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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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hervorragendes Interesse. Wir suchten in der "Societät" an der Place
Meir zunächst unsere Visitenkarten abzugeben und fanden uns angenehm be¬
rührt von der herzlichen Aufnahme sowohl, wie von der Eleganz dieses Ge¬
sellschaftslokals der Antwerpener Al xrimo eartello Da gab es Conversa-
tionsräume, Dining Rooms, Billardsäle, Schachspielzimmer und saUes In,t<5rail-<zö,
mit einem gediegenen Luxus und gewählten Geschmack ausgestattet, welcher
der "Societät" alle Ehre macht; wir kennen in Berlin kein Clublokal, das
diesem an die Seite zu stellen wäre. Doch die Schaulust trieb aus diesen
gastlichen Stätten hinaus, auf die Place Berte, den alten Friedhof der
Kathedrale, wo Wilhelm Geef's "Rubens Standbild", in Erzguß ausgeführt,
auf die hohen Genüsse von Rubens Meisterwerken vorbereitete, und nach
der Notre Dame, die seine unsterblichen Kreuzigungsbilder, die "Kreuzauf-
richtung" und die "Kreuzaufnahme", letztere das bedeutendere, aufbewahrt.
Das Standbild Geef's stellt Rubens den gefeierten Maler, Diplomaten und
Staatsmann in freier natürlicher Haltung dar, wie er, den Mantel über die
linke Schulter geworfen, den Kopf sinnig erhoben und die rechte Hand aus¬
gestreckt, den Mitbürgern die Gaben seines Genius darzubringen scheint. Den
Hintergrund des Platzes begrenzt die gewaltige Pyramide des Thurms
der Kathedrale, dessen gefrorne Musik Karl V. mit der Filigranarbeit
eines Schmuckkästchens, Napoleon I. mit Mechelner Spitzen verglich. Wozu
nützt der müssige Streit über dieHeimath derGothik, die jedenfalls nicht
Frankreich allein zur Geburtsstätte hat; sie entlehnt ja manche Motive sogar
der maurischen Architectur; sie ist, obwohl auf romanischen Grundlagen und
aus der Basilica entstanden, in ihrem himmelanstrebenden Zuge, in der
Freiheit und Leichtigkeit, mit der ihre Formen aufsteigen und sich in
immer kühnerem Spitzbogen-Gebilden verjüngen, eine Verkörperung des
idealen Strebens, mit dem der menschliche Geist zu immer höhern
Gedanken aufsteigt. Insofern hat keine Nation das Recht, die Gothik
als den ihr specifisch eigenthümlichen Baustyl zu reclamiren; als Zeug¬
niß eines idealen Kunststrebens ist sie Eigenthum der Menschheit überhaupt.
Diese Strebepfeiler, diese vielfach gegliederten Facaden, die Portale mit ihrer
ornamentalen Plastik, die weiten hohen Fenster, die durchbrochenen
Wandflächen der Thürme entsprechen der Signatur der Zeit, die sie schuf;
sie verkörpern den idealen Zug zur Befreiung und Loslösung von den Fesseln
der Barbarei, ein Streben, das heute wie damals die Welt erfüllt. Die Ver¬
herrlichung der Religion bot früher allein den erwünschten Anlaß, diese ide¬
alen Bestrebungen in die Wirklichkeit zu übertragen; sie war die Form für
das, was die besten Geister damals belebte; und der Reichthum der Kirche bot
großmüthig die Mittel dazu, im Gewände der Religion zugleich alles Hohe,
Edle, was die Welt besaß, künstlerisch zu weihen, zu schmücken. -- Die Py-


hervorragendes Interesse. Wir suchten in der „Societät" an der Place
Meir zunächst unsere Visitenkarten abzugeben und fanden uns angenehm be¬
rührt von der herzlichen Aufnahme sowohl, wie von der Eleganz dieses Ge¬
sellschaftslokals der Antwerpener Al xrimo eartello Da gab es Conversa-
tionsräume, Dining Rooms, Billardsäle, Schachspielzimmer und saUes In,t<5rail-<zö,
mit einem gediegenen Luxus und gewählten Geschmack ausgestattet, welcher
der „Societät" alle Ehre macht; wir kennen in Berlin kein Clublokal, das
diesem an die Seite zu stellen wäre. Doch die Schaulust trieb aus diesen
gastlichen Stätten hinaus, auf die Place Berte, den alten Friedhof der
Kathedrale, wo Wilhelm Geef's „Rubens Standbild", in Erzguß ausgeführt,
auf die hohen Genüsse von Rubens Meisterwerken vorbereitete, und nach
der Notre Dame, die seine unsterblichen Kreuzigungsbilder, die „Kreuzauf-
richtung" und die „Kreuzaufnahme", letztere das bedeutendere, aufbewahrt.
