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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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wohl Herr de Nov van Alderwerelt, dessen ätzende Kritik sonst alle nieder¬
ländischen Heeresangelegenheiten benagt, vor Kurzem zu der patriotischen Ver¬
sicherung sich aufschwang, daß die Eroberung der Stellung um Utrecht Preu¬
ßen Zehntausende von Soldaten kosten und ein Jahr lang aufhalten werde,
und Amsterdam dem Feind ein weiteres Jahr Halt gebieten werde. So rosig
sehen unsre Militairfachleute, die auf der Militärakademie in Breda, ihre
auch im Auslande als tüchtig anerkannte Ausbildung erhalten haben, nicht.
Oberst Weitzel hat eine Schrift herausgegeben, in der er das Festungsdogma
bei uns im Gegentheil geradezu als das Haupthinderniß der Entwickelung
der lebendigen niederländischen Wehrkraft erklärt. Von unsern Festungen und
Linien, sagt er, dürften wir im Kriege nur bei vollkommenem Vertheidigungs¬
zustande Unterstützung erwarten. Dem stehe aber schon der Kostenpunkt ent¬
gegen. Es sei verkehrt erst das Befestigungssystem und dann erst das Heer
zu organisiren. So dienten die Festungen und Linien nur der Schwäche und
Mangelhaftigkeit unsrer Truppen zum Versteck, man verzettele die Kräfte und
behalte nichts übrig, den Stoß des Feindes zu Pariren. Alles Einwendungen,
die eine richtige Würdigung der Idee der Preußischen Kriegführung erkennen
lassen. Und nicht minder beachtlich und wahr sind Wenzels tadelnde Be¬
merkungen über die Mangelhaftigkeit unsrer Cadres die kaum nothdürftige
Ausbildung unsrer Milizen bei nur einjähriger Dienstzeit, die bedenkliche
Einteilung der Armee in feste Brigaden und Divisionen. -- In ähnlicher
Weise spricht sich eine andere Schrift von einem ungenannten Verfasser aus,
der namentlich die Illusion widerlegt, als ob unsre Communalgardebestände,
die berühmte Schutterei, irgend ein Seitenstück der preußischen Landwehr sei,
was der Niederländer nämlich treuherzig glaubt. Ebenso scharf erkennt der
namenlose Verfasser die Mängel unsrer Vertheidigungslinien, namentlich der
Assel, unsrer Intendantur, unsrer Flotte, unsres Pferdeaushebungsgesetzes :c.
Indessen, wenn der Herr Verfasser uns als Universalheilmittel dieser Schäden
die allgemeine Wehrpflicht empfiehlt, so übersieht er, daß wir, selbst wenn
wir 3°/g unsrer Bevölkerung unter Waffen haben, noch keine 2 Armeecorps
zu Stande bringen, und selbst mit zehn Prozent noch kein Heer.

Diese brutale Deutlichkeit der Zahl und Kraft der gegenseitigen Leistungs¬
fähigkeit in Niederland und Deutschland stellt eine andere niederländische Bro¬
schüre ganz unverhüllt vor Augen. Der Zorn Alt-Niederlands über diesen
mißrathenen Sohn ist um so lauter, als die Broschüre eine Antwort ist auf
das Preisausschreiben einer hochpatriotischen Gesellschaft in Utrecht, welcher der
kühne Einsender auf die Frage "Is Nederland verdedigbar" in allen Stücken
mit einem kräftigen Nein antwortet. In einem Kriege mit Deutschland, sagt
der Verfasser, ist der Anfang, daß wir 7 oder 8 unserer 11 Provinzen ver¬
lassen müssen, um uns in unsere Centralstellung zurückzuziehen. Mit den Pro-


wohl Herr de Nov van Alderwerelt, dessen ätzende Kritik sonst alle nieder¬
ländischen Heeresangelegenheiten benagt, vor Kurzem zu der patriotischen Ver¬
sicherung sich aufschwang, daß die Eroberung der Stellung um Utrecht Preu¬
ßen Zehntausende von Soldaten kosten und ein Jahr lang aufhalten werde,
und Amsterdam dem Feind ein weiteres Jahr Halt gebieten werde. So rosig
sehen unsre Militairfachleute, die auf der Militärakademie in Breda, ihre
auch im Auslande als tüchtig anerkannte Ausbildung erhalten haben, nicht.
Oberst Weitzel hat eine Schrift herausgegeben, in der er das Festungsdogma
bei uns im Gegentheil geradezu als das Haupthinderniß der Entwickelung
der lebendigen niederländischen Wehrkraft erklärt. Von unsern Festungen und
Linien, sagt er, dürften wir im Kriege nur bei vollkommenem Vertheidigungs¬
zustande Unterstützung erwarten. Dem stehe aber schon der Kostenpunkt ent¬
gegen. Es sei verkehrt erst das Befestigungssystem und dann erst das Heer
zu organisiren. So dienten die Festungen und Linien nur der Schwäche und
Mangelhaftigkeit unsrer Truppen zum Versteck, man verzettele die Kräfte und
behalte nichts übrig, den Stoß des Feindes zu Pariren. Alles Einwendungen,
die eine richtige Würdigung der Idee der Preußischen Kriegführung erkennen
lassen. Und nicht minder beachtlich und wahr sind Wenzels tadelnde Be¬
merkungen über die Mangelhaftigkeit unsrer Cadres die kaum nothdürftige
Ausbildung unsrer Milizen bei nur einjähriger Dienstzeit, die bedenkliche
Einteilung der Armee in feste Brigaden und Divisionen. — In ähnlicher
Weise spricht sich eine andere Schrift von einem ungenannten Verfasser aus,
der namentlich die Illusion widerlegt, als ob unsre Communalgardebestände,
die berühmte Schutterei, irgend ein Seitenstück der preußischen Landwehr sei,
was der Niederländer nämlich treuherzig glaubt. Ebenso scharf erkennt der
namenlose Verfasser die Mängel unsrer Vertheidigungslinien, namentlich der
Assel, unsrer Intendantur, unsrer Flotte, unsres Pferdeaushebungsgesetzes :c.
Indessen, wenn der Herr Verfasser uns als Universalheilmittel dieser Schäden
die allgemeine Wehrpflicht empfiehlt, so übersieht er, daß wir, selbst wenn
wir 3°/g unsrer Bevölkerung unter Waffen haben, noch keine 2 Armeecorps
zu Stande bringen, und selbst mit zehn Prozent noch kein Heer.

Diese brutale Deutlichkeit der Zahl und Kraft der gegenseitigen Leistungs¬
fähigkeit in Niederland und Deutschland stellt eine andere niederländische Bro¬
schüre ganz unverhüllt vor Augen. Der Zorn Alt-Niederlands über diesen
mißrathenen Sohn ist um so lauter, als die Broschüre eine Antwort ist auf
das Preisausschreiben einer hochpatriotischen Gesellschaft in Utrecht, welcher der
kühne Einsender auf die Frage „Is Nederland verdedigbar" in allen Stücken
mit einem kräftigen Nein antwortet. In einem Kriege mit Deutschland, sagt
der Verfasser, ist der Anfang, daß wir 7 oder 8 unserer 11 Provinzen ver¬
lassen müssen, um uns in unsere Centralstellung zurückzuziehen. Mit den Pro-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/514>, abgerufen am 24.08.2024.