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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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liehen Geschäfte, als eine in Humanität und Frömmigkeit verklärte Pa¬
triarchengestalt von denen geschildert wird, die ihn gekannt haben. Weder
Vater noch Mutter haben das hohe Glück genossen, die Erfüllung der großen
Bestimmung ihres Sohnes zu erleben. Die Mutter starb ihm, als er 10
Jahre alt war, der Vater bald nach vollendeten Studienjahren. Es leben
ihm noch fünf Geschwister, drei ältere und zwei jüngere. Sein Naturell ist
eine Mischung von Vater und Mutter sagt man. "Des Lebens ernste Füh¬
rung" hat er vom Vater; das lebhafte Temperament, den raschen Verstand
von der Mutter, die in der Gemeinde unter dem Namen der "klugen Rebekka"
bekannt war. Den Vater kennzeichnete ein Realismus der Pflichttreue und
Sittenstrenge, die uns den Sohn erklären. Er schwor niemals einen Eid
in Prozessen, er gab nach biblischer Vorschrift den Zehnten seines Einkom¬
mens an die Armen.

Zu drei Jahren war der kleine Eduard bereits ein unterrichtetes Kind.
Zu sieben Jahren erregte er das Staunen Aller, die ihm nahe waren. Als
er zehn Jahre alt war, erklärte der Hauslehrer, es hieße den Vater bestehlen,
wolle er noch weiter einem Jungen Lektionen geben, der bereits mehr wisse
als er. Im zwölften Jahr kam der Junge mit seinem älteren Bruder aufs
Gymnasium nach Breslau. Die beiden Knaben führten ein asketisches Ar¬
beitsleben, der jüngere schon damals den älteren dominirend. In wenigen
Jahren wurden die Klassen übersprungen, die zwischen Quarta und Prima
lagen. Die Neigung der Gymnasiasten ging zunächst auf die Medizin. Aber
der Bater war dem Wissenszweige abhold und legte Protest ein. Nun ward
die Mathematik und Astronomie ergriffen und zwei Jahre angestrengt be¬
trieben. Es ist heute schwer zu sagen, ob man diesem Geiste mehr anmerkt,
daß er mathematisch geschult ist, oder daß er auf Mathematik angelegt war.
Dann kam das Jahr 1848, Laster war damals 18 Jahre alt, die richtige
Lebensepoche, um von solcher Zeit ergriffen zu werden. Auch packte es
ihn, doch nicht mit Sturmesgewalt. Er war damals wie heute, innig bei
der Sache, aber gemäßigt in der Anschauung. Er gehörte verschiedenen poli¬
tischen Verbindungen an, die nicht auf dem linken Flügel standen. Doch,
als die Octoberkrise über die Stadt Wien hereinbrach, zog es ihn dahin. Um
sich den politischen Drang nicht ganz einzugestehen, flocht er in die Motive
dieser Wanderung den Wunsch ein, bei dem Botaniker Endlicher Colleg zu
hören. Doch von Colleg war nicht die Rede, als er in der österreichischen
Hauptstadt eintraf. Tags vorher hatte ein Volkshaufe den General Latour
vor der Burg aufgehängt. Die Wogen der Revolution hatten ihren höchsten
Stand erreicht. Sind wir recht unterrichtet, so entschloß sich der Ankömm¬
ling (gewiß nach sorgfältiger Prüfung aus wohldurchdachten Pflichtgefühl)
in die Legion der Wiener Studenten einzutreten und empfing in einem der


liehen Geschäfte, als eine in Humanität und Frömmigkeit verklärte Pa¬
triarchengestalt von denen geschildert wird, die ihn gekannt haben. Weder
Vater noch Mutter haben das hohe Glück genossen, die Erfüllung der großen
Bestimmung ihres Sohnes zu erleben. Die Mutter starb ihm, als er 10
Jahre alt war, der Vater bald nach vollendeten Studienjahren. Es leben
ihm noch fünf Geschwister, drei ältere und zwei jüngere. Sein Naturell ist
eine Mischung von Vater und Mutter sagt man. „Des Lebens ernste Füh¬
rung" hat er vom Vater; das lebhafte Temperament, den raschen Verstand
von der Mutter, die in der Gemeinde unter dem Namen der „klugen Rebekka"
bekannt war. Den Vater kennzeichnete ein Realismus der Pflichttreue und
Sittenstrenge, die uns den Sohn erklären. Er schwor niemals einen Eid
in Prozessen, er gab nach biblischer Vorschrift den Zehnten seines Einkom¬
mens an die Armen.

Zu drei Jahren war der kleine Eduard bereits ein unterrichtetes Kind.
Zu sieben Jahren erregte er das Staunen Aller, die ihm nahe waren. Als
er zehn Jahre alt war, erklärte der Hauslehrer, es hieße den Vater bestehlen,
wolle er noch weiter einem Jungen Lektionen geben, der bereits mehr wisse
als er. Im zwölften Jahr kam der Junge mit seinem älteren Bruder aufs
Gymnasium nach Breslau. Die beiden Knaben führten ein asketisches Ar¬
beitsleben, der jüngere schon damals den älteren dominirend. In wenigen
Jahren wurden die Klassen übersprungen, die zwischen Quarta und Prima
lagen. Die Neigung der Gymnasiasten ging zunächst auf die Medizin. Aber
der Bater war dem Wissenszweige abhold und legte Protest ein. Nun ward
die Mathematik und Astronomie ergriffen und zwei Jahre angestrengt be¬
trieben. Es ist heute schwer zu sagen, ob man diesem Geiste mehr anmerkt,
daß er mathematisch geschult ist, oder daß er auf Mathematik angelegt war.
Dann kam das Jahr 1848, Laster war damals 18 Jahre alt, die richtige
Lebensepoche, um von solcher Zeit ergriffen zu werden. Auch packte es
ihn, doch nicht mit Sturmesgewalt. Er war damals wie heute, innig bei
der Sache, aber gemäßigt in der Anschauung. Er gehörte verschiedenen poli¬
tischen Verbindungen an, die nicht auf dem linken Flügel standen. Doch,
als die Octoberkrise über die Stadt Wien hereinbrach, zog es ihn dahin. Um
sich den politischen Drang nicht ganz einzugestehen, flocht er in die Motive
dieser Wanderung den Wunsch ein, bei dem Botaniker Endlicher Colleg zu
hören. Doch von Colleg war nicht die Rede, als er in der österreichischen
Hauptstadt eintraf. Tags vorher hatte ein Volkshaufe den General Latour
vor der Burg aufgehängt. Die Wogen der Revolution hatten ihren höchsten
Stand erreicht. Sind wir recht unterrichtet, so entschloß sich der Ankömm¬
ling (gewiß nach sorgfältiger Prüfung aus wohldurchdachten Pflichtgefühl)
in die Legion der Wiener Studenten einzutreten und empfing in einem der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/450>, abgerufen am 22.07.2024.