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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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Carlos zu Gute kommen würde. Man fürchtet von der Republik die Auf¬
munterung des Radicalismus, von dem Siege der legitimen Monarchie eine
allgemeinere Hinlenkung des nationalen Geistes auf dasselbe Ziel in Frank¬
reich. Solche Befürchtungen erwecken die Geschicke Spaniens in dem stolzen
Frankreich, das keinen Augenblick die eitle Zuversicht verloren hat, an der
Spitze der civilisirten Welt zu stehen. Der Grund verdient untersucht zu
werden. Warum sagen die Franzosen nicht in Bezug auf Spanien: was ist
uns Hecuba?

Die Rückwirkung der Verhältnisse Spaniens auf Italien erscheint noch
weit befremdlicher. Freilich hat man dem heimkehrenden Herzog von Aosta
überall ein ehrenvolles Willkommen geboten. Aber diese Begrüßungen haben
einen eigenthümlichen Beigeschmack. Sie klingen wie ein Ausdruck des Dankes
für die Niederlegung einer Krone; die Achtungsbezeugungen scheinen nicht
minder der Redlichkeit des Kronenträgers, als der Bereitwilligkeit zu gelten,
sich von der Krone zu trennen. Die radikale Partei Italiens, Garibaldi an
der Spitze, jubelt der spanischen Republik zu. Aber auch die monarchisch ge¬
sinnte Linke läßt in ihrer Presse Worte vernehmen, wie diese: ein Thron,
einmal verscherzt, wird nie wieder aufgerichtet. Das klingt doch, als sei die
Einführung der Republik in Italien nur eine Frage der Zeit. Denn bei
irgend einer Gelegenheit wird ja die Monarchie einmal eines Versehens zu
überführen sein. Sorgfältige Beobachter Italiens versichern, daß die Mo¬
narchie dort nirgends als eine nationale Schöpfung, sondern höchstens als
eine banks uti1it6 betrachtet wird. Es muß dieß auffallen bei den in der
That unvergleichlichen Verdiensten, die sich der König Victor Emanuel um
das Wiedererstehen der italienischen Nationalität erworben, und bei den
schweren persönlichen Opfern, welche schon der Vater desselben, der König
Carl Albert dem nämlichen Zwecke gebracht hat. Aber die urtheilsfähigem
Beobachter stimmen darin überein: dem geistig freien oder solcher Freiheit zu¬
strebenden Theile des italienischen Volkes ist die Monarchie wenig mehr, als
ein für den Augenblick taugliches Mittel im Dienste der Nationalität, aber
nicht von der Form dieser Nationalität unzertrennlich; der conservative Theil
des italienischen Volkes dagegen möchte zwar die Monarchie beibehalten, aber
angelehnt an das Papstthum und an ein mit dem Papstthum verbündetes
Frankreich. Auch den konservativen Italienern ist die Monarchie nicht die
höchste nationale Institution, wie man sieht, sondern ein geeignetes Werkzeug
der päpstlichen Weltherrschaft, die ihre unmittelbare Stütze in der Solidarität
der lateinischen Völker finden soll.

Hier stehen wir vor der Lösung des Räthsels. Die Solidarität der
lateinischen Race, zunächst in ihren drei Hauptträgern im europäischen Süd¬
westen, ist noch immer eine zauberkräftige Formel. Unter dem Bann dieser


Carlos zu Gute kommen würde. Man fürchtet von der Republik die Auf¬
munterung des Radicalismus, von dem Siege der legitimen Monarchie eine
allgemeinere Hinlenkung des nationalen Geistes auf dasselbe Ziel in Frank¬
reich. Solche Befürchtungen erwecken die Geschicke Spaniens in dem stolzen
Frankreich, das keinen Augenblick die eitle Zuversicht verloren hat, an der
Spitze der civilisirten Welt zu stehen. Der Grund verdient untersucht zu
werden. Warum sagen die Franzosen nicht in Bezug auf Spanien: was ist
uns Hecuba?

