Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

zu sein, daß solche Keime höchstens in einigen Provinzen der Wiederbelebung
fähig sind. Soll nun das übrige Land der Anarchie Preis gegeben werden?
Das Wahrscheinlichste ist doch, daß die Unmöglichkeit einer gesunden Selbst-
ständigkeit der Provinzen den Untergang der Republik beschleunigt, sie ent¬
weder auf den Weg der Militärdictatur oder auf den der klerikalen Legiti¬
mität um so schneller hintreibt.

Wie dem sei, Spanien befindet sich und wird für einige Zeit noch wan¬
deln auf dem Wege einer radikalen Republik mit idealistischen Anhauch, deren
Rückwirkungen auf die romanischen Nachbarnationen durch die Verbindung
mit socialistischen Elementen eine Zeit lang vielleicht noch verstärkt wird, deren
Umschlag in eine legitimistisch-klerikale Monarchie nicht minder vorbildlich für
die romanischen Schwesternationen werden könnte, wie die vorübergehende Ver¬
wirklichung des republikanischen Traumes.

Sehen wir einmal zu, ob bereits Erscheinungen zu Tage getreten sind,
welche eine solche Rückwirkung ankündigen, und prüfen wir sodann, auf welchen
Bedingungen eine Gemeinsamkeit des Schicksals zwischen den romanischen Na¬
tionen beruht, oder ob eine solche gar nicht vorhanden ist.

Auf die Kunde von der in Madrid aufgerufenen Republik soll Herr
Thiers, der Präsident der französischen Schwesterrepublik im Anfang nichts
weniger als erfreut gewesen sein. Er beobachtete einige Tage eine dem An¬
scheine nach ungläubige Zurückhaltung. Als die Partei der radikalen Re¬
publik ihren Jubel erhob, stimmte die officielle Republik zwar nicht ein, aber
sie bequemte sich, ihre Glückwünsche nach Madrid zu senden. Es scheint, als
habe Herr Thiers begriffen, daß die radicale Republik in Spanien vielleicht
derselben Republik in Frankreich, aber nicht der von ihm beabsichtigten kon¬
servativen Republik zu Gute kommen könne. Es scheint, als habe er nach
kurzer Ueberlegung eingesehen, daß ihm nichts übrig bleibe, als die spanische
Republik gewissermaßen unter seine Flügel zu nehmen; als habe er sich über¬
zeugt, daß die Rolle des Mentors für ihn schicklicher und weniger unbequem
sei, als die Rolle des Gegners. Die radikale Republik in Frankreich fährt
indeß fort, der spanischen Kollegin zuzujubeln. Aus dem Allen geht soviel
hervor, daß die eigentlichen Republikaner Frankreichs, wie sie sich nennen,
von der spanischen Republik wenigstens Verstärkung, daß die konservativen
Republikaner von ihr wenigstens Unbequemlichkeiten erwarten.

Sollte Frankreich wirklich das Beispiel eines Landes wie Spanien nach
irgend einer Richtung zu fürchten oder von demselben etwas zu hoffen haben?
Die Befürchtungen einer spanischen Einwirkung scheinen in Frankreich nicht
blos in Bezug auf den Bestand der dortigen Republik stattzufinden. Man
scheint ebenso wie das Gelingen, das Mißlingen der Republik zu fürchten,
insofern als letzteres am wahrscheinlichsten der Thronbesteigung des Don


zu sein, daß solche Keime höchstens in einigen Provinzen der Wiederbelebung
fähig sind. Soll nun das übrige Land der Anarchie Preis gegeben werden?
Das Wahrscheinlichste ist doch, daß die Unmöglichkeit einer gesunden Selbst-
ständigkeit der Provinzen den Untergang der Republik beschleunigt, sie ent¬
weder auf den Weg der Militärdictatur oder auf den der klerikalen Legiti¬
mität um so schneller hintreibt.

Wie dem sei, Spanien befindet sich und wird für einige Zeit noch wan¬
deln auf dem Wege einer radikalen Republik mit idealistischen Anhauch, deren
Rückwirkungen auf die romanischen Nachbarnationen durch die Verbindung
mit socialistischen Elementen eine Zeit lang vielleicht noch verstärkt wird, deren
Umschlag in eine legitimistisch-klerikale Monarchie nicht minder vorbildlich für
die romanischen Schwesternationen werden könnte, wie die vorübergehende Ver¬
wirklichung des republikanischen Traumes.

Sehen wir einmal zu, ob bereits Erscheinungen zu Tage getreten sind,
welche eine solche Rückwirkung ankündigen, und prüfen wir sodann, auf welchen
Bedingungen eine Gemeinsamkeit des Schicksals zwischen den romanischen Na¬
tionen beruht, oder ob eine solche gar nicht vorhanden ist.

