Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

selten ein Mensch schöner vom Schicksal bedacht war und noch seltner der
empfangenen Gaben sich würdiger bewährt hat.

Wer Lasters parlamentarische Thätigkeit nur von draußen kennt, dem
wollen wir nicht verübeln, wenn er sich dem Urtheil anschloß, das bis vor
etwa sechs Wochen der "gebildete" Zeitungsleser -- der nationalliberale keines¬
wegs ausgenommen -- als die schwererrungene Weisheit jahrelanger Parla-
mentslectüre über den beweglichen Redner fällte: "Laster spricht zu viel."
Eben dahin gravitirten die Characterstudien des eifrigen aber abwechslungs¬
bedürftigen Besuchers der Parlamentstribünen. Heute, wo Laster in Mode
ist, würden die Billets zum Abgeordnetenhaus und Reichstag auch dann noch
reißenden Abgang finden, wenn er sich anheischig machen wollte, einen ganzen
Tag lang zu sprechen. Aber das sind Urtheile von draußen; Tadel und
Bewunderung gleich oberflächlich. Wer Lakers parlamentarisches Wirken näher
kennt, weiß, daß seine bedeutsamste Thätigkeit sich nicht in der öffentlichen
Sitzung entfaltet, so hohe Ehren auch er hier geerntet hat. Laster ist viel¬
mehr der unentbehrlichste Borarbeiter oder Kritiker aller Gesetzentwürfe und
Anträge, mögen sie nun vom Regierungstisch oder aus eigener Initiative des
Hauses oder von einzelnen Parteien oder Personen eingebracht werden. Er
besitzt das größte legislatorische Redaetionstalent des Parlaments. Auch sind
seinem eigenen Haupte wichtige Gesetzentwürfe entsprungen, wie z. B. das soge¬
nannte Nothgewerbegesetz. Zu einer Zeit, wo die meisten Abgeordneten,
wenn sie fleißig sind, eben erst einen Gesetzentwurf in seinen Bestimmungen
und Motiven durchgelesen haben, tritt Laster bereits in seiner Fraction
auf mit den eingehendsten Vorschlägen zu dessen Amendirung, Erwei-
weiterung oder Beschränkung, und begründet diese Vorschläge mit der denk¬
bar größten Sachkenntniß und Stoffbeherrschung. Seine unermüdliche Ar¬
beitskraft, seine Belesenheit und Kenntnißfülle, seine lange parlamentarische
Erfahrung machen ihn in seiner Partei zu dem ständigen Referenten über
alle neuen legislativen und politischen Gedanken und Entwürfe. Wo große
systematische Verbesserungen von Gesetzentwürfen in Preußen wie im Nord¬
deutschen Bunde und im Reiche von der nationalen Partei oder den- vereinig¬
ten liberalen Parteien ausgegangen sind, hat jedesmal Laster den hervor¬
ragendsten Antheil daran gehabt. Ihm verdankt das Genossenschaftsgesetz, das
Gesetz über die Schuldhaft, die deutsche Gewerbeordnung, das deutsche Civil- und
Militärstrafgesetzbuch u. s. w. in sehr wesentlichen Bestandtheilen den heutigen
Gehalt. Seiner nimmermüden Energie und seiner idealen Unbeugsamkeit wird
dereinst die deutsche Rechtseinheit ihre Verwirklichung vornehmlich verdanken.
Nur in rein finanziellen, rein militärischen und rein handelspolitischen Fra¬
gen überläßt er die Arbeit in der Fraction, in den Commissionen und im
Hause den xar excellence sachverständigen Freunden.


selten ein Mensch schöner vom Schicksal bedacht war und noch seltner der
empfangenen Gaben sich würdiger bewährt hat.

Wer Lasters parlamentarische Thätigkeit nur von draußen kennt, dem
wollen wir nicht verübeln, wenn er sich dem Urtheil anschloß, das bis vor
etwa sechs Wochen der „gebildete" Zeitungsleser — der nationalliberale keines¬
wegs ausgenommen — als die schwererrungene Weisheit jahrelanger Parla-
mentslectüre über den beweglichen Redner fällte: „Laster spricht zu viel."