Die Rückwirkung der Verhältnisse Spaniens auf Italien erscheint noch
weit befremdlicher. Freilich hat man dem heimkehrenden Herzog von Aosta
überall ein ehrenvolles Willkommen geboten. Aber diese Begrüßungen haben
einen eigenthümlichen Beigeschmack. Sie klingen wie ein Ausdruck des Dankes
für die Niederlegung einer Krone; die Achtungsbezeugungen scheinen nicht
minder der Redlichkeit des Kronenträgers, als der Bereitwilligkeit zu gelten,
sich von der Krone zu trennen. Die radikale Partei Italiens, Garibaldi an
der Spitze, jubelt der spanischen Republik zu. Aber auch die monarchisch ge¬
sinnte Linke läßt in ihrer Presse Worte vernehmen, wie diese: ein Thron,
einmal verscherzt, wird nie wieder aufgerichtet. Das klingt doch, als sei die
Einführung der Republik in Italien nur eine Frage der Zeit. Denn bei
irgend einer Gelegenheit wird ja die Monarchie einmal eines Versehens zu
überführen sein. Sorgfältige Beobachter Italiens versichern, daß die Mo¬
narchie dort nirgends als eine nationale Schöpfung, sondern höchstens als
eine banks uti1it6 betrachtet wird. Es muß dieß auffallen bei den in der
That unvergleichlichen Verdiensten, die sich der König Victor Emanuel um
das Wiedererstehen der italienischen Nationalität erworben, und bei den
schweren persönlichen Opfern, welche schon der Vater desselben, der König
Carl Albert dem nämlichen Zwecke gebracht hat. Aber die urtheilsfähigem
Beobachter stimmen darin überein: dem geistig freien oder solcher Freiheit zu¬
strebenden Theile des italienischen Volkes ist die Monarchie wenig mehr, als
ein für den Augenblick taugliches Mittel im Dienste der Nationalität, aber
nicht von der Form dieser Nationalität unzertrennlich; der conservative Theil
des italienischen Volkes dagegen möchte zwar die Monarchie beibehalten, aber
angelehnt an das Papstthum und an ein mit dem Papstthum verbündetes
Frankreich. Auch den konservativen Italienern ist die Monarchie nicht die
höchste nationale Institution, wie man sieht, sondern ein geeignetes Werkzeug
der päpstlichen Weltherrschaft, die ihre unmittelbare Stütze in der Solidarität
der lateinischen Völker finden soll.

Hier stehen wir vor der Lösung des Räthsels. Die Solidarität der
lateinischen Race, zunächst in ihren drei Hauptträgern im europäischen Süd¬
westen, ist noch immer eine zauberkräftige Formel. Unter dem Bann dieser


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[0525] Carlos zu Gute kommen würde. Man fürchtet von der Republik die Auf¬ munterung des Radicalismus, von dem Siege der legitimen Monarchie eine allgemeinere Hinlenkung des nationalen Geistes auf dasselbe Ziel in Frank¬ reich. Solche Befürchtungen erwecken die Geschicke Spaniens in dem stolzen Frankreich, das keinen Augenblick die eitle Zuversicht verloren hat, an der Spitze der civilisirten Welt zu stehen. Der Grund verdient untersucht zu werden. Warum sagen die Franzosen nicht in Bezug auf Spanien: was ist uns Hecuba? Die Rückwirkung der Verhältnisse Spaniens auf Italien erscheint noch weit befremdlicher. Freilich hat man dem heimkehrenden Herzog von Aosta überall ein ehrenvolles Willkommen geboten. Aber diese Begrüßungen haben einen eigenthümlichen Beigeschmack. Sie klingen wie ein Ausdruck des Dankes für die Niederlegung einer Krone; die Achtungsbezeugungen scheinen nicht minder der Redlichkeit des Kronenträgers, als der Bereitwilligkeit zu gelten, sich von der Krone zu trennen. Die radikale Partei Italiens, Garibaldi an der Spitze, jubelt der spanischen Republik zu. Aber auch die monarchisch ge¬ sinnte Linke läßt in ihrer Presse Worte vernehmen, wie diese: ein Thron, einmal verscherzt, wird nie wieder aufgerichtet. Das klingt doch, als sei die Einführung der Republik in Italien nur eine Frage der Zeit. Denn bei irgend einer Gelegenheit wird ja die Monarchie einmal eines Versehens zu überführen sein. Sorgfältige Beobachter Italiens versichern, daß die Mo¬ narchie dort nirgends als eine nationale Schöpfung, sondern höchstens als eine banks uti1it6 betrachtet wird. Es muß dieß auffallen bei den in der That unvergleichlichen Verdiensten, die sich der König Victor Emanuel um das Wiedererstehen der italienischen Nationalität erworben, und bei den schweren persönlichen Opfern, welche schon der Vater desselben, der König Carl Albert dem nämlichen Zwecke gebracht hat. Aber die urtheilsfähigem Beobachter stimmen darin überein: dem geistig freien oder solcher Freiheit zu¬ strebenden Theile des italienischen Volkes ist die Monarchie wenig mehr, als ein für den Augenblick taugliches Mittel im Dienste der Nationalität, aber nicht von der Form dieser Nationalität unzertrennlich; der conservative Theil des italienischen Volkes dagegen möchte zwar die Monarchie beibehalten, aber angelehnt an das Papstthum und an ein mit dem Papstthum verbündetes Frankreich. Auch den konservativen Italienern ist die Monarchie nicht die höchste nationale Institution, wie man sieht, sondern ein geeignetes Werkzeug der päpstlichen Weltherrschaft, die ihre unmittelbare Stütze in der Solidarität der lateinischen Völker finden soll. Hier stehen wir vor der Lösung des Räthsels. Die Solidarität der lateinischen Race, zunächst in ihren drei Hauptträgern im europäischen Süd¬ westen, ist noch immer eine zauberkräftige Formel. Unter dem Bann dieser

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/525>, abgerufen am 24.08.2024.