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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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vergessen. Wenn in dieser Weise die Regierung auf einer oder einigen be¬
vorzugten Gesellschaftsklassen ruht, so erhält das Staatsleben eine beständige
dramatische Bewegung , die hin und her geht zwischen den herrschenden Klas¬
sen und ihren Vertrauensmännern einerseits, zwischen den herrschenden und
beherrschten Klassen andererseits. Ein solcher Zustand vermag eine große Le¬
bendigkeit und Fülle des Gemeinwesens hervorzurufen, aber er pflegt schnell
einen Höhepunkt zu erreichen, von dem er herabsinkt zum Cäsarismus oder
zu einem inhaltlosen und austreibenden Wechsel der Gewalt. Für eine entfernte
Zukunft haben wir nicht zu sorgen, für die Gegenwart aber erscheint die
konservative Republik in Frankreich als das Naturgemäße und Heilsame und
darum als das Wünschenswerthe für Europa und ganz besonders für Deutsch¬
land.

Die "Süddeutsche Presse" hat diesem Gedankengang Aufmerksamkeit ge¬
schenkt, demselben jedoch die Bemerkung entgegengestellt, daß er weniger be¬
rechtigt erscheine seit der jüngsten Proklamirung der Republik in Spanien.
Die "Süddeutsche Presse" ist der Meinung, daß durch die spanische Republik
eine Gefahr geschaffen worden sei. zwar nicht für die französische Republik,
aber für den konservativen Character derselben. Alles aber was sich vom
europäischen und vom Standpunkt eines erleuchteten französischen Patriotis¬
mus zu Gunsten der konservativen Republik in Frankreich sagen läßt, das¬
selbe erleidet keine Anwendung auf die radicale Republik, welche ein Keim
der vielleicht unheilbaren Zerrüttung für die romanischen Völker und eine
Gefährdung des Friedens für Europa ist.

Es soll nun die Aufgabe der nachfolgenden Betrachtung sein, die Eigen¬
thümlichkeit der republikanischen Idee bei den romanischen Völkern zu erkennen,
und zu prüfen, welche Wirkungen der Uebergang Spaniens zur republikani¬
schen Staatsform möglicherweise auf die drei Hauptnationen des romanischen
Europa, auf die Spanier, Franzosen und Italiener haben kann.

Vergegenwärtigen wir uns zunächst einige charakteristische Erscheinungen,
die bei und nach dem Uebergang Spaniens zur Republik hervorgetreten sind.
Die Häupter der spanischen Republik zeigen sich von einem Idealismus ge¬
lenkt, den'Europa mit Staunen sieht. Der Traum aller Humanitätsapostel,
die Abschaffung des stehenden Herres soll dort zur Wirklichkeit werden, wenn
anders Regierungsdekrete Wirklichkeiten bilden können. Das stehende Heer
soll nur 4S,000 Mann betragen, soll nur eine Truppe zur Gewähr der inneren
Ordnung sein, grade nur so groß, als diese Gewähr verlangt, wenn die
Mehrzahl der Nation, was keine unbillige Voraussetzung scheint, aus guten
Bürgern besteht. Schade nur, daß dieser idealistische Plan die Republik auf
eines Schrittes Breite am Abgrund hinführt. Wir reden nicht von auswär¬
tiger Kriegsgefahr. Spanien kann wirklich die Frucht seiner republikanischen


vergessen. Wenn in dieser Weise die Regierung auf einer oder einigen be¬
vorzugten Gesellschaftsklassen ruht, so erhält das Staatsleben eine beständige
dramatische Bewegung , die hin und her geht zwischen den herrschenden Klas¬
sen und ihren Vertrauensmännern einerseits, zwischen den herrschenden und
beherrschten Klassen andererseits. Ein solcher Zustand vermag eine große Le¬
bendigkeit und Fülle des Gemeinwesens hervorzurufen, aber er pflegt schnell
einen Höhepunkt zu erreichen, von dem er herabsinkt zum Cäsarismus oder
zu einem inhaltlosen und austreibenden Wechsel der Gewalt. Für eine entfernte
Zukunft haben wir nicht zu sorgen, für die Gegenwart aber erscheint die
konservative Republik in Frankreich als das Naturgemäße und Heilsame und
darum als das Wünschenswerthe für Europa und ganz besonders für Deutsch¬
land.

Die „Süddeutsche Presse" hat diesem Gedankengang Aufmerksamkeit ge¬
schenkt, demselben jedoch die Bemerkung entgegengestellt, daß er weniger be¬
rechtigt erscheine seit der jüngsten Proklamirung der Republik in Spanien.
Die „Süddeutsche Presse" ist der Meinung, daß durch die spanische Republik
eine Gefahr geschaffen worden sei. zwar nicht für die französische Republik,
aber für den konservativen Character derselben. Alles aber was sich vom
europäischen und vom Standpunkt eines erleuchteten französischen Patriotis¬
mus zu Gunsten der konservativen Republik in Frankreich sagen läßt, das¬
selbe erleidet keine Anwendung auf die radicale Republik, welche ein Keim
der vielleicht unheilbaren Zerrüttung für die romanischen Völker und eine
Gefährdung des Friedens für Europa ist.

Es soll nun die Aufgabe der nachfolgenden Betrachtung sein, die Eigen¬
thümlichkeit der republikanischen Idee bei den romanischen Völkern zu erkennen,
und zu prüfen, welche Wirkungen der Uebergang Spaniens zur republikani¬
schen Staatsform möglicherweise auf die drei Hauptnationen des romanischen
Europa, auf die Spanier, Franzosen und Italiener haben kann.

Vergegenwärtigen wir uns zunächst einige charakteristische Erscheinungen,
die bei und nach dem Uebergang Spaniens zur Republik hervorgetreten sind.
Die Häupter der spanischen Republik zeigen sich von einem Idealismus ge¬
lenkt, den'Europa mit Staunen sieht. Der Traum aller Humanitätsapostel,
die Abschaffung des stehenden Herres soll dort zur Wirklichkeit werden, wenn
anders Regierungsdekrete Wirklichkeiten bilden können. Das stehende Heer
soll nur 4S,000 Mann betragen, soll nur eine Truppe zur Gewähr der inneren
Ordnung sein, grade nur so groß, als diese Gewähr verlangt, wenn die
Mehrzahl der Nation, was keine unbillige Voraussetzung scheint, aus guten
Bürgern besteht. Schade nur, daß dieser idealistische Plan die Republik auf
eines Schrittes Breite am Abgrund hinführt. Wir reden nicht von auswär¬
tiger Kriegsgefahr. Spanien kann wirklich die Frucht seiner republikanischen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/522>, abgerufen am 24.08.2024.