Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

unterworfen bleiben; bei Artikel 18, welcher die Einwirkung des Staats auf
die Besetzung kirchlicher Stellen aufhebt, um den Zusatz, daß das Gesetz die
Befugnisse des Staats hinsichtlich der Vorbildung, Anstellung und Entlassung
der Geistlichen und Religionsdiener regelt und die Grenzen der kirchlichen Dis¬
ziplinargewalt feststellt.

Die Berathung des Herrenhauses am 10. März erhielt einen ausgezeich¬
neten Charakter durch eine Rede des Fürsten Bismark. Wenn es wahr wäre,
was wir nicht glauben, daß über die Frage von Staat und Kirche sich Neues
im gegenwärtigen Augenblick nicht mehr vorbringen ließe, so wäre es immer
noch bedeutsam, welche der von den Vertheidigern der Staatsrechte vorge¬
brachten Argumente der Fürst Reichskanzler zu den seinigen macht. Daß der
Fürst auch, wo er einmal nicht original im Inhalt sein sollte, es immer in
der Form sein 'wird, weiß man ohnedies im Voraus. Er eignete sich dies¬
mal den Gesichtspunkt an, daß bei dem Kampf zwischen Staat und Papst¬
thum es sich in keinem Sinne handelt um einen Kampf gegen die Religion,
in welcher Form dieselbe erscheine: sondern um den Kampf des nationalen
Staates gegen einen Universalstaat, der ein geistlicher zu sein behauptet und
geistliche Mittel in seinen Dienst zieht, dessen Ziel aber die weltliche Herr¬
schaft über den Erdkreis ist. Der Fürst erinnerte daran, daß katholische
Staaten weit eher als der preußische in diesen Kampf gegen den päpstlichen
Staat verwickelt wurden. Der preußische Staat verdankte diese Gunst dem
Umstand, daß er lange Zeit nur kleine Bruchstücke der katholischen Gemeinde
unter seinen Bürgern zählte, auf welche sich der unmittelbare Anspruch der
päpstlichen Herrschaft erstreckt. So konnte Friedrich II. im Frieden mit dem
Päpste leben, den Joseph II. mit größter Anstrengung bekämpfte. So konnte
Friedrich Wilhelm III. im Gegensatz zu Franz II. und Metternich die Wie¬
derherstellung des Kirchenstaates befürworten. Aber der Friede mit dem Papst¬
thum hat für den preußischen Staat ein Ende, seitdem derselbe eine zahl¬
reiche katholische Bevölkerung zählt. Der Krieg brach im Jahre 1839 aus
und wurde dann durch die Nachgebigkeit Friedrich Wilhelm IV. beschwichtigt.
Die aus dem Jahre 1848 hervorgegangene Verfassungsurkunde für den preu¬
ßischen Staat erhob die Regierungspraris Friedrich Wilhelm IV. zum Ver¬
fassungsgesetz. Man rechnete dabei einigermaßen auf den Dank der katholi¬
schen Kirche.

Der Fürst kam nun zu der Frage, wie dieser für die katholische Kirche
so außerordentlich günstige Friedenszustand abermals gestört worden ist. Er
wies auf den Ungrund der Beschuldigung hin, daß Preußen direct dazu bei¬
getragen, den Papst um den Rest seiner weltlichen Territorialität zu bringen.
Freilich zog in Folge der preußischen Siege die französische Besatzung aus
Rom, freilich zog in Folge derselben Siege das italienische Heer mit dem ita-


Grenzbotm 187Z. I. 60

unterworfen bleiben; bei Artikel 18, welcher die Einwirkung des Staats auf
die Besetzung kirchlicher Stellen aufhebt, um den Zusatz, daß das Gesetz die
Befugnisse des Staats hinsichtlich der Vorbildung, Anstellung und Entlassung
der Geistlichen und Religionsdiener regelt und die Grenzen der kirchlichen Dis¬
ziplinargewalt feststellt.

