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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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"Vivat die Schablone!" Oder der bittere Hohn, womit der "Republikanis,
mus der Elsäßer" wodurch diese, wie bekannt, ihre Apostasie von der deutschen
Nationalität und ihre Französelei gewöhnlich zu beschönigen suchen, an den
wohlverdienten Pranger gestellt wird. L. zu den kleinen Schwächen
des sel. Hi. Jeremia gehört, daß er auch 1872 seine Jugendschwärmerei für
die ideale Republik nicht ganz los geworden ist; um so höher muß man
ihm anrechnen, wenn er sein deutsches Gewissen und seinen deutschen Verstand
nicht von dem Nebel solcher Phrasen verdüstern läßt, wie so mancher andere,
bei dem freilich weder viel von deutschem Gewissen, noch von deutschem Ver¬
stände, desto mehr aber von französischer Lügenseligkeit zu finden ist. Diese Sorte
sowie die Franzosen selbst und alles französische, verachtet und haßt unser Jere¬
mia so gründlich und grimmig, wie es jeder ehrliche Deutsche sollte.

Wäre nicht die Person, der es gilt, momentan unserm Interesse so gar
fern gerückt, so würden wir die weitangelegte Episode "die abenteuerliche
Geschichte vom verflogenen Holländer" ein Meisterstück sarkastischen Humors
oder zorniger Ironie nennen. Es ist nämlich mit dem verflogenen Hol¬
länder Niemand anders als weiland "Er" oder Napoleon III. gemeint, der
als Dr. Jeremia seinem Tagebuch diese vernichtende Invective einverleibte,
noch in Chislehurst vegetirte. Aber sie trkvsit glorig, aurai, wer gähnt heute
nicht, wenn der Name genannt wird, und gerade die am unanständigsten, die
einst vor jeder Stirnrunzel des allmächtigen Gebieters aller Börsen und
Courszettel am erbärmlichsten zitterten; denn namentlich das Prozenthum konnte
nicht satt werden, die Klugheit und Prosperität der Tuilerienwirthschaft ju-
bilirend zu loben. Von Zeit zu Zeit, bei Industrie-Ausstellungen und
ähnlichen Anlässen, kam sozusagen von allen Ecken und Enden des Erdballs
her das "Geschäft" nach Paris, stellte sich händefaltend und kniebeugend vor
den Pseudo-Demetrius hin und brach in den Hymnus aus "Heil sei dem
Tag, an welchem du bei uns erschienen: Dideldum, Dideldum!" --

Der biedere Jeremia gäbe uns noch gar vielen Stoff zu Citaten, denn
wie gesagt, er trifft meist den Nagel auf den Kopf d. h. da wo er nach unserer
Meinung getroffen werden muß, so in dem was er über die bodenlose Ehr¬
losigkeit und Feindseligkeit des ächten Beefsteakthums oder der englischen
Politik neuerer Zeit gegen Deutschland, über die rothen Apostel des Kosmopoli¬
tismus und Socialismus und ihren Bund mit den schwarzen Kapuzinern sagt,
oder um anderes zu berühren, über die Weiberemancipation, die deutsche Dar¬
winerei und andern Lieblingsschwindel der Zeit. Ja alles in allem, war
oder ist es ein Mann nach unserm Herzen, dessen Rede uns auch da ge¬
fällt, wo sie etwas originell klingt und was uns noch werthvoller ist, er
ist ein Bekehrter. Ursprünglich ein radicaler Idealist mit etwas stark
rothem und zugleich kosmopolitischen Anflug, ist der brave Jeremia durch


„Vivat die Schablone!" Oder der bittere Hohn, womit der „Republikanis,
mus der Elsäßer" wodurch diese, wie bekannt, ihre Apostasie von der deutschen
Nationalität und ihre Französelei gewöhnlich zu beschönigen suchen, an den
wohlverdienten Pranger gestellt wird. L. zu den kleinen Schwächen
des sel. Hi. Jeremia gehört, daß er auch 1872 seine Jugendschwärmerei für
die ideale Republik nicht ganz los geworden ist; um so höher muß man
ihm anrechnen, wenn er sein deutsches Gewissen und seinen deutschen Verstand
nicht von dem Nebel solcher Phrasen verdüstern läßt, wie so mancher andere,
bei dem freilich weder viel von deutschem Gewissen, noch von deutschem Ver¬
stände, desto mehr aber von französischer Lügenseligkeit zu finden ist. Diese Sorte
sowie die Franzosen selbst und alles französische, verachtet und haßt unser Jere¬
mia so gründlich und grimmig, wie es jeder ehrliche Deutsche sollte.

Wäre nicht die Person, der es gilt, momentan unserm Interesse so gar
fern gerückt, so würden wir die weitangelegte Episode „die abenteuerliche
Geschichte vom verflogenen Holländer" ein Meisterstück sarkastischen Humors
oder zorniger Ironie nennen. Es ist nämlich mit dem verflogenen Hol¬
länder Niemand anders als weiland „Er" oder Napoleon III. gemeint, der
als Dr. Jeremia seinem Tagebuch diese vernichtende Invective einverleibte,
noch in Chislehurst vegetirte. Aber sie trkvsit glorig, aurai, wer gähnt heute
nicht, wenn der Name genannt wird, und gerade die am unanständigsten, die
einst vor jeder Stirnrunzel des allmächtigen Gebieters aller Börsen und
Courszettel am erbärmlichsten zitterten; denn namentlich das Prozenthum konnte
nicht satt werden, die Klugheit und Prosperität der Tuilerienwirthschaft ju-
bilirend zu loben. Von Zeit zu Zeit, bei Industrie-Ausstellungen und
ähnlichen Anlässen, kam sozusagen von allen Ecken und Enden des Erdballs
her das „Geschäft" nach Paris, stellte sich händefaltend und kniebeugend vor
den Pseudo-Demetrius hin und brach in den Hymnus aus „Heil sei dem
Tag, an welchem du bei uns erschienen: Dideldum, Dideldum!" —

Der biedere Jeremia gäbe uns noch gar vielen Stoff zu Citaten, denn
wie gesagt, er trifft meist den Nagel auf den Kopf d. h. da wo er nach unserer
Meinung getroffen werden muß, so in dem was er über die bodenlose Ehr¬
losigkeit und Feindseligkeit des ächten Beefsteakthums oder der englischen
Politik neuerer Zeit gegen Deutschland, über die rothen Apostel des Kosmopoli¬
tismus und Socialismus und ihren Bund mit den schwarzen Kapuzinern sagt,
oder um anderes zu berühren, über die Weiberemancipation, die deutsche Dar¬
winerei und andern Lieblingsschwindel der Zeit. Ja alles in allem, war
oder ist es ein Mann nach unserm Herzen, dessen Rede uns auch da ge¬
fällt, wo sie etwas originell klingt und was uns noch werthvoller ist, er
ist ein Bekehrter. Ursprünglich ein radicaler Idealist mit etwas stark
rothem und zugleich kosmopolitischen Anflug, ist der brave Jeremia durch


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/510>, abgerufen am 02.10.2024.