Rechte Gefahr im Verzüge. Man
sammelte alle Streitkräfte, man begann den Angriff, man siegte — mit einer
Nasenlänge, mit vierzehn Stimmen, in der entscheidenden Abstimmung, von
fast siebenhundert.
Frankreich ist ruhig. Der Telegraph hat bis zu diesem Augenblick, die
Kunde von dem unerwarteten Umschwung bereits in die äußersten Grenzen
des Reichs getragen, und die Rückäußerung uns vermittelt, daß Alles er¬
regt, aber nirgend die Ruhe gestört sei, auch in Lyon nicht. Diese Nach¬
richt kommt nicht unerwartet. Mein Weg führte mich in der gestrigen Nacht
vorüber an jener Villa, vor welcher der starke militärische Posten den Wan¬
derer erinnert, daß sie das Gefängniß des Marschalls Bazaine ist. Der
brennende Ehrgeiz, der hinter diesen Mauern von der Republik in Banden
gehalten wird, hat wol den Schmerz seiner Fesseln noch nie so tief empfun¬
den, als in dieser vorgerückten Nachtstunde, die sicherlich auch ihm die Nach¬
richt von der Erhebung seines alten Waffengefährten auf den Präsidenten--
Stuhl der Republik zugetragen hat. Aber Mac-Mahon ist kein Bazaine.
Bazaine an der Stelle Mac-Mahon's wäre der neue militärische Cäsar Frank¬
reichs geworden, der Staatsstreich in Person. Seiner Erhebung wäre der
Appell an die Waffen bei Freund und Feind unmittelbar gefolgt. Mac-
Mahon dagegen ist die verkörperte Pflichterfüllung. Er ist nicht gewöhnt,
selbst sich als den Ersten im Staate zu wünschen, wol aber fremde Befehle
auszuführen, gleichviel von wem sie kommen. Er hat dem Kaiserreich und
der Republik als tapferer Soldat gedient, er wird in seiner Vergangenheit
an sich kein Hinderniß sehen, auch einem etwaigen Königthum seinen Degen
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