Eben dahin gravitirten die Characterstudien des eifrigen aber abwechslungs¬
bedürftigen Besuchers der Parlamentstribünen. Heute, wo Laster in Mode
ist, würden die Billets zum Abgeordnetenhaus und Reichstag auch dann noch
reißenden Abgang finden, wenn er sich anheischig machen wollte, einen ganzen
Tag lang zu sprechen. Aber das sind Urtheile von draußen; Tadel und
Bewunderung gleich oberflächlich. Wer Lakers parlamentarisches Wirken näher
kennt, weiß, daß seine bedeutsamste Thätigkeit sich nicht in der öffentlichen
Sitzung entfaltet, so hohe Ehren auch er hier geerntet hat. Laster ist viel¬
mehr der unentbehrlichste Borarbeiter oder Kritiker aller Gesetzentwürfe und
Anträge, mögen sie nun vom Regierungstisch oder aus eigener Initiative des
Hauses oder von einzelnen Parteien oder Personen eingebracht werden. Er
besitzt das größte legislatorische Redaetionstalent des Parlaments. Auch sind
seinem eigenen Haupte wichtige Gesetzentwürfe entsprungen, wie z. B. das soge¬
nannte Nothgewerbegesetz. Zu einer Zeit, wo die meisten Abgeordneten,
wenn sie fleißig sind, eben erst einen Gesetzentwurf in seinen Bestimmungen
und Motiven durchgelesen haben, tritt Laster bereits in seiner Fraction
auf mit den eingehendsten Vorschlägen zu dessen Amendirung, Erwei-
weiterung oder Beschränkung, und begründet diese Vorschläge mit der denk¬
bar größten Sachkenntniß und Stoffbeherrschung. Seine unermüdliche Ar¬
beitskraft, seine Belesenheit und Kenntnißfülle, seine lange parlamentarische
Erfahrung machen ihn in seiner Partei zu dem ständigen Referenten über
alle neuen legislativen und politischen Gedanken und Entwürfe. Wo große
systematische Verbesserungen von Gesetzentwürfen in Preußen wie im Nord¬
deutschen Bunde und im Reiche von der nationalen Partei oder den- vereinig¬
ten liberalen Parteien ausgegangen sind, hat jedesmal Laster den hervor¬
ragendsten Antheil daran gehabt. Ihm verdankt das Genossenschaftsgesetz, das
Gesetz über die Schuldhaft, die deutsche Gewerbeordnung, das deutsche Civil- und
Militärstrafgesetzbuch u. s. w. in sehr wesentlichen Bestandtheilen den heutigen
Gehalt. Seiner nimmermüden Energie und seiner idealen Unbeugsamkeit wird
dereinst die deutsche Rechtseinheit ihre Verwirklichung vornehmlich verdanken.
Nur in rein finanziellen, rein militärischen und rein handelspolitischen Fra¬
gen überläßt er die Arbeit in der Fraction, in den Commissionen und im
Hause den xar excellence sachverständigen Freunden.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0453" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/129445"/>
            <p xml:id="ID_1443" prev="#ID_1442"> selten ein Mensch schöner vom Schicksal bedacht war und noch seltner der<lb/>
empfangenen Gaben sich würdiger bewährt hat.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1444"> Wer Lasters parlamentarische Thätigkeit nur von draußen kennt, dem<lb/>
wollen wir nicht verübeln, wenn er sich dem Urtheil anschloß, das bis vor<lb/>
etwa sechs Wochen der &#x201E;gebildete" Zeitungsleser &#x2014; der nationalliberale keines¬<lb/>
wegs ausgenommen &#x2014; als die schwererrungene Weisheit jahrelanger Parla-<lb/>
mentslectüre über den beweglichen Redner fällte: &#x201E;Laster spricht zu viel."<lb/>
Eben dahin gravitirten die Characterstudien des eifrigen aber abwechslungs¬<lb/>
bedürftigen Besuchers der Parlamentstribünen. Heute, wo Laster in Mode<lb/>
ist, würden die Billets zum Abgeordnetenhaus und Reichstag auch dann noch<lb/>
reißenden Abgang finden, wenn er sich anheischig machen wollte, einen ganzen<lb/>
Tag lang zu sprechen. Aber das sind Urtheile von draußen; Tadel und<lb/>
Bewunderung gleich oberflächlich. Wer Lakers parlamentarisches Wirken näher<lb/>
kennt, weiß, daß seine bedeutsamste Thätigkeit sich nicht in der öffentlichen<lb/>
Sitzung entfaltet, so hohe Ehren auch er hier geerntet hat. Laster ist viel¬<lb/>
mehr der unentbehrlichste Borarbeiter oder Kritiker aller Gesetzentwürfe und<lb/>
Anträge, mögen sie nun vom Regierungstisch oder aus eigener Initiative des<lb/>
Hauses oder von einzelnen Parteien oder Personen eingebracht werden. Er<lb/>
besitzt das größte legislatorische Redaetionstalent des Parlaments. Auch sind<lb/>
seinem eigenen Haupte wichtige Gesetzentwürfe entsprungen, wie z. B. das soge¬<lb/>
nannte Nothgewerbegesetz. Zu einer Zeit, wo die meisten Abgeordneten,<lb/>
wenn sie fleißig sind, eben erst einen Gesetzentwurf in seinen Bestimmungen<lb/>
und Motiven durchgelesen haben, tritt Laster bereits in seiner Fraction<lb/>
