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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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tierischen Königthum in Rom ein, Italien aber zeigte während des deutsch-
französischen Krieges so wenig Loyalität gegen Deutschland, zeigte soviel Nei¬
gung, seine Waffen mit den französischen gegen Deutschland zu verbinden,
daß zur Zeit des Friedens von Versailles gar nicht die Rede sein konnte von
einer Neigung Deutschlands, Italien den Besitz Roms zu garantiren. Das
Papstthum entbot aber seine Streiter zum Kampfe gegen das deutsche Reich.
Zur Abwehr in diesem Kampfe, zum Schutz der preußisch-.deutschen Staats¬
gewalt dient die Kirchenpolitik, welche theils im Reich theils,'im preußischen
Staat eingeschlagen worden.

Ein theilweises Dunkel schwebt noch darüber, was am Ende des Jahres
1870 und in den ersten Monaten des Jahres 1871 zwischen Rom und der
deutschen Staatsleitung vorgegangen. Man möchte glauben, daß ersteres im
geheimen ganz unerfüllbare Anforderungen gestellt oder sehr billige Anforde¬
rungen verweigert hat; vielleicht auch beides. Im übrigen ist nicht zu ver¬
gessen, daß der Kampf Roms gegen das deutsche Reich begann, ehe dasselbe
vollendet war. Rom erhob sich gegen Deutschland, so viel uns erinnerlich,
alsbald nach der Gründung des norddeutschen Bundes. Man denke an den
Sturz des Ministeriums Hohenlohe durch die ultramontane Partei in Bayern,
der mit unerhörten Mitteln ausgeführt und vor Allem deßhalb unternommen
wurde, weil dieses Ministerium in dem Rufe stand, daß es den Vertrag vom
August 1866, durch welchen sich Bayern zum Schutz des deutschen Gebietes
verpflichtet hatte, erforderlichenfalls halten werde.

Am 11. März, wo dieselbe Verhandlung im Herrenhaus fortgesetzt wurde,
trat auch der Ministerpräsident Graf Roon persönlich für die kirchlichen Vor¬
lagen und zunächst für die Abänderung der betreffenden Verfassungsartikel
ein. Am 13. März sprach Freiherr Otto von Manteuffel, der Ministerpräsi¬
dent jener traurig unvergeßlichen Reactionsperiode, gegen die Vorlagen. Er
fand, daß in dieser Zeit die katholische wie die evangelische Kirche öoelssiae
xressas seien, und wollte daraus folgern, daß der Staat keiner Aufsichts¬
mittel gegen die Kirchen bedürfe. Ein rechtes Zeichen der staatsmännischen
Kurzsichtigkeit, welche die Wirksamkeit dieses Ministers gekennzeichnet hat. So¬
fern eine breite antireligiöse Strömung durch unsere Zeit geht, kann man
allerdings von allen Kirchen in gewissem Sinne sagen, sie seien "z<zelösias
prössas. Aber ist das nun die Offenbarung der Staatsweisheit, in solcher
Zeit die Kirchen auf den rücksichtslosen Gebrauch ihrer Herrschaftsmittel an¬
zuweisen und die feindliche Strömung dadurch desto heftiger anzufachen? Die
heutige Kirche und zumal die katholische streitet bereits für einen langen
Besitz und ist nicht mehr frei von der Leidenschaft des Besitzes und der Herr¬
schaft. Sie fällt nicht mehr schlechthin zusammen mit dem Evangelium, das
dem Gemüth allein die heilige Botschaft verkündet. Dieser vielfach verweil-


tierischen Königthum in Rom ein, Italien aber zeigte während des deutsch-
französischen Krieges so wenig Loyalität gegen Deutschland, zeigte soviel Nei¬
gung, seine Waffen mit den französischen gegen Deutschland zu verbinden,
daß zur Zeit des Friedens von Versailles gar nicht die Rede sein konnte von
einer Neigung Deutschlands, Italien den Besitz Roms zu garantiren. Das
Papstthum entbot aber seine Streiter zum Kampfe gegen das deutsche Reich.
Zur Abwehr in diesem Kampfe, zum Schutz der preußisch-.deutschen Staats¬
gewalt dient die Kirchenpolitik, welche theils im Reich theils,'im preußischen
Staat eingeschlagen worden.

Ein theilweises Dunkel schwebt noch darüber, was am Ende des Jahres
1870 und in den ersten Monaten des Jahres 1871 zwischen Rom und der
deutschen Staatsleitung vorgegangen. Man möchte glauben, daß ersteres im
geheimen ganz unerfüllbare Anforderungen gestellt oder sehr billige Anforde¬
rungen verweigert hat; vielleicht auch beides. Im übrigen ist nicht zu ver¬
gessen, daß der Kampf Roms gegen das deutsche Reich begann, ehe dasselbe
vollendet war. Rom erhob sich gegen Deutschland, so viel uns erinnerlich,
alsbald nach der Gründung des norddeutschen Bundes. Man denke an den
Sturz des Ministeriums Hohenlohe durch die ultramontane Partei in Bayern,
der mit unerhörten Mitteln ausgeführt und vor Allem deßhalb unternommen
wurde, weil dieses Ministerium in dem Rufe stand, daß es den Vertrag vom
August 1866, durch welchen sich Bayern zum Schutz des deutschen Gebietes
verpflichtet hatte, erforderlichenfalls halten werde.

Am 11. März, wo dieselbe Verhandlung im Herrenhaus fortgesetzt wurde,
trat auch der Ministerpräsident Graf Roon persönlich für die kirchlichen Vor¬
lagen und zunächst für die Abänderung der betreffenden Verfassungsartikel
ein. Am 13. März sprach Freiherr Otto von Manteuffel, der Ministerpräsi¬
dent jener traurig unvergeßlichen Reactionsperiode, gegen die Vorlagen. Er
fand, daß in dieser Zeit die katholische wie die evangelische Kirche öoelssiae
xressas seien, und wollte daraus folgern, daß der Staat keiner Aufsichts¬
mittel gegen die Kirchen bedürfe. Ein rechtes Zeichen der staatsmännischen
Kurzsichtigkeit, welche die Wirksamkeit dieses Ministers gekennzeichnet hat. So¬
fern eine breite antireligiöse Strömung durch unsere Zeit geht, kann man
allerdings von allen Kirchen in gewissem Sinne sagen, sie seien «z<zelösias
prössas. Aber ist das nun die Offenbarung der Staatsweisheit, in solcher
Zeit die Kirchen auf den rücksichtslosen Gebrauch ihrer Herrschaftsmittel an¬
zuweisen und die feindliche Strömung dadurch desto heftiger anzufachen? Die
heutige Kirche und zumal die katholische streitet bereits für einen langen
Besitz und ist nicht mehr frei von der Leidenschaft des Besitzes und der Herr¬
schaft. Sie fällt nicht mehr schlechthin zusammen mit dem Evangelium, das
dem Gemüth allein die heilige Botschaft verkündet. Dieser vielfach verweil-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/482>, abgerufen am 24.08.2024.