Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

konnte er noch in seinen letzten Lebenswochen in die heftigste Aufregung ge¬
rathen, in wetternden Zorn ausbrechen."

In einer Zeit, wo der Pessimismus als naturgemäße Supplementärfarbe
des Materialismus in vielen Sehnerven grassirt, läßt man sich immer noch
einen solchen Pessimismus, wie den des seligen, oder da sein Schatten gegen
diesen Titel protestiren würde, des in Nichts verflüchtigten Jeremiae Sauer¬
ampfer, am ersten gefallen. Es ist doch ein gut Theil Idealismus dabei,
vielleicht sogar etwas mehr, als die wahre mens sana, in corpore sg.no ver¬
trägt. Und wenn dazu sich eine richtige Portion Humors einfindet -- wer
sollte da nicht lieber mit einem solchen zürnenden Verächter der Welt und
des Menschengetriebes verkehren, als mit unseren Sittiskirits der Börse oder
der Tribüne? Jedenfalls ist ein Pessimismus, der noch für die Ideen des
Vaterlandes und der Nation, der Freiheit und des Fortschrittes des Geistes,
der Schönheit und der Wahrheit sich nicht bloß erwärmen, sondern in lodernde
Flammen aufschlagen kann, etwas anderes als jene blasirte, an Seele und
Leib gelähmte Hochnäsigkeit des sublimirten Egoismus, die man einst Welt¬
schmerz und jetzt mit einem Fremdworte zu benennen pflegt, gleichsam als
wollte man damit verblümt zu verstehen geben, wie undeutsch das ganze
Ding ist. Wenn Herr Jeremias in seiner derben Art z. B. über die Schopen-
hauersche Philosophie sich dahin vernehmen läßt "ihr Grundfehler ist, daß sie
von einem Hagestolzen Couponsschneider Hagestolzen Couponsschneidern auf den
Leib geschnitten ist," so können wir ihm nicht so Unrecht geben, obwohl wir
meinen, daß sie neben diesem einen "Grundfehler" noch eine Menge anderer
habe, die zuletzt wieder alle aus einem noch tieferliegenden, gründlichsten
Grundfehler entspringen. Aber sicher ist es, daß weder das Hagestolzenthum
noch die Couponsschneiderei deutsche Art sind. ,

Da wir Höflichkeit genug gelernt haben, um jede Art von Jncognito zu
respectiren, so lange es selbst respectirt sein will, auch dann, wenn es wie
so oft die Jncogniti auf der Bühne und in den Romanen, willkürlich oder
unwillkürlich "sich verschnappt" und Ordensband und Stern vor der Zeit Her¬
ausgucken läßt, so reden wir nach wie vor nicht von Herrn Johannes Scherr,
dem Herausgeber, sondern von Herrn Jeremia. dem Verfasser des Tagebuches.
Um so lieber, weil der indifferente Name des Verfassers wahrscheinlich bet
vielen Lesern die richtige Lesestimmung, die sine ira, et swäio hervorbringt,
was von dem Namen des Herausgebers, der eine so markirte politische und
literarische Stellung einnimmt, kaum zu erwarten sein dürfte.

Gewiß werden viele unter dieser Voraussetzung mit uns sagen, daß Herr
Jeremia zwar mitunter etwas mehr als derb seine Meinung über Menschen
und Dinge dieser Zeit zu äußern pflege, aber und das ist die Hauptsache,
man hört ihm gern zu und giebt ihm meistens Recht. Einem Tagebuch ist


konnte er noch in seinen letzten Lebenswochen in die heftigste Aufregung ge¬
rathen, in wetternden Zorn ausbrechen."

In einer Zeit, wo der Pessimismus als naturgemäße Supplementärfarbe
des Materialismus in vielen Sehnerven grassirt, läßt man sich immer noch
einen solchen Pessimismus, wie den des seligen, oder da sein Schatten gegen
diesen Titel protestiren würde, des in Nichts verflüchtigten Jeremiae Sauer¬
ampfer, am ersten gefallen. Es ist doch ein gut Theil Idealismus dabei,
vielleicht sogar etwas mehr, als die wahre mens sana, in corpore sg.no ver¬
trägt. Und wenn dazu sich eine richtige Portion Humors einfindet — wer
sollte da nicht lieber mit einem solchen zürnenden Verächter der Welt und
des Menschengetriebes verkehren, als mit unseren Sittiskirits der Börse oder
der Tribüne? Jedenfalls ist ein Pessimismus, der noch für die Ideen des
Vaterlandes und der Nation, der Freiheit und des Fortschrittes des Geistes,
der Schönheit und der Wahrheit sich nicht bloß erwärmen, sondern in lodernde
Flammen aufschlagen kann, etwas anderes als jene blasirte, an Seele und
Leib gelähmte Hochnäsigkeit des sublimirten Egoismus, die man einst Welt¬
schmerz und jetzt mit einem Fremdworte zu benennen pflegt, gleichsam als
wollte man damit verblümt zu verstehen geben, wie undeutsch das ganze
Ding ist. Wenn Herr Jeremias in seiner derben Art z. B. über die Schopen-
hauersche Philosophie sich dahin vernehmen läßt „ihr Grundfehler ist, daß sie
von einem Hagestolzen Couponsschneider Hagestolzen Couponsschneidern auf den
Leib geschnitten ist," so können wir ihm nicht so Unrecht geben, obwohl wir
meinen, daß sie neben diesem einen „Grundfehler" noch eine Menge anderer
habe, die zuletzt wieder alle aus einem noch tieferliegenden, gründlichsten
Grundfehler entspringen. Aber sicher ist es, daß weder das Hagestolzenthum
noch die Couponsschneiderei deutsche Art sind. ,

