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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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es ja ohnehin erlaubt, die innersten Falten und Runzeln der Seele zu Pho¬
tographiren und gedruckt, sollte dieses eigentlich nicht werden, wenigstens
wollte sich sein Verfasser nur ungern dazu bequemen, weil er bei gedruckten
Tagebüchern unliebsam an die des Herrn Varnhagen von Ense erinnert werde:
"du weißt doch, sagt er fast sterbend zu seinem Freunde, der ihm ankündigt,
daß er (nach Clemens Brentano's klassischem Ausdrucke) "mit seiner Leiche
krebsen" wolle, wie es Varnhagen einst mit Rahel gethan, und mit ihm jetzt
von einer Andern gethan wird, -- du weißt doch, daß ich diese Tagebücher
stets für eine der größten Gemeinheiten unsers Jahrhunderts gehalten habe"
worauf ihm sein Freund erwidert, "mit Recht, lieber Alter, jeder ehrliche
Mensch mußte es widerwärtig gemein finden, wie der glatte Schleicher, wel¬
cher nie ohne sein Ordensbändelchen ausging, nach der "Excellenz" lechzte und
im gelecktesten Gehorsamendienerstil biographische Porzellanmalerei trieb, den
Tag über in den berliner Vorzimmern und Salons und Boudoirs herum¬
schnüffelte, um das Erhorchte Abends in sein Geheimtagebuch hineinzu-
klatschen, sich dabei hofräthlich- boshaft- heimlich die Hände reibend,
"wartet nur, ihr alle, die ihr mich nicht zur Excellenz gemacht, wenn ich
mal todt bin und ihr mir schlechterdings nichts mehr anhaben könnt, soll
eine ganze Bändereihe von Feuerteufeln aus meinem Grabe herausschlagen, um
euch tüchtig zu versengen und zu verstänkern." Trotzdem überredet ihn dieser
Freund schließlich, ihm den freien Gebrauch seines Diariums zu concediren,
und läßt es drucken "weil es die Stimme eines Mannes ist, welcher von
keinerlei Rücksicht eingeengt, über Menschen, Ereignisse und Bücher mit voller
Offenheit und mit unbeugsamen Freimuth sich ausläßt, nicht im Hundetrab
dieser oder jener Parteimeinung einhertrottet, sondern eigene Wege wandelt
und bald diese bald jene Schrittart einhält."

Wer selbst eine ähnliche Stellung zu dem Wogen und Weben der Zeit
einzunehmen, entweder durch sein Naturell oder durch die Umstände veranlaßt
ist, wird gerade durch solche sympathische Klänge sich so zu sagen gerechtfer¬
tigt finden. Denn ein Einsiedler im strengsten Sinne des Wortes zu sein,
zu wissen, daß man mit allen seinen Gedanken, Urtheilen und Gefühlen in
keiner andern Seele einen Wiederhall findet, ist immer eine bedenkliche Sache,
so lange man sich nicht zu der selbstgenugsamer Apathie eines ächten indischen
Dogi aufgeschwungen oder degradirt hat. Aber anders denken, zu urtheilen
und zu fühlen als die Masse, hat von jeher für einen Vorzug gegolten, der
eben als solcher nur wenigen zutheil werden kann, denn sonst wäre es kein
Vorzug. Und der Begriff "wenige" ist ja auch ein relativer: zum Glück zäh¬
len diese "wenigen" die so wie der Verfasser des Tagebuchs über die Haupt¬
fragen der deutschen Gegenwart und Zukunft in Staat, Kirche, Wissenschaft
Kunst, Gesellschaft oder wo sonst denken, nach vielen Tausenden und


es ja ohnehin erlaubt, die innersten Falten und Runzeln der Seele zu Pho¬
tographiren und gedruckt, sollte dieses eigentlich nicht werden, wenigstens
wollte sich sein Verfasser nur ungern dazu bequemen, weil er bei gedruckten
Tagebüchern unliebsam an die des Herrn Varnhagen von Ense erinnert werde:
„du weißt doch, sagt er fast sterbend zu seinem Freunde, der ihm ankündigt,
daß er (nach Clemens Brentano's klassischem Ausdrucke) „mit seiner Leiche
krebsen" wolle, wie es Varnhagen einst mit Rahel gethan, und mit ihm jetzt
von einer Andern gethan wird, — du weißt doch, daß ich diese Tagebücher
stets für eine der größten Gemeinheiten unsers Jahrhunderts gehalten habe"
worauf ihm sein Freund erwidert, „mit Recht, lieber Alter, jeder ehrliche
Mensch mußte es widerwärtig gemein finden, wie der glatte Schleicher, wel¬
cher nie ohne sein Ordensbändelchen ausging, nach der „Excellenz" lechzte und
im gelecktesten Gehorsamendienerstil biographische Porzellanmalerei trieb, den
Tag über in den berliner Vorzimmern und Salons und Boudoirs herum¬
schnüffelte, um das Erhorchte Abends in sein Geheimtagebuch hineinzu-
klatschen, sich dabei hofräthlich- boshaft- heimlich die Hände reibend,
„wartet nur, ihr alle, die ihr mich nicht zur Excellenz gemacht, wenn ich
mal todt bin und ihr mir schlechterdings nichts mehr anhaben könnt, soll
eine ganze Bändereihe von Feuerteufeln aus meinem Grabe herausschlagen, um
euch tüchtig zu versengen und zu verstänkern." Trotzdem überredet ihn dieser
Freund schließlich, ihm den freien Gebrauch seines Diariums zu concediren,
und läßt es drucken „weil es die Stimme eines Mannes ist, welcher von
keinerlei Rücksicht eingeengt, über Menschen, Ereignisse und Bücher mit voller
Offenheit und mit unbeugsamen Freimuth sich ausläßt, nicht im Hundetrab
dieser oder jener Parteimeinung einhertrottet, sondern eigene Wege wandelt
und bald diese bald jene Schrittart einhält."

Wer selbst eine ähnliche Stellung zu dem Wogen und Weben der Zeit
einzunehmen, entweder durch sein Naturell oder durch die Umstände veranlaßt
ist, wird gerade durch solche sympathische Klänge sich so zu sagen gerechtfer¬
tigt finden. Denn ein Einsiedler im strengsten Sinne des Wortes zu sein,
zu wissen, daß man mit allen seinen Gedanken, Urtheilen und Gefühlen in
keiner andern Seele einen Wiederhall findet, ist immer eine bedenkliche Sache,
so lange man sich nicht zu der selbstgenugsamer Apathie eines ächten indischen
Dogi aufgeschwungen oder degradirt hat. Aber anders denken, zu urtheilen
und zu fühlen als die Masse, hat von jeher für einen Vorzug gegolten, der
eben als solcher nur wenigen zutheil werden kann, denn sonst wäre es kein
Vorzug. Und der Begriff „wenige" ist ja auch ein relativer: zum Glück zäh¬
len diese „wenigen" die so wie der Verfasser des Tagebuchs über die Haupt¬
fragen der deutschen Gegenwart und Zukunft in Staat, Kirche, Wissenschaft
Kunst, Gesellschaft oder wo sonst denken, nach vielen Tausenden und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/508>, abgerufen am 24.08.2024.