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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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eine statistische Auskunft; doch ist anzunehmen, daß sie ziemlich in demselben
Verhältniß stattfindet, wie die der Rittergüter. Dagegen befinden sich die
Mittelgüter von mehr als 200 Morgen Größe mit Einschluß von manchen
recht umfangreichen, aber nicht kreisstandberechtigten mehr in deutschen Händen.

Die Güter der katholischen Kirche nebst einer Anzahl Klöstern gehöriger
rechnen wir zu denen von polnischem Besitz, da die katholische Pristerschaft
der Provinz eben eifrig national gesinnt ist. Davon sind auch die ziemlich
zahlreichen Geistlichen deutscher Abstammung nicht ausgenommen; denn das
ist unbestreitbar: mit dem Katholicismus, wenigstens dem ultramontanen, steht
und fällt das Polenthum, und umgekehrt mit der höhern Cultur steht und
fällt das Deutschthum dieser Grenzmark Deutschlands. Hat man Grund, für
dieses zu fürchten? Das könnte nur dann der Fall sein, wenn in dem leiden¬
schaftlichen Kampfe, der sich in der Mitte des ganzen deutschen Volks ent¬
sponnen hat, der Jesuitismus, die Finsterniß, die Geistesknechtschaft über Bildung,
Aufklärung und Geistesfreiheit den Sieg gewonnen, und daran glaubt wohl
selbst Pater Beckx nicht.


Edward Kattner.


KeisesKizzen aus Belgien.
Antwerpen. (Schluß).

In eine Hafenstadt muß der Tourist, wenn irgend möglich, von der
Seeseite her eintreten, um sogleich ein volles farbenreiches Bild ihres eigent¬
lichen Lebens zu erhalten. Das wirre Gewühl in den Bahnhofshallen, die
quetschende Enge beim Heraustreten, die Schrecken einer Droschken- oder Vi-
gilanten-Fahrt (nach dem vlamischen Ausdruck) und der schrille, aber so
sehr unnöthige Scheidegruß der Locomotiven sind schlechte Jntroductionen für
den Reisenden, der einen ihm unbekannten Boden betritt. Ganz anders eine
Dampferfahrt zum Hafen hinein! Die ungehemmte Fernsicht, der ruhigere
Wechsel der landschaftlichen Scenerie, die freie Bewegung auf Deck, endlich
Licht und Luft scheinen den Geist von den drückenden Fesseln des Alltagslebens
zu befreien. Aus dem unermeßlichen Born der mütterlichen Natur geht ein
unerklärlich kräftigender, erfrischender Hauch in die Menschenbrust über, öffnet
die Augen und macht das Herz zum Genusse bereiter und fähiger. -- Es
lagen schon die dunkleren Farbentöne des Spätherbstes auf der Landschaft,
als wir den kleinen Dampfer bestiegen, der uns vom Endpunkte der Waes-
bahn, vom vlamischen Hoofd, über den breiten Scheldestrom nach Ant¬
werpen hinüberbringen sollte; doch war gerade das gedämpfte Sonnenlicht,


eine statistische Auskunft; doch ist anzunehmen, daß sie ziemlich in demselben
Verhältniß stattfindet, wie die der Rittergüter. Dagegen befinden sich die
Mittelgüter von mehr als 200 Morgen Größe mit Einschluß von manchen
recht umfangreichen, aber nicht kreisstandberechtigten mehr in deutschen Händen.

Die Güter der katholischen Kirche nebst einer Anzahl Klöstern gehöriger
rechnen wir zu denen von polnischem Besitz, da die katholische Pristerschaft
der Provinz eben eifrig national gesinnt ist. Davon sind auch die ziemlich
zahlreichen Geistlichen deutscher Abstammung nicht ausgenommen; denn das
ist unbestreitbar: mit dem Katholicismus, wenigstens dem ultramontanen, steht
und fällt das Polenthum, und umgekehrt mit der höhern Cultur steht und
fällt das Deutschthum dieser Grenzmark Deutschlands. Hat man Grund, für
dieses zu fürchten? Das könnte nur dann der Fall sein, wenn in dem leiden¬
schaftlichen Kampfe, der sich in der Mitte des ganzen deutschen Volks ent¬
sponnen hat, der Jesuitismus, die Finsterniß, die Geistesknechtschaft über Bildung,
Aufklärung und Geistesfreiheit den Sieg gewonnen, und daran glaubt wohl
selbst Pater Beckx nicht.


Edward Kattner.


KeisesKizzen aus Belgien.
Antwerpen. (Schluß).

