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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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selben. Bis gegen 7 Uhr war es ausgepumpt. Rasch nahm die Mannschaft
ihr Abendbrot. Aber nach einer Viertelstunde schon fanden sich wieder 2 Fuß
Wasser in den Pumpen. Eine halbstündige gewaltige Anstrengung an den
Pumphebeln zeigte, daß alle Mühe vergeblich war. Das Schiff mußte
schwer leck sein. Es war unmöglich, den Sitz des Schadens zu ermitteln.
Sicherlich drang unter den Kohlen Wasser ein, außerdem mußte der Kiel ge¬
brochen, vielleicht auch die Schiffswand an den Klauen eingedrückt sein. Das
Schicksal der Hansa war besiegelt. Tief erschüttert, aber gefaßt stand die
Mannschaft vor dieser Thatsache. Das Kohlenhaus auf dem südwärts trei¬
benden Eisfelde sollte also ihre einzige Zufluchtsstätte sein, vielleicht auch --
ihr Sarg.

So ward denn Alles, was an nothwendigen und nützlichen Dingen noch
an Bord war, herauf und auf das Eis befördert. Die Kleidung, die nauti¬
schen Instrumente, Tagebücher und Karten sowie ein Theil Brennholz waren
schon früher diesen Weg gewandelt. Nun folgte das Bettzeug, der Rest der
Kleidungen, des Proviants, der Kohlenvorräthe, der Kochheerd, dann die
Oefen. Zusehends steigt das Wasser. Um 8 Uhr Morgens am 20. begann
das Holz im Schiffsraum zu schwimmen, um 3 Uhr stand das Wasser schon
am Kajütentisch und alle beweglichen Gegenstände trieben darin. Da wurde
noch gerettet, was irgend anging: Lampen, Bücher, Cigarren, Spieldosen,
Arzneimittel, Schneedach und Schneesegel. Alles lag durcheinander aus dem
Eise, belebt durch Gruppen mit dem Tode kämpfender, vor Frost zitternder
Ratten. Auch darin ward bald Ordnung. Der Kochheerd ward noch den¬
selben Abend geborgen und benutzt. Zum ersten Mal schlief man in dem
neuen Asyl, das mit seinen schwarzen Wänden aussah, wie ein schaurig,
großer Sarg -- beim Schein der Kajütslampe.' Am folgenden Tage, den
21. wurden die Masten des Schiffes gekapt, um den Brennholzbestand zu
vermehren, und mit der ganzen Takelung aufs Eis geholt. Zum letzten Mal
begaben sich Kapitän und Steuermann an Bord. Um 6 Uhr Abends lösten
sie die Leinen, damit das sinkende Schiff nicht die Scholle, auf welcher Aller
Hoffnung ruhte, in den Abgrund risse. In der Nacht vom 21. zum 22. Octo-
ber sank das Schiff auf 70° 52' nördlicher Breite und 21" westlicher Breite,
etwa l^/z deutsche Meile von der Liverpool-Küste. Das große Boot König
Wilhelm wurde beim Sinken des Schiffs geborgen. Die Sammlungen der
Gelehrten, der photographische Apparat, die Photographien und das Schiffs¬
loth gingen zu Grunde.

Die nächsten Tage wurden zur wohnlicheren Einrichtung des schwarzen
Hauses benutzt. Das lenkende Dach wurde durch ein mit Segeln überzogenes
Plankendach ersetzt. Luft und Licht wurden durch zwei Klappfenster im Dache
eingelassen. Sechs Zoll vom Boden wurden Pritschen errichtet und darauf


Grenjboten 1873. I. S8

selben. Bis gegen 7 Uhr war es ausgepumpt. Rasch nahm die Mannschaft
ihr Abendbrot. Aber nach einer Viertelstunde schon fanden sich wieder 2 Fuß
Wasser in den Pumpen. Eine halbstündige gewaltige Anstrengung an den
Pumphebeln zeigte, daß alle Mühe vergeblich war. Das Schiff mußte
schwer leck sein. Es war unmöglich, den Sitz des Schadens zu ermitteln.
Sicherlich drang unter den Kohlen Wasser ein, außerdem mußte der Kiel ge¬
brochen, vielleicht auch die Schiffswand an den Klauen eingedrückt sein. Das
Schicksal der Hansa war besiegelt. Tief erschüttert, aber gefaßt stand die
Mannschaft vor dieser Thatsache. Das Kohlenhaus auf dem südwärts trei¬
benden Eisfelde sollte also ihre einzige Zufluchtsstätte sein, vielleicht auch —
ihr Sarg.

