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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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Hafenbau weit rühriger als Belgien. Wer die großartigen Hafenanlagen von
Rotterdam gesehen hat, die ihrer Vollendung entgegen gehen, wer den
Impuls würdigt, den die mit großem Fleiß ausgeführte Vertiefung des Fahr¬
wassers der Maas für Seeschiffe dem Großhandel Rotterdams verleiht,
das erst kürzlich wieder zwei neue überseeische Dampfschiffslinien,
eine nach Java, die andere nach Philadelphia, eröffnet hat, muß anerkennen,
daß Rotterdam Alles aufbietet, Antwerpen zu überflügeln. Ob mit Er¬
folg, wird die Zukunft lehren. Einstweilen hat Holland geringe Aussicht,
seinen Traum der Herstellung einer neuen internationalen Route;
zwischen London und Nordeuropa, über Vliessingen -- Arnheim -- Adenzaal,
welche nach Vollendung der Bahnstrecke Tilburg -- Nijmwegen -- Arnheim aller¬
dings den kürzesten Weg von London nach Berlin und Petersburg bilden
würde, erfüllt zu sehen. Im Gegentheil gewinnt Antwerpen neuerdings
einen erheblichen Vorsprung in dem Wettstreit mit Rotterdam durch eine
neue Schienenstraße nach Deutschland; der Bau der Antwerpen-Glad-
bach er Eisenbahn, die jenen Hafen Belgiens in unmittelbare Verbindung
mit dem west- und mitteldeutschen Markte, dem großen Absatzgebiete im Her¬
zen Deutschlands, setzen wird, ist nach Erzielung des Einverständnisses der
holländischen Regierung für die Durchführung der Bahn auf limburgischem
Boden, gegen eine Geldabfindung als gesichert zu betrachten und kann nicht
lange auf sich warten lassen. Alsdann wird Antwerpen wieder wie zu flan¬
drischer Zeit ein vorwiegend deutscher Hafen werden. An der Grenze
Nord-Brabants belegen und durch seine Geschichte aufs Innigste mit den Er¬
innerungen an die Zeit niederländischer Größe verbunden, hat Antwerpen die
Physiognomie und den Character der Niederlande treuer bewahrt, als andere
belgische Städte: Es sind dieselben Häuserfacaden, wie in den Niederlanden.
Manche Straßen erscheinen wie ein Stück Mittelalter, das in die moderne
Zeit seltsam hineinragt; ein Arm der Scheide umgiebt die Remparts und
füllt die Gräber der alten Festungswerke aus. Die letzteren sind in¬
zwischen niederlegt und durch detachirte Forts in der Umgebung der
Stadt ersetzt, die dadurch Raum gewonnen und seitdem sich nach Süden
weit ausgebreitet hat. Prächtige Averner und Boulevards sind im Quar¬
tier Leopold, an Stelle der alten Wälle entstanden und bilden gegen¬
wärtig die Glanzpunkte dieses fashionablen Südens. Dagegen fehlten die den
holländischen Städten eigenthümlichen Kanäle und Grachten mit ihren Baum¬
reihen, ihren zahlreichen Brücken und den pittoresken Durchblicken innerhalb der
Häusermassen. An Stelle des Kanals, der Antwerpen früher durchschnitt, ist
durch Ueberdeckung die große Straße Meir erbaut, welche gegenwärtig die
Hauptverkehrsader der Altstadt bildet, aber dem Fremden nicht sonderlich im-
Ponirt; weder die Gebäude, noch die Läden und Magazine darin verdienen


Hafenbau weit rühriger als Belgien. Wer die großartigen Hafenanlagen von
Rotterdam gesehen hat, die ihrer Vollendung entgegen gehen, wer den
Impuls würdigt, den die mit großem Fleiß ausgeführte Vertiefung des Fahr¬
wassers der Maas für Seeschiffe dem Großhandel Rotterdams verleiht,
das erst kürzlich wieder zwei neue überseeische Dampfschiffslinien,
eine nach Java, die andere nach Philadelphia, eröffnet hat, muß anerkennen,
daß Rotterdam Alles aufbietet, Antwerpen zu überflügeln. Ob mit Er¬
folg, wird die Zukunft lehren. Einstweilen hat Holland geringe Aussicht,
seinen Traum der Herstellung einer neuen internationalen Route;
zwischen London und Nordeuropa, über Vliessingen — Arnheim — Adenzaal,
welche nach Vollendung der Bahnstrecke Tilburg — Nijmwegen — Arnheim aller¬
dings den kürzesten Weg von London nach Berlin und Petersburg bilden
würde, erfüllt zu sehen. Im Gegentheil gewinnt Antwerpen neuerdings
einen erheblichen Vorsprung in dem Wettstreit mit Rotterdam durch eine
neue Schienenstraße nach Deutschland; der Bau der Antwerpen-Glad-
bach er Eisenbahn, die jenen Hafen Belgiens in unmittelbare Verbindung
mit dem west- und mitteldeutschen Markte, dem großen Absatzgebiete im Her¬
zen Deutschlands, setzen wird, ist nach Erzielung des Einverständnisses der
holländischen Regierung für die Durchführung der Bahn auf limburgischem
Boden, gegen eine Geldabfindung als gesichert zu betrachten und kann nicht
lange auf sich warten lassen. Alsdann wird Antwerpen wieder wie zu flan¬
drischer Zeit ein vorwiegend deutscher Hafen werden. An der Grenze
Nord-Brabants belegen und durch seine Geschichte aufs Innigste mit den Er¬
innerungen an die Zeit niederländischer Größe verbunden, hat Antwerpen die
Physiognomie und den Character der Niederlande treuer bewahrt, als andere
belgische Städte: Es sind dieselben Häuserfacaden, wie in den Niederlanden.
Manche Straßen erscheinen wie ein Stück Mittelalter, das in die moderne
Zeit seltsam hineinragt; ein Arm der Scheide umgiebt die Remparts und
füllt die Gräber der alten Festungswerke aus. Die letzteren sind in¬
zwischen niederlegt und durch detachirte Forts in der Umgebung der
Stadt ersetzt, die dadurch Raum gewonnen und seitdem sich nach Süden
weit ausgebreitet hat. Prächtige Averner und Boulevards sind im Quar¬
tier Leopold, an Stelle der alten Wälle entstanden und bilden gegen¬
wärtig die Glanzpunkte dieses fashionablen Südens. Dagegen fehlten die den
holländischen Städten eigenthümlichen Kanäle und Grachten mit ihren Baum¬
reihen, ihren zahlreichen Brücken und den pittoresken Durchblicken innerhalb der
Häusermassen. An Stelle des Kanals, der Antwerpen früher durchschnitt, ist
durch Ueberdeckung die große Straße Meir erbaut, welche gegenwärtig die
Hauptverkehrsader der Altstadt bildet, aber dem Fremden nicht sonderlich im-
Ponirt; weder die Gebäude, noch die Läden und Magazine darin verdienen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/431>, abgerufen am 25.08.2024.