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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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lich mit sprühendem Witz oder edlem Pathos die niedere Position der Gegner zu
beleuchten. Und gleichzeitig gestattet ihm sein idealerer und darum objectiverer
Standpunkt, aus der vollen Rüstung die starke bewehrte Hand dem,Gegner
zum Frieden zu bieten, ihn zu gemeinsamem Wirken zu des Vaterlandes Wohl
aufzufordern. Viele seiner Reden haben in dieser Weise den harten Mißklang
schroffer Wortkämpfe mit einem harmonischen Accord geschlossen. Niemals
hat er mit unedeln Waffen seine Gegner bekämpft. Den besten Beweis für
das weise Maß seiner Beredsamkeit bei aller Schärfe der Satire und der
Dialektik, die ihm zu Gebote steht, bietet wohl die Thatsache, daß niemals
noch ihm ein Ordnungsruf zu Theil geworden, ein einziges Mal nur einer
seiner Ausdrücke für nicht parlamentarisch erklärt worden ist. Es war dieß
im constituirenden Reichstag, als er Herrn Bebel für einen Politiker der
Bierbank erklärte. Seit dieser Zeit hat er wie kaum ein Anderer den Ton
kühler unfassbarer Verachtung sich angeeignet, der allein gegen diese vater¬
landslose Richtung des deutschen Socialismus geziemt.

Die größten Triumphe seiner Beredsamkeit hat Laster aber gefeiert, wenn
er aus besonders wichtigem Anlaß eine vorbereitete vollendete Rede hielt, so
z. B. gegen die Todesstrafe im März 1870, so wieder jetzt am 7. Februar
gegen das Gründerwesen. Diese Reden zeigen den ganzen Adel des Mannes,
seinen höchsten sittlichen Ernst und seine höchste Begabung besser als lange
Abhandlungen über ihn. Sie entstammen aus jener freien selbstlosen Nob¬
lesse seines Arbeitens und Schaffens, die er dem Schreiber dieser Zeilen an
der Schwelle seiner einfachen Wohnung in die schlichten Worten ausdrückte:
Hier ist mein Tempel. Wenn ich über diese Schwelle in die Räume meiner
stillen Arbeit trete, so lasse ich alle Sorgen und alle Mißklänge des Lebens
draußen.

In seiner Arbeit für die Pflichten seiner öffentlichen Stellung besitzt
Laster eine Unermüdlichkeit die nicht selten auch seiner kräftigen Natur zu
viel wird. Es passirt ihm nicht selten, daß er zu essen vergißt, wenn die
Parlamentarischen Pflichten besonders drängen. Sehr häufig muß die Be¬
legung im Freien geopfert werden. Dann treten die Väter der Partei mit
ihrer patriarchalischen Einsprache dazwischen und gebieten ihm mit der Un¬
fehlbarkeit des Leibarztes größere Fürsorge für seines Leibes Wohlfahrt.
"Hat Laster seinen Spaziergang schon gehabt?" Oder "Laster muß im
Juni ins Gebirge" haben wir selbst schon aus Forckenbeck's Munde gehört.
Sind wir recht unterrichtet, so ist in diesem ehrwürdigen Consortium auch
öfters an die Gründung einer Ehe Laster's gedacht worden. Verheirathen
will sich aber Laster nicht lassen. Das Haus Deutschlands hat ihm das
eigene Haus ersetzt. Oftmals erwacht Laster in tiefer Nacht und eine Art
Magenkrampf belehrt ihn, daß er vergessen hat, zu Abend zu speisen. Dann


lich mit sprühendem Witz oder edlem Pathos die niedere Position der Gegner zu
beleuchten. Und gleichzeitig gestattet ihm sein idealerer und darum objectiverer
Standpunkt, aus der vollen Rüstung die starke bewehrte Hand dem,Gegner
zum Frieden zu bieten, ihn zu gemeinsamem Wirken zu des Vaterlandes Wohl
aufzufordern. Viele seiner Reden haben in dieser Weise den harten Mißklang
schroffer Wortkämpfe mit einem harmonischen Accord geschlossen. Niemals
hat er mit unedeln Waffen seine Gegner bekämpft. Den besten Beweis für
das weise Maß seiner Beredsamkeit bei aller Schärfe der Satire und der
Dialektik, die ihm zu Gebote steht, bietet wohl die Thatsache, daß niemals
noch ihm ein Ordnungsruf zu Theil geworden, ein einziges Mal nur einer
seiner Ausdrücke für nicht parlamentarisch erklärt worden ist. Es war dieß
im constituirenden Reichstag, als er Herrn Bebel für einen Politiker der
Bierbank erklärte. Seit dieser Zeit hat er wie kaum ein Anderer den Ton
kühler unfassbarer Verachtung sich angeeignet, der allein gegen diese vater¬
landslose Richtung des deutschen Socialismus geziemt.

Die größten Triumphe seiner Beredsamkeit hat Laster aber gefeiert, wenn
er aus besonders wichtigem Anlaß eine vorbereitete vollendete Rede hielt, so
z. B. gegen die Todesstrafe im März 1870, so wieder jetzt am 7. Februar
gegen das Gründerwesen. Diese Reden zeigen den ganzen Adel des Mannes,
seinen höchsten sittlichen Ernst und seine höchste Begabung besser als lange
Abhandlungen über ihn. Sie entstammen aus jener freien selbstlosen Nob¬
lesse seines Arbeitens und Schaffens, die er dem Schreiber dieser Zeilen an
der Schwelle seiner einfachen Wohnung in die schlichten Worten ausdrückte:
Hier ist mein Tempel. Wenn ich über diese Schwelle in die Räume meiner
stillen Arbeit trete, so lasse ich alle Sorgen und alle Mißklänge des Lebens
draußen.

In seiner Arbeit für die Pflichten seiner öffentlichen Stellung besitzt
Laster eine Unermüdlichkeit die nicht selten auch seiner kräftigen Natur zu
viel wird. Es passirt ihm nicht selten, daß er zu essen vergißt, wenn die
Parlamentarischen Pflichten besonders drängen. Sehr häufig muß die Be¬
legung im Freien geopfert werden. Dann treten die Väter der Partei mit
ihrer patriarchalischen Einsprache dazwischen und gebieten ihm mit der Un¬
fehlbarkeit des Leibarztes größere Fürsorge für seines Leibes Wohlfahrt.
»Hat Laster seinen Spaziergang schon gehabt?" Oder „Laster muß im
Juni ins Gebirge" haben wir selbst schon aus Forckenbeck's Munde gehört.
Sind wir recht unterrichtet, so ist in diesem ehrwürdigen Consortium auch
öfters an die Gründung einer Ehe Laster's gedacht worden. Verheirathen
will sich aber Laster nicht lassen. Das Haus Deutschlands hat ihm das
eigene Haus ersetzt. Oftmals erwacht Laster in tiefer Nacht und eine Art
Magenkrampf belehrt ihn, daß er vergessen hat, zu Abend zu speisen. Dann


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/455>, abgerufen am 24.08.2024.