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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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Hansamänner, die in den letzten Wochen ihre Meerfahrt ausschließlich von
der Jagd die Stillung ihres nagenden Hungers erhofften, doch immer noch
Pulver genug hatten, um sich die Zeit durch Feuerwerk und andere Pulver¬
späße zu vertreiben. Die Aufzählung der wissenschaftlichen Instrumente unter¬
lassen wir, da sie ja doch, ohne vorher kaum benutzt zu sein, in den Tiefen
des Meeres gegenüber der Liverpoolküste von Ostgrönland, auf fast 71°
nördlicher Breite ruhen, und kaum einmal um die Sommersonnenwende einer
rothen Qualle oder einem in stiller Zurückgezogenheit laichenden Kabljau zum
Wochenbett dienen mögen.

Die Mannschaft der Hansa bestand durchweg aus jungen, kräftigen,
erfahrenen Leuten. Der Kapitän Hegemann war 33 Jahre alt, geboren zu
Hooksiel, wohnhaft in Oldenburg. Sein in Stahlstich ungetheiltes Portrait
zeigt ein freies kräftiges Seemannsgesicht mit ernsten Augen, hoher Stirn und
reichem Vollbart. Er war erst 1868 aus der Beringstraße zurückgekehrt, die
er sechs Jahre lang als Steuermann und später als Kapitän des Schiffes Julian
befahren hatte. Als erster Officier war ihm beigegeben Richard Hildebrandt
aus Magdeburg, 26 Jahre alt, der bereits die erste deutsche Nordpolexpe¬
dition 1868 unter Kapitän Koldewey mitgemacht hatte; als zweiter Officier
Wilhelm Bade, in demselben Alter, aus Rostock. Der Zimmermann Wil¬
helm Bowe war 46 Jahre alt, geboren zu Groteliste, wohnhaft in Grohn.
Der Koch, ein Musterbild von Pflichttreue, Humor und culinarischer Erfin¬
dungskraft gegenüber den unbekannten Reizen arktischer Jagdbeute war 25
Jahr alt, aus Jourse in Holland. Von den sechs Vollmatrosen, die im
Alter von 26--39 Jahren standen, hatten zwei gleichfalls bereits die Nord¬
polfahrt des Jahres 1868 mitgemacht, alle schon Fahrten nach Amerika,
Ost- oder Westindien unternommen. Als Leichtmatrose diente der 19jährige
Konrad Gierke aus Stettin. Der Arzt des Schiffs war Dr. mea. Buchholz,
32 Jahre alt, aus Greifswald, wo er Privatdocent gewesen; er hatte als
Assistenzarzt eines preußischen Feldlazarett) den bömischen Krieg mitgemacht.
Ihm oblag auf dieser Expedition, außer der ärztlichen Behandlung seiner
Genossen die zoologische, ethnologische und anthropologische Beobachtung und
Ausbeute. Als Vertreter der Geologie hatte sich endlich, auf Empfehlung
des Professor Hochstetter in Wien, dessen 30jähriger Assistent Dr. Gust. Laube,
Privatdocent an der Universität und Politechn. Schule in Wien der Expe¬
dition angeschlossen.

Kehren wir nach dieser Vorstellung unsrer Helden und ihrer Ausstattung
zu ihrer Fahrt zurück.

Bis zur Insel Jan Mayen, welche am 9. Juli verlassen wurde, hielten
die Schwesterschiffe fast ununterbrochen beisammen aus. Von da an hatten
die kühnen Seefahrer neun Tage lang im Nebel auf das Eis an der Ost-


Hansamänner, die in den letzten Wochen ihre Meerfahrt ausschließlich von
der Jagd die Stillung ihres nagenden Hungers erhofften, doch immer noch
Pulver genug hatten, um sich die Zeit durch Feuerwerk und andere Pulver¬
späße zu vertreiben. Die Aufzählung der wissenschaftlichen Instrumente unter¬
lassen wir, da sie ja doch, ohne vorher kaum benutzt zu sein, in den Tiefen
des Meeres gegenüber der Liverpoolküste von Ostgrönland, auf fast 71°
nördlicher Breite ruhen, und kaum einmal um die Sommersonnenwende einer
rothen Qualle oder einem in stiller Zurückgezogenheit laichenden Kabljau zum
Wochenbett dienen mögen.