Auf die Kunde von der in Madrid aufgerufenen Republik soll Herr
Thiers, der Präsident der französischen Schwesterrepublik im Anfang nichts
weniger als erfreut gewesen sein. Er beobachtete einige Tage eine dem An¬
scheine nach ungläubige Zurückhaltung. Als die Partei der radikalen Re¬
publik ihren Jubel erhob, stimmte die officielle Republik zwar nicht ein, aber
sie bequemte sich, ihre Glückwünsche nach Madrid zu senden. Es scheint, als
habe Herr Thiers begriffen, daß die radicale Republik in Spanien vielleicht
derselben Republik in Frankreich, aber nicht der von ihm beabsichtigten kon¬
servativen Republik zu Gute kommen könne. Es scheint, als habe er nach
kurzer Ueberlegung eingesehen, daß ihm nichts übrig bleibe, als die spanische
Republik gewissermaßen unter seine Flügel zu nehmen; als habe er sich über¬
zeugt, daß die Rolle des Mentors für ihn schicklicher und weniger unbequem
sei, als die Rolle des Gegners. Die radikale Republik in Frankreich fährt
indeß fort, der spanischen Kollegin zuzujubeln. Aus dem Allen geht soviel
hervor, daß die eigentlichen Republikaner Frankreichs, wie sie sich nennen,
von der spanischen Republik wenigstens Verstärkung, daß die konservativen
Republikaner von ihr wenigstens Unbequemlichkeiten erwarten.

Sollte Frankreich wirklich das Beispiel eines Landes wie Spanien nach
irgend einer Richtung zu fürchten oder von demselben etwas zu hoffen haben?
Die Befürchtungen einer spanischen Einwirkung scheinen in Frankreich nicht
blos in Bezug auf den Bestand der dortigen Republik stattzufinden. Man
scheint ebenso wie das Gelingen, das Mißlingen der Republik zu fürchten,
insofern als letzteres am wahrscheinlichsten der Thronbesteigung des Don