Da wir Höflichkeit genug gelernt haben, um jede Art von Jncognito zu
respectiren, so lange es selbst respectirt sein will, auch dann, wenn es wie
so oft die Jncogniti auf der Bühne und in den Romanen, willkürlich oder
unwillkürlich „sich verschnappt" und Ordensband und Stern vor der Zeit Her¬
ausgucken läßt, so reden wir nach wie vor nicht von Herrn Johannes Scherr,
dem Herausgeber, sondern von Herrn Jeremia. dem Verfasser des Tagebuches.
Um so lieber, weil der indifferente Name des Verfassers wahrscheinlich bet
vielen Lesern die richtige Lesestimmung, die sine ira, et swäio hervorbringt,
was von dem Namen des Herausgebers, der eine so markirte politische und
literarische Stellung einnimmt, kaum zu erwarten sein dürfte.

Gewiß werden viele unter dieser Voraussetzung mit uns sagen, daß Herr
Jeremia zwar mitunter etwas mehr als derb seine Meinung über Menschen
und Dinge dieser Zeit zu äußern pflege, aber und das ist die Hauptsache,
man hört ihm gern zu und giebt ihm meistens Recht. Einem Tagebuch ist


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0507" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/129499"/>
          <p xml:id="ID_1600" prev="#ID_1599"> konnte er noch in seinen letzten Lebenswochen in die heftigste Aufregung ge¬<lb/>
rathen, in wetternden Zorn ausbrechen."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1601"> In einer Zeit, wo der Pessimismus als naturgemäße Supplementärfarbe<lb/>
des Materialismus in vielen Sehnerven grassirt, läßt man sich immer noch<lb/>
einen solchen Pessimismus, wie den des seligen, oder da sein Schatten gegen<lb/>
diesen Titel protestiren würde, des in Nichts verflüchtigten Jeremiae Sauer¬<lb/>
ampfer, am ersten gefallen. Es ist doch ein gut Theil Idealismus dabei,<lb/>
vielleicht sogar etwas mehr, als die wahre mens sana, in corpore sg.no ver¬<lb/>
trägt. Und wenn dazu sich eine richtige Portion Humors einfindet &#x2014; wer<lb/>
sollte da nicht lieber mit einem solchen zürnenden Verächter der Welt und<lb/>
des Menschengetriebes verkehren, als mit unseren Sittiskirits der Börse oder<lb/>
der Tribüne? Jedenfalls ist ein Pessimismus, der noch für die Ideen des<lb/>
Vaterlandes und der Nation, der Freiheit und des Fortschrittes des Geistes,<lb/>
der Schönheit und der Wahrheit sich nicht bloß erwärmen, sondern in lodernde<lb/>
Flammen aufschlagen kann, etwas anderes als jene blasirte, an Seele und<lb/>
Leib gelähmte Hochnäsigkeit des sublimirten Egoismus, die man einst Welt¬<lb/>
schmerz und jetzt mit einem Fremdworte zu benennen pflegt, gleichsam als<lb/>
wollte man damit verblümt zu verstehen geben, wie undeutsch das ganze<lb/>
Ding ist. Wenn Herr Jeremias in seiner derben Art z. B. über die Schopen-<lb/>
hauersche Philosophie sich dahin vernehmen läßt &#x201E;ihr Grundfehler ist, daß sie<lb/>
von einem Hagestolzen Couponsschneider Hagestolzen Couponsschneidern auf den<lb/>
Leib geschnitten ist," so können wir ihm nicht so Unrecht geben, obwohl wir<lb/>
meinen, daß sie neben diesem einen &#x201E;Grundfehler" noch eine Menge anderer<lb/>
habe, die zuletzt wieder alle aus einem noch tieferliegenden, gründlichsten<lb/>
Grundfehler entspringen. Aber sicher ist es, daß weder das Hagestolzenthum<lb/>
noch die Couponsschneiderei deutsche Art sind. ,</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1602"> Da wir Höflichkeit genug gelernt haben, um jede Art von Jncognito zu<lb/>
respectiren, so lange es selbst respectirt sein will, auch dann, wenn es wie<lb/>
so oft die Jncogniti auf der Bühne und in den Romanen, willkürlich oder<lb/>
unwillkürlich &#x201E;sich verschnappt" und Ordensband und Stern vor der Zeit Her¬<lb/>
ausgucken läßt, so reden wir nach wie vor nicht von Herrn Johannes Scherr,<lb/>
dem Herausgeber, sondern von Herrn Jeremia. dem Verfasser des Tagebuches.<lb/>