Die Mannschaft der Hansa bestand durchweg aus jungen, kräftigen,
erfahrenen Leuten. Der Kapitän Hegemann war 33 Jahre alt, geboren zu
Hooksiel, wohnhaft in Oldenburg. Sein in Stahlstich ungetheiltes Portrait
zeigt ein freies kräftiges Seemannsgesicht mit ernsten Augen, hoher Stirn und
reichem Vollbart. Er war erst 1868 aus der Beringstraße zurückgekehrt, die
er sechs Jahre lang als Steuermann und später als Kapitän des Schiffes Julian
befahren hatte. Als erster Officier war ihm beigegeben Richard Hildebrandt
aus Magdeburg, 26 Jahre alt, der bereits die erste deutsche Nordpolexpe¬
dition 1868 unter Kapitän Koldewey mitgemacht hatte; als zweiter Officier
Wilhelm Bade, in demselben Alter, aus Rostock. Der Zimmermann Wil¬
helm Bowe war 46 Jahre alt, geboren zu Groteliste, wohnhaft in Grohn.
Der Koch, ein Musterbild von Pflichttreue, Humor und culinarischer Erfin¬
dungskraft gegenüber den unbekannten Reizen arktischer Jagdbeute war 25
Jahr alt, aus Jourse in Holland. Von den sechs Vollmatrosen, die im
Alter von 26—39 Jahren standen, hatten zwei gleichfalls bereits die Nord¬
polfahrt des Jahres 1868 mitgemacht, alle schon Fahrten nach Amerika,
Ost- oder Westindien unternommen. Als Leichtmatrose diente der 19jährige
Konrad Gierke aus Stettin. Der Arzt des Schiffs war Dr. mea. Buchholz,
32 Jahre alt, aus Greifswald, wo er Privatdocent gewesen; er hatte als
Assistenzarzt eines preußischen Feldlazarett) den bömischen Krieg mitgemacht.
Ihm oblag auf dieser Expedition, außer der ärztlichen Behandlung seiner
Genossen die zoologische, ethnologische und anthropologische Beobachtung und
Ausbeute. Als Vertreter der Geologie hatte sich endlich, auf Empfehlung
des Professor Hochstetter in Wien, dessen 30jähriger Assistent Dr. Gust. Laube,
Privatdocent an der Universität und Politechn. Schule in Wien der Expe¬
dition angeschlossen.

Kehren wir nach dieser Vorstellung unsrer Helden und ihrer Ausstattung
zu ihrer Fahrt zurück.

Bis zur Insel Jan Mayen, welche am 9. Juli verlassen wurde, hielten
die Schwesterschiffe fast ununterbrochen beisammen aus. Von da an hatten
die kühnen Seefahrer neun Tage lang im Nebel auf das Eis an der Ost-


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[0460] Hansamänner, die in den letzten Wochen ihre Meerfahrt ausschließlich von der Jagd die Stillung ihres nagenden Hungers erhofften, doch immer noch Pulver genug hatten, um sich die Zeit durch Feuerwerk und andere Pulver¬ späße zu vertreiben. Die Aufzählung der wissenschaftlichen Instrumente unter¬ lassen wir, da sie ja doch, ohne vorher kaum benutzt zu sein, in den Tiefen des Meeres gegenüber der Liverpoolküste von Ostgrönland, auf fast 71° nördlicher Breite ruhen, und kaum einmal um die Sommersonnenwende einer rothen Qualle oder einem in stiller Zurückgezogenheit laichenden Kabljau zum Wochenbett dienen mögen. Die Mannschaft der Hansa bestand durchweg aus jungen, kräftigen, erfahrenen Leuten. Der Kapitän Hegemann war 33 Jahre alt, geboren zu Hooksiel, wohnhaft in Oldenburg. Sein in Stahlstich ungetheiltes Portrait zeigt ein freies kräftiges Seemannsgesicht mit ernsten Augen, hoher Stirn und reichem Vollbart. Er war erst 1868 aus der Beringstraße zurückgekehrt, die er sechs Jahre lang als Steuermann und später als Kapitän des Schiffes Julian befahren hatte. Als erster Officier war ihm beigegeben Richard Hildebrandt aus Magdeburg, 26 Jahre alt, der bereits die erste deutsche Nordpolexpe¬ dition 1868 unter Kapitän Koldewey mitgemacht hatte; als zweiter Officier Wilhelm Bade, in demselben Alter, aus Rostock. Der Zimmermann Wil¬ helm Bowe war 46 Jahre alt, geboren zu Groteliste, wohnhaft in Grohn. Der Koch, ein Musterbild von Pflichttreue, Humor und culinarischer Erfin¬ dungskraft gegenüber den unbekannten Reizen arktischer Jagdbeute war 25 Jahr alt, aus Jourse in Holland. Von den sechs Vollmatrosen, die im Alter von 26—39 Jahren standen, hatten zwei gleichfalls bereits die Nord¬ polfahrt des Jahres 1868 mitgemacht, alle schon Fahrten nach Amerika, Ost- oder Westindien unternommen. Als Leichtmatrose diente der 19jährige Konrad Gierke aus Stettin. Der Arzt des Schiffs war Dr. mea. Buchholz, 32 Jahre alt, aus Greifswald, wo er Privatdocent gewesen; er hatte als Assistenzarzt eines preußischen Feldlazarett) den bömischen Krieg mitgemacht. Ihm oblag auf dieser Expedition, außer der ärztlichen Behandlung seiner Genossen die zoologische, ethnologische und anthropologische Beobachtung und Ausbeute. Als Vertreter der Geologie hatte sich endlich, auf Empfehlung des Professor Hochstetter in Wien, dessen 30jähriger Assistent Dr. Gust. Laube, Privatdocent an der Universität und Politechn. Schule in Wien der Expe¬ dition angeschlossen. Kehren wir nach dieser Vorstellung unsrer Helden und ihrer Ausstattung zu ihrer Fahrt zurück. Bis zur Insel Jan Mayen, welche am 9. Juli verlassen wurde, hielten die Schwesterschiffe fast ununterbrochen beisammen aus. Von da an hatten die kühnen Seefahrer neun Tage lang im Nebel auf das Eis an der Ost-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/460>, abgerufen am 24.08.2024.