auf mit den eingehendsten Vorschlägen zu dessen Amendirung, Erwei-<lb/>
weiterung oder Beschränkung, und begründet diese Vorschläge mit der denk¬<lb/>
bar größten Sachkenntniß und Stoffbeherrschung. Seine unermüdliche Ar¬<lb/>
beitskraft, seine Belesenheit und Kenntnißfülle, seine lange parlamentarische<lb/>
Erfahrung machen ihn in seiner Partei zu dem ständigen Referenten über<lb/>
alle neuen legislativen und politischen Gedanken und Entwürfe. Wo große<lb/>
systematische Verbesserungen von Gesetzentwürfen in Preußen wie im Nord¬<lb/>
deutschen Bunde und im Reiche von der nationalen Partei oder den- vereinig¬<lb/>
ten liberalen Parteien ausgegangen sind, hat jedesmal Laster den hervor¬<lb/>
ragendsten Antheil daran gehabt. Ihm verdankt das Genossenschaftsgesetz, das<lb/>
Gesetz über die Schuldhaft, die deutsche Gewerbeordnung, das deutsche Civil- und<lb/>
Militärstrafgesetzbuch u. s. w. in sehr wesentlichen Bestandtheilen den heutigen<lb/>
Gehalt. Seiner nimmermüden Energie und seiner idealen Unbeugsamkeit wird<lb/>
dereinst die deutsche Rechtseinheit ihre Verwirklichung vornehmlich verdanken.<lb/>
Nur in rein finanziellen, rein militärischen und rein handelspolitischen Fra¬<lb/>
gen überläßt er die Arbeit in der Fraction, in den Commissionen und im<lb/>
Hause den xar excellence sachverständigen Freunden.</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0453] selten ein Mensch schöner vom Schicksal bedacht war und noch seltner der empfangenen Gaben sich würdiger bewährt hat. Wer Lasters parlamentarische Thätigkeit nur von draußen kennt, dem wollen wir nicht verübeln, wenn er sich dem Urtheil anschloß, das bis vor etwa sechs Wochen der „gebildete" Zeitungsleser — der nationalliberale keines¬ wegs ausgenommen — als die schwererrungene Weisheit jahrelanger Parla- mentslectüre über den beweglichen Redner fällte: „Laster spricht zu viel." Eben dahin gravitirten die Characterstudien des eifrigen aber abwechslungs¬ bedürftigen Besuchers der Parlamentstribünen. Heute, wo Laster in Mode ist, würden die Billets zum Abgeordnetenhaus und Reichstag auch dann noch reißenden Abgang finden, wenn er sich anheischig machen wollte, einen ganzen Tag lang zu sprechen. Aber das sind Urtheile von draußen; Tadel und Bewunderung gleich oberflächlich. Wer Lakers parlamentarisches Wirken näher kennt, weiß, daß seine bedeutsamste Thätigkeit sich nicht in der öffentlichen Sitzung entfaltet, so hohe Ehren auch er hier geerntet hat. Laster ist viel¬ mehr der unentbehrlichste Borarbeiter oder Kritiker aller Gesetzentwürfe und Anträge, mögen sie nun vom Regierungstisch oder aus eigener Initiative des Hauses oder von einzelnen Parteien oder Personen eingebracht werden. Er besitzt das größte legislatorische Redaetionstalent des Parlaments. Auch sind seinem eigenen Haupte wichtige Gesetzentwürfe entsprungen, wie z. B. das soge¬ nannte Nothgewerbegesetz. Zu einer Zeit, wo die meisten Abgeordneten, wenn sie fleißig sind, eben erst einen Gesetzentwurf in seinen Bestimmungen und Motiven durchgelesen haben, tritt Laster bereits in seiner Fraction auf mit den eingehendsten Vorschlägen zu dessen Amendirung, Erwei- weiterung oder Beschränkung, und begründet diese Vorschläge mit der denk¬ bar größten Sachkenntniß und Stoffbeherrschung. Seine unermüdliche Ar¬ beitskraft, seine Belesenheit und Kenntnißfülle, seine lange parlamentarische Erfahrung machen ihn in seiner Partei zu dem ständigen Referenten über alle neuen legislativen und politischen Gedanken und Entwürfe. Wo große systematische Verbesserungen von Gesetzentwürfen in Preußen wie im Nord¬ deutschen Bunde und im Reiche von der nationalen Partei oder den- vereinig¬ ten liberalen Parteien ausgegangen sind, hat jedesmal Laster den hervor¬ ragendsten Antheil daran gehabt. Ihm verdankt das Genossenschaftsgesetz, das Gesetz über die Schuldhaft, die deutsche Gewerbeordnung, das deutsche Civil- und Militärstrafgesetzbuch u. s. w. in sehr wesentlichen Bestandtheilen den heutigen Gehalt. Seiner nimmermüden Energie und seiner idealen Unbeugsamkeit wird dereinst die deutsche Rechtseinheit ihre Verwirklichung vornehmlich verdanken. Nur in rein finanziellen, rein militärischen und rein handelspolitischen Fra¬ gen überläßt er die Arbeit in der Fraction, in den Commissionen und im Hause den xar excellence sachverständigen Freunden.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/453
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/453>, abgerufen am 24.08.2024.