Die Berathung des Herrenhauses am 10. März erhielt einen ausgezeich¬
neten Charakter durch eine Rede des Fürsten Bismark. Wenn es wahr wäre,
was wir nicht glauben, daß über die Frage von Staat und Kirche sich Neues
im gegenwärtigen Augenblick nicht mehr vorbringen ließe, so wäre es immer
noch bedeutsam, welche der von den Vertheidigern der Staatsrechte vorge¬
brachten Argumente der Fürst Reichskanzler zu den seinigen macht. Daß der
Fürst auch, wo er einmal nicht original im Inhalt sein sollte, es immer in
der Form sein 'wird, weiß man ohnedies im Voraus. Er eignete sich dies¬
mal den Gesichtspunkt an, daß bei dem Kampf zwischen Staat und Papst¬
thum es sich in keinem Sinne handelt um einen Kampf gegen die Religion,
in welcher Form dieselbe erscheine: sondern um den Kampf des nationalen
Staates gegen einen Universalstaat, der ein geistlicher zu sein behauptet und
geistliche Mittel in seinen Dienst zieht, dessen Ziel aber die weltliche Herr¬
schaft über den Erdkreis ist. Der Fürst erinnerte daran, daß katholische
Staaten weit eher als der preußische in diesen Kampf gegen den päpstlichen
Staat verwickelt wurden. Der preußische Staat verdankte diese Gunst dem
Umstand, daß er lange Zeit nur kleine Bruchstücke der katholischen Gemeinde
unter seinen Bürgern zählte, auf welche sich der unmittelbare Anspruch der
päpstlichen Herrschaft erstreckt. So konnte Friedrich II. im Frieden mit dem
Päpste leben, den Joseph II. mit größter Anstrengung bekämpfte. So konnte
Friedrich Wilhelm III. im Gegensatz zu Franz II. und Metternich die Wie¬
derherstellung des Kirchenstaates befürworten. Aber der Friede mit dem Papst¬
thum hat für den preußischen Staat ein Ende, seitdem derselbe eine zahl¬
reiche katholische Bevölkerung zählt. Der Krieg brach im Jahre 1839 aus
und wurde dann durch die Nachgebigkeit Friedrich Wilhelm IV. beschwichtigt.
Die aus dem Jahre 1848 hervorgegangene Verfassungsurkunde für den preu¬
ßischen Staat erhob die Regierungspraris Friedrich Wilhelm IV. zum Ver¬
fassungsgesetz. Man rechnete dabei einigermaßen auf den Dank der katholi¬
schen Kirche.

Der Fürst kam nun zu der Frage, wie dieser für die katholische Kirche
so außerordentlich günstige Friedenszustand abermals gestört worden ist. Er
wies auf den Ungrund der Beschuldigung hin, daß Preußen direct dazu bei¬
getragen, den Papst um den Rest seiner weltlichen Territorialität zu bringen.
Freilich zog in Folge der preußischen Siege die französische Besatzung aus
Rom, freilich zog in Folge derselben Siege das italienische Heer mit dem ita-