Das Standbild Geef's stellt Rubens den gefeierten Maler, Diplomaten und
Staatsmann in freier natürlicher Haltung dar, wie er, den Mantel über die
linke Schulter geworfen, den Kopf sinnig erhoben und die rechte Hand aus¬
gestreckt, den Mitbürgern die Gaben seines Genius darzubringen scheint. Den
Hintergrund des Platzes begrenzt die gewaltige Pyramide des Thurms
der Kathedrale, dessen gefrorne Musik Karl V. mit der Filigranarbeit
eines Schmuckkästchens, Napoleon I. mit Mechelner Spitzen verglich. Wozu
nützt der müssige Streit über dieHeimath derGothik, die jedenfalls nicht
Frankreich allein zur Geburtsstätte hat; sie entlehnt ja manche Motive sogar
der maurischen Architectur; sie ist, obwohl auf romanischen Grundlagen und
aus der Basilica entstanden, in ihrem himmelanstrebenden Zuge, in der
Freiheit und Leichtigkeit, mit der ihre Formen aufsteigen und sich in
immer kühnerem Spitzbogen-Gebilden verjüngen, eine Verkörperung des
idealen Strebens, mit dem der menschliche Geist zu immer höhern
Gedanken aufsteigt. Insofern hat keine Nation das Recht, die Gothik
als den ihr specifisch eigenthümlichen Baustyl zu reclamiren; als Zeug¬
niß eines idealen Kunststrebens ist sie Eigenthum der Menschheit überhaupt.
Diese Strebepfeiler, diese vielfach gegliederten Facaden, die Portale mit ihrer
ornamentalen Plastik, die weiten hohen Fenster, die durchbrochenen
Wandflächen der Thürme entsprechen der Signatur der Zeit, die sie schuf;
sie verkörpern den idealen Zug zur Befreiung und Loslösung von den Fesseln
der Barbarei, ein Streben, das heute wie damals die Welt erfüllt. Die Ver¬
herrlichung der Religion bot früher allein den erwünschten Anlaß, diese ide¬
alen Bestrebungen in die Wirklichkeit zu übertragen; sie war die Form für
das, was die besten Geister damals belebte; und der Reichthum der Kirche bot
großmüthig die Mittel dazu, im Gewände der Religion zugleich alles Hohe,
Edle, was die Welt besaß, künstlerisch zu weihen, zu schmücken. — Die Py-


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[0432] hervorragendes Interesse. Wir suchten in der „Societät" an der Place Meir zunächst unsere Visitenkarten abzugeben und fanden uns angenehm be¬ rührt von der herzlichen Aufnahme sowohl, wie von der Eleganz dieses Ge¬ sellschaftslokals der Antwerpener Al xrimo eartello Da gab es Conversa- tionsräume, Dining Rooms, Billardsäle, Schachspielzimmer und saUes In,t<5rail-<zö, mit einem gediegenen Luxus und gewählten Geschmack ausgestattet, welcher der „Societät" alle Ehre macht; wir kennen in Berlin kein Clublokal, das diesem an die Seite zu stellen wäre. Doch die Schaulust trieb aus diesen gastlichen Stätten hinaus, auf die Place Berte, den alten Friedhof der Kathedrale, wo Wilhelm Geef's „Rubens Standbild", in Erzguß ausgeführt, auf die hohen Genüsse von Rubens Meisterwerken vorbereitete, und nach der Notre Dame, die seine unsterblichen Kreuzigungsbilder, die „Kreuzauf- richtung" und die „Kreuzaufnahme", letztere das bedeutendere, aufbewahrt. Das Standbild Geef's stellt Rubens den gefeierten Maler, Diplomaten und Staatsmann in freier natürlicher Haltung dar, wie er, den Mantel über die linke Schulter geworfen, den Kopf sinnig erhoben und die rechte Hand aus¬ gestreckt, den Mitbürgern die Gaben seines Genius darzubringen scheint. Den Hintergrund des Platzes begrenzt die gewaltige Pyramide des Thurms der Kathedrale, dessen gefrorne Musik Karl V. mit der Filigranarbeit eines Schmuckkästchens, Napoleon I. mit Mechelner Spitzen verglich. Wozu nützt der müssige Streit über dieHeimath derGothik, die jedenfalls nicht Frankreich allein zur Geburtsstätte hat; sie entlehnt ja manche Motive sogar der maurischen Architectur; sie ist, obwohl auf romanischen Grundlagen und aus der Basilica entstanden, in ihrem himmelanstrebenden Zuge, in der Freiheit und Leichtigkeit, mit der ihre Formen aufsteigen und sich in immer kühnerem Spitzbogen-Gebilden verjüngen, eine Verkörperung des idealen Strebens, mit dem der menschliche Geist zu immer höhern Gedanken aufsteigt. Insofern hat keine Nation das Recht, die Gothik als den ihr specifisch eigenthümlichen Baustyl zu reclamiren; als Zeug¬ niß eines idealen Kunststrebens ist sie Eigenthum der Menschheit überhaupt. Diese Strebepfeiler, diese vielfach gegliederten Facaden, die Portale mit ihrer ornamentalen Plastik, die weiten hohen Fenster, die durchbrochenen Wandflächen der Thürme entsprechen der Signatur der Zeit, die sie schuf; sie verkörpern den idealen Zug zur Befreiung und Loslösung von den Fesseln der Barbarei, ein Streben, das heute wie damals die Welt erfüllt. Die Ver¬ herrlichung der Religion bot früher allein den erwünschten Anlaß, diese ide¬ alen Bestrebungen in die Wirklichkeit zu übertragen; sie war die Form für das, was die besten Geister damals belebte; und der Reichthum der Kirche bot großmüthig die Mittel dazu, im Gewände der Religion zugleich alles Hohe, Edle, was die Welt besaß, künstlerisch zu weihen, zu schmücken. — Die Py-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/432>, abgerufen am 25.08.2024.