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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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die Schlafsäcke gelegt. An den mit Segeltuch überzogenen Wänden wurden Borde
angebracht, auf welchen Bücher. Instrumente, Kochgeschirre ihren Platz fanden.
Die Schiffskisten , vor den Schlafstellen aufgestellt, dienten als Tische und
Bänke, Der goldne Spiegel der Kajüre prangte an der hintern Wand, da¬
runter ein kostbares Barometer; die Uhr ließ ihr gewohntes Tiktak hören.
Die Logiskappe diente als Windfang vor der Thüre, eine Fallreepstreppe
zum Hinabsteigen in das Haus, so daß sie nun wie in einen Fuchsbau in
ihre kaum mit dem Dache aus dem Schnee hervorragende Höhle krochen. Die
Heizung war gut. Bei 20° Kälte konnte sie 18° Wärme erzeugen. Der
Dampf zog durch die Klappfenster leicht ab, frische Luft ein. Die trefflichen
Conserven lieferten stärkende Fleischbrühen. Der Druck der unmittelbaren
Lebensgefahr war von ihnen genommen. Das übliche Whist wurde, in Er¬
mangelung eines Tisches, auf einem Schiffsjournal gespielt. -- In den fol¬
genden Tagen wurde der Proviant und das Brennholz vollends von der
Schiffbruchstätte herangeschafft und bei dem Hause aufgestapelt. Ein 4 Fuß
breiter Gang rings um das Haus, mit Segeltuch bedeckt und mit Schnee
gedichtet, bildete die Vorrathskammer. Das aus den Masten und Spieren
gefertigte Brennholz wurde in Stößen aufgeschichtet. Für alle Fälle wurden
auch die Boote auf 2 Monate mit Proviant versehen, und immer an die ge¬
schütztesten Stellen gezogen. Die große Flagge hatte man zuerst mit gerettet.
An der Bramstange hinter dem Hause, die als Flaggenpfahl dienen mußte,
wurde sie bei gutem Wetter zum Vergnügen und als Nothsignal aufgehißt.

So trieben die Hansamänner "als unsres Herrgotts Passagiere" zwischen
Meer und Küste viele Monate lang nach Süden. Ihr Eisfeld erwies sich
als ein etwa 3000 Schritt breites und langes, gleichmäßig mit Schnee be¬
decktes, ebenes, aus Eisflarden und Schollen fest zusammengekittetes Feld.
Es ragte durchschnittlich 5 Fuß über Wasser, seine submarine Mächtigkeit
ließ sich zu mindestens 40 Fuß annehmen. Abschreckend wild war der Rand
des Feldes im Westen und Nordwesten. Die Reibungen und Pressungen mit
antreibenden Schollen hatten hier Mauern bis zu 10 Fuß Höhe aufgethürmt.
-- Während vom Ende October an die Sonne erst um Vz9 Uhr morgens
auf- und bereits um 3 Uhr hinter den Felsen der Küste niederging, waren
die Nächte prachtvoll hell, so daß man die feinste Schrift lesen und weit hin¬
aus in die Ferne spähen konnte. Nordlichter waren in solchen Nächten stets
zu sehen. -- Im November war die Jagdbeute eine besonders reiche. Auf
einer benachbarten Scholle zeigte sich die unförmige Gestalt eines großen
Walrosses unbeweglich wie ein Felsblock. Auch hier bewähre sich die Zünd-
nadel; die Kugeln drangen durch die zolldicke Haut des Ungethüms und
wenige Schüsse tödteten dasselbe, nachdem es schwer verwundet und wüthend
noch versucht hatte, das junge Eis, auf dem die Jäger standen, zu zerbrechen,


die Schlafsäcke gelegt. An den mit Segeltuch überzogenen Wänden wurden Borde
angebracht, auf welchen Bücher. Instrumente, Kochgeschirre ihren Platz fanden.
Die Schiffskisten , vor den Schlafstellen aufgestellt, dienten als Tische und
Bänke, Der goldne Spiegel der Kajüre prangte an der hintern Wand, da¬
runter ein kostbares Barometer; die Uhr ließ ihr gewohntes Tiktak hören.
Die Logiskappe diente als Windfang vor der Thüre, eine Fallreepstreppe
zum Hinabsteigen in das Haus, so daß sie nun wie in einen Fuchsbau in
ihre kaum mit dem Dache aus dem Schnee hervorragende Höhle krochen. Die
Heizung war gut. Bei 20° Kälte konnte sie 18° Wärme erzeugen. Der
Dampf zog durch die Klappfenster leicht ab, frische Luft ein. Die trefflichen
Conserven lieferten stärkende Fleischbrühen. Der Druck der unmittelbaren
Lebensgefahr war von ihnen genommen. Das übliche Whist wurde, in Er¬
mangelung eines Tisches, auf einem Schiffsjournal gespielt. — In den fol¬
genden Tagen wurde der Proviant und das Brennholz vollends von der
Schiffbruchstätte herangeschafft und bei dem Hause aufgestapelt. Ein 4 Fuß
breiter Gang rings um das Haus, mit Segeltuch bedeckt und mit Schnee
gedichtet, bildete die Vorrathskammer. Das aus den Masten und Spieren
gefertigte Brennholz wurde in Stößen aufgeschichtet. Für alle Fälle wurden
auch die Boote auf 2 Monate mit Proviant versehen, und immer an die ge¬
schütztesten Stellen gezogen. Die große Flagge hatte man zuerst mit gerettet.
An der Bramstange hinter dem Hause, die als Flaggenpfahl dienen mußte,
wurde sie bei gutem Wetter zum Vergnügen und als Nothsignal aufgehißt.

So trieben die Hansamänner „als unsres Herrgotts Passagiere" zwischen
Meer und Küste viele Monate lang nach Süden. Ihr Eisfeld erwies sich
als ein etwa 3000 Schritt breites und langes, gleichmäßig mit Schnee be¬
decktes, ebenes, aus Eisflarden und Schollen fest zusammengekittetes Feld.
Es ragte durchschnittlich 5 Fuß über Wasser, seine submarine Mächtigkeit
ließ sich zu mindestens 40 Fuß annehmen. Abschreckend wild war der Rand
des Feldes im Westen und Nordwesten. Die Reibungen und Pressungen mit
antreibenden Schollen hatten hier Mauern bis zu 10 Fuß Höhe aufgethürmt.
— Während vom Ende October an die Sonne erst um Vz9 Uhr morgens
auf- und bereits um 3 Uhr hinter den Felsen der Küste niederging, waren
die Nächte prachtvoll hell, so daß man die feinste Schrift lesen und weit hin¬
aus in die Ferne spähen konnte. Nordlichter waren in solchen Nächten stets
zu sehen. — Im November war die Jagdbeute eine besonders reiche. Auf
einer benachbarten Scholle zeigte sich die unförmige Gestalt eines großen
Walrosses unbeweglich wie ein Felsblock. Auch hier bewähre sich die Zünd-
nadel; die Kugeln drangen durch die zolldicke Haut des Ungethüms und
wenige Schüsse tödteten dasselbe, nachdem es schwer verwundet und wüthend
noch versucht hatte, das junge Eis, auf dem die Jäger standen, zu zerbrechen,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/466>, abgerufen am 24.08.2024.