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0524" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/129516"/>
          <p xml:id="ID_1645" prev="#ID_1644"> zu sein, daß solche Keime höchstens in einigen Provinzen der Wiederbelebung<lb/>
fähig sind. Soll nun das übrige Land der Anarchie Preis gegeben werden?<lb/>
Das Wahrscheinlichste ist doch, daß die Unmöglichkeit einer gesunden Selbst-<lb/>
ständigkeit der Provinzen den Untergang der Republik beschleunigt, sie ent¬<lb/>
weder auf den Weg der Militärdictatur oder auf den der klerikalen Legiti¬<lb/>
mität um so schneller hintreibt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1646"> Wie dem sei, Spanien befindet sich und wird für einige Zeit noch wan¬<lb/>
deln auf dem Wege einer radikalen Republik mit idealistischen Anhauch, deren<lb/>
Rückwirkungen auf die romanischen Nachbarnationen durch die Verbindung<lb/>
mit socialistischen Elementen eine Zeit lang vielleicht noch verstärkt wird, deren<lb/>
Umschlag in eine legitimistisch-klerikale Monarchie nicht minder vorbildlich für<lb/>
die romanischen Schwesternationen werden könnte, wie die vorübergehende Ver¬<lb/>
wirklichung des republikanischen Traumes.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1647"> Sehen wir einmal zu, ob bereits Erscheinungen zu Tage getreten sind,<lb/>
welche eine solche Rückwirkung ankündigen, und prüfen wir sodann, auf welchen<lb/>
Bedingungen eine Gemeinsamkeit des Schicksals zwischen den romanischen Na¬<lb/>
tionen beruht, oder ob eine solche gar nicht vorhanden ist.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1648"> Auf die Kunde von der in Madrid aufgerufenen Republik soll Herr<lb/>
Thiers, der Präsident der französischen Schwesterrepublik im Anfang nichts<lb/>
weniger als erfreut gewesen sein. Er beobachtete einige Tage eine dem An¬<lb/>
scheine nach ungläubige Zurückhaltung. Als die Partei der radikalen Re¬<lb/>
publik ihren Jubel erhob, stimmte die officielle Republik zwar nicht ein, aber<lb/>
sie bequemte sich, ihre Glückwünsche nach Madrid zu senden. Es scheint, als<lb/>
habe Herr Thiers begriffen, daß die radicale Republik in Spanien vielleicht<lb/>
derselben Republik in Frankreich, aber nicht der von ihm beabsichtigten kon¬<lb/>
servativen Republik zu Gute kommen könne. Es scheint, als habe er nach<lb/>
kurzer Ueberlegung eingesehen, daß ihm nichts übrig bleibe, als die spanische<lb/>
Republik gewissermaßen unter seine Flügel zu nehmen; als habe er sich über¬<lb/>
zeugt, daß die Rolle des Mentors für ihn schicklicher und weniger unbequem<lb/>
sei, als die Rolle des Gegners. Die radikale Republik in Frankreich fährt<lb/>
indeß fort, der spanischen Kollegin zuzujubeln. Aus dem Allen geht soviel<lb/>
hervor, daß die eigentlichen Republikaner Frankreichs, wie sie sich nennen,<lb/>
von der spanischen Republik wenigstens Verstärkung, daß die konservativen<lb/>
Republikaner von ihr wenigstens Unbequemlichkeiten erwarten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1649" next="#ID_1650"> Sollte Frankreich wirklich das Beispiel eines Landes wie Spanien nach<lb/>
irgend einer Richtung zu fürchten oder von demselben etwas zu hoffen haben?<lb/>
Die Befürchtungen einer spanischen Einwirkung scheinen in Frankreich nicht<lb/>
blos in Bezug auf den Bestand der dortigen Republik stattzufinden. Man<lb/>
scheint ebenso wie das Gelingen, das Mißlingen der Republik zu fürchten,<lb/>
insofern als letzteres am wahrscheinlichsten der Thronbesteigung des Don</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0524] zu sein, daß solche Keime höchstens in einigen Provinzen der Wiederbelebung fähig sind. Soll nun das übrige Land der Anarchie Preis gegeben werden? Das Wahrscheinlichste ist doch, daß die Unmöglichkeit einer gesunden Selbst- ständigkeit der Provinzen den Untergang der Republik beschleunigt, sie ent¬ weder auf den Weg der Militärdictatur oder auf den der klerikalen Legiti¬ mität um so schneller hintreibt. Wie dem sei, Spanien befindet sich und wird für einige Zeit noch wan¬ deln auf dem Wege einer radikalen Republik mit idealistischen Anhauch, deren Rückwirkungen auf die romanischen Nachbarnationen durch die Verbindung mit socialistischen Elementen eine Zeit lang vielleicht noch verstärkt wird, deren Umschlag in eine legitimistisch-klerikale Monarchie nicht minder vorbildlich für die romanischen Schwesternationen werden könnte, wie die vorübergehende Ver¬ wirklichung des republikanischen Traumes. Sehen wir einmal zu, ob bereits Erscheinungen zu Tage getreten sind, welche eine solche Rückwirkung ankündigen, und prüfen wir sodann, auf welchen Bedingungen eine Gemeinsamkeit des Schicksals zwischen den romanischen Na¬ tionen beruht, oder ob eine solche gar nicht vorhanden ist. Auf die Kunde von der in Madrid aufgerufenen Republik soll Herr Thiers, der Präsident der französischen Schwesterrepublik im Anfang nichts weniger als erfreut gewesen sein. Er beobachtete einige Tage eine dem An¬ scheine nach ungläubige Zurückhaltung. Als die Partei der radikalen Re¬ publik ihren Jubel erhob, stimmte die officielle Republik zwar nicht ein, aber sie bequemte sich, ihre Glückwünsche nach Madrid zu senden. Es scheint, als habe Herr Thiers begriffen, daß die radicale Republik in Spanien vielleicht derselben Republik in Frankreich, aber nicht der von ihm beabsichtigten kon¬ servativen Republik zu Gute kommen könne. Es scheint, als habe er nach kurzer Ueberlegung eingesehen, daß ihm nichts übrig bleibe, als die spanische Republik gewissermaßen unter seine Flügel zu nehmen; als habe er sich über¬ zeugt, daß die Rolle des Mentors für ihn schicklicher und weniger unbequem sei, als die Rolle des Gegners. Die radikale Republik in Frankreich fährt indeß fort, der spanischen Kollegin zuzujubeln. Aus dem Allen geht soviel hervor, daß die eigentlichen Republikaner Frankreichs, wie sie sich nennen, von der spanischen Republik wenigstens Verstärkung, daß die konservativen Republikaner von ihr wenigstens Unbequemlichkeiten erwarten. Sollte Frankreich wirklich das Beispiel eines Landes wie Spanien nach irgend einer Richtung zu fürchten oder von demselben etwas zu hoffen haben? Die Befürchtungen einer spanischen Einwirkung scheinen in Frankreich nicht blos in Bezug auf den Bestand der dortigen Republik stattzufinden. Man scheint ebenso wie das Gelingen, das Mißlingen der Republik zu fürchten, insofern als letzteres am wahrscheinlichsten der Thronbesteigung des Don

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/524
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/524>, abgerufen am 24.08.2024.