So ward denn Alles, was an nothwendigen und nützlichen Dingen noch
an Bord war, herauf und auf das Eis befördert. Die Kleidung, die nauti¬
schen Instrumente, Tagebücher und Karten sowie ein Theil Brennholz waren
schon früher diesen Weg gewandelt. Nun folgte das Bettzeug, der Rest der
Kleidungen, des Proviants, der Kohlenvorräthe, der Kochheerd, dann die
Oefen. Zusehends steigt das Wasser. Um 8 Uhr Morgens am 20. begann
das Holz im Schiffsraum zu schwimmen, um 3 Uhr stand das Wasser schon
am Kajütentisch und alle beweglichen Gegenstände trieben darin. Da wurde
noch gerettet, was irgend anging: Lampen, Bücher, Cigarren, Spieldosen,
Arzneimittel, Schneedach und Schneesegel. Alles lag durcheinander aus dem
Eise, belebt durch Gruppen mit dem Tode kämpfender, vor Frost zitternder
Ratten. Auch darin ward bald Ordnung. Der Kochheerd ward noch den¬
selben Abend geborgen und benutzt. Zum ersten Mal schlief man in dem
neuen Asyl, das mit seinen schwarzen Wänden aussah, wie ein schaurig,
großer Sarg — beim Schein der Kajütslampe.' Am folgenden Tage, den
21. wurden die Masten des Schiffes gekapt, um den Brennholzbestand zu
vermehren, und mit der ganzen Takelung aufs Eis geholt. Zum letzten Mal
begaben sich Kapitän und Steuermann an Bord. Um 6 Uhr Abends lösten
sie die Leinen, damit das sinkende Schiff nicht die Scholle, auf welcher Aller
Hoffnung ruhte, in den Abgrund risse. In der Nacht vom 21. zum 22. Octo-
ber sank das Schiff auf 70° 52' nördlicher Breite und 21« westlicher Breite,
etwa l^/z deutsche Meile von der Liverpool-Küste. Das große Boot König
Wilhelm wurde beim Sinken des Schiffs geborgen. Die Sammlungen der
Gelehrten, der photographische Apparat, die Photographien und das Schiffs¬
loth gingen zu Grunde.

Die nächsten Tage wurden zur wohnlicheren Einrichtung des schwarzen
Hauses benutzt. Das lenkende Dach wurde durch ein mit Segeln überzogenes
Plankendach ersetzt. Luft und Licht wurden durch zwei Klappfenster im Dache
eingelassen. Sechs Zoll vom Boden wurden Pritschen errichtet und darauf


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[0465] selben. Bis gegen 7 Uhr war es ausgepumpt. Rasch nahm die Mannschaft ihr Abendbrot. Aber nach einer Viertelstunde schon fanden sich wieder 2 Fuß Wasser in den Pumpen. Eine halbstündige gewaltige Anstrengung an den Pumphebeln zeigte, daß alle Mühe vergeblich war. Das Schiff mußte schwer leck sein. Es war unmöglich, den Sitz des Schadens zu ermitteln. Sicherlich drang unter den Kohlen Wasser ein, außerdem mußte der Kiel ge¬ brochen, vielleicht auch die Schiffswand an den Klauen eingedrückt sein. Das Schicksal der Hansa war besiegelt. Tief erschüttert, aber gefaßt stand die Mannschaft vor dieser Thatsache. Das Kohlenhaus auf dem südwärts trei¬ benden Eisfelde sollte also ihre einzige Zufluchtsstätte sein, vielleicht auch — ihr Sarg. So ward denn Alles, was an nothwendigen und nützlichen Dingen noch an Bord war, herauf und auf das Eis befördert. Die Kleidung, die nauti¬ schen Instrumente, Tagebücher und Karten sowie ein Theil Brennholz waren schon früher diesen Weg gewandelt. Nun folgte das Bettzeug, der Rest der Kleidungen, des Proviants, der Kohlenvorräthe, der Kochheerd, dann die Oefen. Zusehends steigt das Wasser. Um 8 Uhr Morgens am 20. begann das Holz im Schiffsraum zu schwimmen, um 3 Uhr stand das Wasser schon am Kajütentisch und alle beweglichen Gegenstände trieben darin. Da wurde noch gerettet, was irgend anging: Lampen, Bücher, Cigarren, Spieldosen, Arzneimittel, Schneedach und Schneesegel. Alles lag durcheinander aus dem Eise, belebt durch Gruppen mit dem Tode kämpfender, vor Frost zitternder Ratten. Auch darin ward bald Ordnung. Der Kochheerd ward noch den¬ selben Abend geborgen und benutzt. Zum ersten Mal schlief man in dem neuen Asyl, das mit seinen schwarzen Wänden aussah, wie ein schaurig, großer Sarg — beim Schein der Kajütslampe.' Am folgenden Tage, den 21. wurden die Masten des Schiffes gekapt, um den Brennholzbestand zu vermehren, und mit der ganzen Takelung aufs Eis geholt. Zum letzten Mal begaben sich Kapitän und Steuermann an Bord. Um 6 Uhr Abends lösten sie die Leinen, damit das sinkende Schiff nicht die Scholle, auf welcher Aller Hoffnung ruhte, in den Abgrund risse. In der Nacht vom 21. zum 22. Octo- ber sank das Schiff auf 70° 52' nördlicher Breite und 21« westlicher Breite, etwa l^/z deutsche Meile von der Liverpool-Küste. Das große Boot König Wilhelm wurde beim Sinken des Schiffs geborgen. Die Sammlungen der Gelehrten, der photographische Apparat, die Photographien und das Schiffs¬ loth gingen zu Grunde. Die nächsten Tage wurden zur wohnlicheren Einrichtung des schwarzen Hauses benutzt. Das lenkende Dach wurde durch ein mit Segeln überzogenes Plankendach ersetzt. Luft und Licht wurden durch zwei Klappfenster im Dache eingelassen. Sechs Zoll vom Boden wurden Pritschen errichtet und darauf Grenjboten 1873. I. S8

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/465>, abgerufen am 24.08.2024.