In eine Hafenstadt muß der Tourist, wenn irgend möglich, von der
Seeseite her eintreten, um sogleich ein volles farbenreiches Bild ihres eigent¬
lichen Lebens zu erhalten. Das wirre Gewühl in den Bahnhofshallen, die
quetschende Enge beim Heraustreten, die Schrecken einer Droschken- oder Vi-
gilanten-Fahrt (nach dem vlamischen Ausdruck) und der schrille, aber so
sehr unnöthige Scheidegruß der Locomotiven sind schlechte Jntroductionen für
den Reisenden, der einen ihm unbekannten Boden betritt. Ganz anders eine
Dampferfahrt zum Hafen hinein! Die ungehemmte Fernsicht, der ruhigere
Wechsel der landschaftlichen Scenerie, die freie Bewegung auf Deck, endlich
Licht und Luft scheinen den Geist von den drückenden Fesseln des Alltagslebens
zu befreien. Aus dem unermeßlichen Born der mütterlichen Natur geht ein
unerklärlich kräftigender, erfrischender Hauch in die Menschenbrust über, öffnet
die Augen und macht das Herz zum Genusse bereiter und fähiger. — Es
lagen schon die dunkleren Farbentöne des Spätherbstes auf der Landschaft,
als wir den kleinen Dampfer bestiegen, der uns vom Endpunkte der Waes-
bahn, vom vlamischen Hoofd, über den breiten Scheldestrom nach Ant¬
werpen hinüberbringen sollte; doch war gerade das gedämpfte Sonnenlicht,


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[0429] eine statistische Auskunft; doch ist anzunehmen, daß sie ziemlich in demselben Verhältniß stattfindet, wie die der Rittergüter. Dagegen befinden sich die Mittelgüter von mehr als 200 Morgen Größe mit Einschluß von manchen recht umfangreichen, aber nicht kreisstandberechtigten mehr in deutschen Händen. Die Güter der katholischen Kirche nebst einer Anzahl Klöstern gehöriger rechnen wir zu denen von polnischem Besitz, da die katholische Pristerschaft der Provinz eben eifrig national gesinnt ist. Davon sind auch die ziemlich zahlreichen Geistlichen deutscher Abstammung nicht ausgenommen; denn das ist unbestreitbar: mit dem Katholicismus, wenigstens dem ultramontanen, steht und fällt das Polenthum, und umgekehrt mit der höhern Cultur steht und fällt das Deutschthum dieser Grenzmark Deutschlands. Hat man Grund, für dieses zu fürchten? Das könnte nur dann der Fall sein, wenn in dem leiden¬ schaftlichen Kampfe, der sich in der Mitte des ganzen deutschen Volks ent¬ sponnen hat, der Jesuitismus, die Finsterniß, die Geistesknechtschaft über Bildung, Aufklärung und Geistesfreiheit den Sieg gewonnen, und daran glaubt wohl selbst Pater Beckx nicht. Edward Kattner. KeisesKizzen aus Belgien. Antwerpen. (Schluß). In eine Hafenstadt muß der Tourist, wenn irgend möglich, von der Seeseite her eintreten, um sogleich ein volles farbenreiches Bild ihres eigent¬ lichen Lebens zu erhalten. Das wirre Gewühl in den Bahnhofshallen, die quetschende Enge beim Heraustreten, die Schrecken einer Droschken- oder Vi- gilanten-Fahrt (nach dem vlamischen Ausdruck) und der schrille, aber so sehr unnöthige Scheidegruß der Locomotiven sind schlechte Jntroductionen für den Reisenden, der einen ihm unbekannten Boden betritt. Ganz anders eine Dampferfahrt zum Hafen hinein! Die ungehemmte Fernsicht, der ruhigere Wechsel der landschaftlichen Scenerie, die freie Bewegung auf Deck, endlich Licht und Luft scheinen den Geist von den drückenden Fesseln des Alltagslebens zu befreien. Aus dem unermeßlichen Born der mütterlichen Natur geht ein unerklärlich kräftigender, erfrischender Hauch in die Menschenbrust über, öffnet die Augen und macht das Herz zum Genusse bereiter und fähiger. — Es lagen schon die dunkleren Farbentöne des Spätherbstes auf der Landschaft, als wir den kleinen Dampfer bestiegen, der uns vom Endpunkte der Waes- bahn, vom vlamischen Hoofd, über den breiten Scheldestrom nach Ant¬ werpen hinüberbringen sollte; doch war gerade das gedämpfte Sonnenlicht,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/429>, abgerufen am 25.08.2024.