Um so lieber, weil der indifferente Name des Verfassers wahrscheinlich bet<lb/>
vielen Lesern die richtige Lesestimmung, die sine ira, et swäio hervorbringt,<lb/>
was von dem Namen des Herausgebers, der eine so markirte politische und<lb/>
literarische Stellung einnimmt, kaum zu erwarten sein dürfte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1603" next="#ID_1604"> Gewiß werden viele unter dieser Voraussetzung mit uns sagen, daß Herr<lb/>
Jeremia zwar mitunter etwas mehr als derb seine Meinung über Menschen<lb/>
und Dinge dieser Zeit zu äußern pflege, aber und das ist die Hauptsache,<lb/>
man hört ihm gern zu und giebt ihm meistens Recht. Einem Tagebuch ist</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0507] konnte er noch in seinen letzten Lebenswochen in die heftigste Aufregung ge¬ rathen, in wetternden Zorn ausbrechen." In einer Zeit, wo der Pessimismus als naturgemäße Supplementärfarbe des Materialismus in vielen Sehnerven grassirt, läßt man sich immer noch einen solchen Pessimismus, wie den des seligen, oder da sein Schatten gegen diesen Titel protestiren würde, des in Nichts verflüchtigten Jeremiae Sauer¬ ampfer, am ersten gefallen. Es ist doch ein gut Theil Idealismus dabei, vielleicht sogar etwas mehr, als die wahre mens sana, in corpore sg.no ver¬ trägt. Und wenn dazu sich eine richtige Portion Humors einfindet — wer sollte da nicht lieber mit einem solchen zürnenden Verächter der Welt und des Menschengetriebes verkehren, als mit unseren Sittiskirits der Börse oder der Tribüne? Jedenfalls ist ein Pessimismus, der noch für die Ideen des Vaterlandes und der Nation, der Freiheit und des Fortschrittes des Geistes, der Schönheit und der Wahrheit sich nicht bloß erwärmen, sondern in lodernde Flammen aufschlagen kann, etwas anderes als jene blasirte, an Seele und Leib gelähmte Hochnäsigkeit des sublimirten Egoismus, die man einst Welt¬ schmerz und jetzt mit einem Fremdworte zu benennen pflegt, gleichsam als wollte man damit verblümt zu verstehen geben, wie undeutsch das ganze Ding ist. Wenn Herr Jeremias in seiner derben Art z. B. über die Schopen- hauersche Philosophie sich dahin vernehmen läßt „ihr Grundfehler ist, daß sie von einem Hagestolzen Couponsschneider Hagestolzen Couponsschneidern auf den Leib geschnitten ist," so können wir ihm nicht so Unrecht geben, obwohl wir meinen, daß sie neben diesem einen „Grundfehler" noch eine Menge anderer habe, die zuletzt wieder alle aus einem noch tieferliegenden, gründlichsten Grundfehler entspringen. Aber sicher ist es, daß weder das Hagestolzenthum noch die Couponsschneiderei deutsche Art sind. , Da wir Höflichkeit genug gelernt haben, um jede Art von Jncognito zu respectiren, so lange es selbst respectirt sein will, auch dann, wenn es wie so oft die Jncogniti auf der Bühne und in den Romanen, willkürlich oder unwillkürlich „sich verschnappt" und Ordensband und Stern vor der Zeit Her¬ ausgucken läßt, so reden wir nach wie vor nicht von Herrn Johannes Scherr, dem Herausgeber, sondern von Herrn Jeremia. dem Verfasser des Tagebuches. Um so lieber, weil der indifferente Name des Verfassers wahrscheinlich bet vielen Lesern die richtige Lesestimmung, die sine ira, et swäio hervorbringt, was von dem Namen des Herausgebers, der eine so markirte politische und literarische Stellung einnimmt, kaum zu erwarten sein dürfte. Gewiß werden viele unter dieser Voraussetzung mit uns sagen, daß Herr Jeremia zwar mitunter etwas mehr als derb seine Meinung über Menschen und Dinge dieser Zeit zu äußern pflege, aber und das ist die Hauptsache, man hört ihm gern zu und giebt ihm meistens Recht. Einem Tagebuch ist

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/507
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/507>, abgerufen am 24.08.2024.