Grenzbotm 187Z. I. 60
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0481" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/129473"/>
          <p xml:id="ID_1518" prev="#ID_1517"> unterworfen bleiben; bei Artikel 18, welcher die Einwirkung des Staats auf<lb/>
die Besetzung kirchlicher Stellen aufhebt, um den Zusatz, daß das Gesetz die<lb/>
Befugnisse des Staats hinsichtlich der Vorbildung, Anstellung und Entlassung<lb/>
der Geistlichen und Religionsdiener regelt und die Grenzen der kirchlichen Dis¬<lb/>
ziplinargewalt feststellt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1519"> Die Berathung des Herrenhauses am 10. März erhielt einen ausgezeich¬<lb/>
neten Charakter durch eine Rede des Fürsten Bismark. Wenn es wahr wäre,<lb/>
was wir nicht glauben, daß über die Frage von Staat und Kirche sich Neues<lb/>
im gegenwärtigen Augenblick nicht mehr vorbringen ließe, so wäre es immer<lb/>
noch bedeutsam, welche der von den Vertheidigern der Staatsrechte vorge¬<lb/>
brachten Argumente der Fürst Reichskanzler zu den seinigen macht. Daß der<lb/>
Fürst auch, wo er einmal nicht original im Inhalt sein sollte, es immer in<lb/>
der Form sein 'wird, weiß man ohnedies im Voraus. Er eignete sich dies¬<lb/>
mal den Gesichtspunkt an, daß bei dem Kampf zwischen Staat und Papst¬<lb/>
thum es sich in keinem Sinne handelt um einen Kampf gegen die Religion,<lb/>
in welcher Form dieselbe erscheine: sondern um den Kampf des nationalen<lb/>
Staates gegen einen Universalstaat, der ein geistlicher zu sein behauptet und<lb/>
geistliche Mittel in seinen Dienst zieht, dessen Ziel aber die weltliche Herr¬<lb/>
schaft über den Erdkreis ist. Der Fürst erinnerte daran, daß katholische<lb/>
Staaten weit eher als der preußische in diesen Kampf gegen den päpstlichen<lb/>
Staat verwickelt wurden. Der preußische Staat verdankte diese Gunst dem<lb/>
Umstand, daß er lange Zeit nur kleine Bruchstücke der katholischen Gemeinde<lb/>
unter seinen Bürgern zählte, auf welche sich der unmittelbare Anspruch der<lb/>
päpstlichen Herrschaft erstreckt. So konnte Friedrich II. im Frieden mit dem<lb/>
Päpste leben, den Joseph II. mit größter Anstrengung bekämpfte. So konnte<lb/>
Friedrich Wilhelm III. im Gegensatz zu Franz II. und Metternich die Wie¬<lb/>
derherstellung des Kirchenstaates befürworten. Aber der Friede mit dem Papst¬<lb/>
thum hat für den preußischen Staat ein Ende, seitdem derselbe eine zahl¬<lb/>
reiche katholische Bevölkerung zählt. Der Krieg brach im Jahre 1839 aus<lb/>
und wurde dann durch die Nachgebigkeit Friedrich Wilhelm IV. beschwichtigt.<lb/>
Die aus dem Jahre 1848 hervorgegangene Verfassungsurkunde für den preu¬<lb/>
ßischen Staat erhob die Regierungspraris Friedrich Wilhelm IV. zum Ver¬<lb/>
fassungsgesetz. Man rechnete dabei einigermaßen auf den Dank der katholi¬<lb/>
schen Kirche.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1520" next="#ID_1521"> Der Fürst kam nun zu der Frage, wie dieser für die katholische Kirche<lb/>
so außerordentlich günstige Friedenszustand abermals gestört worden ist. Er<lb/>
wies auf den Ungrund der Beschuldigung hin, daß Preußen direct dazu bei¬<lb/>
getragen, den Papst um den Rest seiner weltlichen Territorialität zu bringen.<lb/>
Freilich zog in Folge der preußischen Siege die französische Besatzung aus<lb/>
Rom, freilich zog in Folge derselben Siege das italienische Heer mit dem ita-</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzbotm 187Z. I. 60</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0481] unterworfen bleiben; bei Artikel 18, welcher die Einwirkung des Staats auf die Besetzung kirchlicher Stellen aufhebt, um den Zusatz, daß das Gesetz die Befugnisse des Staats hinsichtlich der Vorbildung, Anstellung und Entlassung der Geistlichen und Religionsdiener regelt und die Grenzen der kirchlichen Dis¬ ziplinargewalt feststellt. Die Berathung des Herrenhauses am 10. März erhielt einen ausgezeich¬ neten Charakter durch eine Rede des Fürsten Bismark. Wenn es wahr wäre, was wir nicht glauben, daß über die Frage von Staat und Kirche sich Neues im gegenwärtigen Augenblick nicht mehr vorbringen ließe, so wäre es immer noch bedeutsam, welche der von den Vertheidigern der Staatsrechte vorge¬ brachten Argumente der Fürst Reichskanzler zu den seinigen macht. Daß der Fürst auch, wo er einmal nicht original im Inhalt sein sollte, es immer in der Form sein 'wird, weiß man ohnedies im Voraus. Er eignete sich dies¬ mal den Gesichtspunkt an, daß bei dem Kampf zwischen Staat und Papst¬ thum es sich in keinem Sinne handelt um einen Kampf gegen die Religion, in welcher Form dieselbe erscheine: sondern um den Kampf des nationalen Staates gegen einen Universalstaat, der ein geistlicher zu sein behauptet und geistliche Mittel in seinen Dienst zieht, dessen Ziel aber die weltliche Herr¬ schaft über den Erdkreis ist. Der Fürst erinnerte daran, daß katholische Staaten weit eher als der preußische in diesen Kampf gegen den päpstlichen Staat verwickelt wurden. Der preußische Staat verdankte diese Gunst dem Umstand, daß er lange Zeit nur kleine Bruchstücke der katholischen Gemeinde unter seinen Bürgern zählte, auf welche sich der unmittelbare Anspruch der päpstlichen Herrschaft erstreckt. So konnte Friedrich II. im Frieden mit dem Päpste leben, den Joseph II. mit größter Anstrengung bekämpfte. So konnte Friedrich Wilhelm III. im Gegensatz zu Franz II. und Metternich die Wie¬ derherstellung des Kirchenstaates befürworten. Aber der Friede mit dem Papst¬ thum hat für den preußischen Staat ein Ende, seitdem derselbe eine zahl¬ reiche katholische Bevölkerung zählt. Der Krieg brach im Jahre 1839 aus und wurde dann durch die Nachgebigkeit Friedrich Wilhelm IV. beschwichtigt. Die aus dem Jahre 1848 hervorgegangene Verfassungsurkunde für den preu¬ ßischen Staat erhob die Regierungspraris Friedrich Wilhelm IV. zum Ver¬ fassungsgesetz. Man rechnete dabei einigermaßen auf den Dank der katholi¬ schen Kirche. Der Fürst kam nun zu der Frage, wie dieser für die katholische Kirche so außerordentlich günstige Friedenszustand abermals gestört worden ist. Er wies auf den Ungrund der Beschuldigung hin, daß Preußen direct dazu bei¬ getragen, den Papst um den Rest seiner weltlichen Territorialität zu bringen. Freilich zog in Folge der preußischen Siege die französische Besatzung aus Rom, freilich zog in Folge derselben Siege das italienische Heer mit dem ita- Grenzbotm 187Z. I. 60

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/481
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/481>, abgerufen am 24.08.2024.