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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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Kirche, in ihren inneren Angelegenheiten allein zu bestimmen, achtete. Aber
wenn dieses Recht so sehr mißbraucht wird, wie von dem Erzbischof Ledo-
chowski, welcher sich beharrlich weigert, in einer einzigen der vielen katholischen
Kirchen Posens für die zehntausend deutschen Katholiken der Stadt deutschen
Gottesdienst halten zu lassen, so entsteht die Frage, ob es dadurch nicht ver¬
wirkt wird. Ohne Zweifel wird auch sie eine Erledigung zu Gunsten des
herrschenden Volkes im Staate finden, nachdem durch den Fürsten Bismarck
in den leitenden Ideen der preußischen Regierung eine Umkehr bewirkt worden
ist, und damit wird zugleich einer der vielen Beschwerden der Deutsch-Posener
abgeholfen werden. Mit einigen andren, besonders mit der großen, daß die
katholischen Schulen der fanatisch polnischen Geistlichkeit zur Leitung überlassen
wurden, ist das bereits geschehen. Man hat nun abzuwarten, welche Wirkung
die neuen Maßregeln haben werden.

Jedenfalls hat man auf rasche, augenfällige Erfolge nicht zu rechnen,
erst im Laufe von Jahrzehnten werden sie allmählig zu Tage treten. Die
slawische Zähigkeit in der Bewahrung der angestammten Sprache und der mit
ihr mehr oder weniger zusammenhängenden Eigenthümlichkeiten, sowie in
ihrem Widerstreben gegen den Fortschritt in der Cultur läßt sich nicht so im Hand¬
umdrehen durch einzelne Anordnungen und Gesetze überwinden. Die leitenden
Stände, der Adel und die Geistlichkeit, bilden noch immer große, mächtige
und geschlossene Körperschaften, deren Einfluß bis nahe an den preußischen
Thron hinanreicht, und das Landvolk wird bei allen Abweichungen in Einzel¬
fällen sich in langen Jahren noch nicht von der Führung beider losmachen,
es wird noch ferner die deutsche Sprache und die deutsche Gesittung als
ketzerisch mit Widerwillen betrachten und die Priester werden es in dieser Vor¬
stellung bestärken.

Um die Wirkung der neuen Politik der Negierung richtig beurtheilen zu
können, ist es durchaus erforderlich, den gegenwärtigen Zustand der Sprach-
Verhältnisse in den polnischen Bezirken durch statistische Aufnahme feststellen
zu lassen. Es ist deswegen bedauerlich, daß die letzte allgemeine Aufnahme
im Dezember 1871 sich aus sie nicht erstreckt hat. Doch wird bei der nächsten,
im Jahre 1874, welche noch keine merkliche Veränderung vorfinden wird, das
Versäumte nachgeholt werden können. Indeß muß es noch immer Interesse
erregen, dieses Verhältniß nach früheren Ausnahmen und andern späteren
Ermittelungen wenigstens annäherungsweise festzustellen. Wir unternehmen
das für die Provinz Posen, wo der Sprachkampf am heftigsten auf- und
niederwogt, während er in Westpreußen im großen und ganzen bereits für
das Deutschthum entschieden ist und in Oberschlesien auch nur ein gleiches
Ende nehmen kann. Er schleppt sich hier nur darum noch immer weiter fort,
weil weder von deutscher Seite der Angriff, noch von slawischer der Wider-


Kirche, in ihren inneren Angelegenheiten allein zu bestimmen, achtete. Aber
wenn dieses Recht so sehr mißbraucht wird, wie von dem Erzbischof Ledo-
chowski, welcher sich beharrlich weigert, in einer einzigen der vielen katholischen
Kirchen Posens für die zehntausend deutschen Katholiken der Stadt deutschen
Gottesdienst halten zu lassen, so entsteht die Frage, ob es dadurch nicht ver¬
wirkt wird. Ohne Zweifel wird auch sie eine Erledigung zu Gunsten des
herrschenden Volkes im Staate finden, nachdem durch den Fürsten Bismarck
in den leitenden Ideen der preußischen Regierung eine Umkehr bewirkt worden
ist, und damit wird zugleich einer der vielen Beschwerden der Deutsch-Posener
abgeholfen werden. Mit einigen andren, besonders mit der großen, daß die
katholischen Schulen der fanatisch polnischen Geistlichkeit zur Leitung überlassen
wurden, ist das bereits geschehen. Man hat nun abzuwarten, welche Wirkung
die neuen Maßregeln haben werden.

Jedenfalls hat man auf rasche, augenfällige Erfolge nicht zu rechnen,
erst im Laufe von Jahrzehnten werden sie allmählig zu Tage treten. Die
slawische Zähigkeit in der Bewahrung der angestammten Sprache und der mit
ihr mehr oder weniger zusammenhängenden Eigenthümlichkeiten, sowie in
ihrem Widerstreben gegen den Fortschritt in der Cultur läßt sich nicht so im Hand¬
umdrehen durch einzelne Anordnungen und Gesetze überwinden. Die leitenden
Stände, der Adel und die Geistlichkeit, bilden noch immer große, mächtige
und geschlossene Körperschaften, deren Einfluß bis nahe an den preußischen
Thron hinanreicht, und das Landvolk wird bei allen Abweichungen in Einzel¬
fällen sich in langen Jahren noch nicht von der Führung beider losmachen,
es wird noch ferner die deutsche Sprache und die deutsche Gesittung als
ketzerisch mit Widerwillen betrachten und die Priester werden es in dieser Vor¬
stellung bestärken.

Um die Wirkung der neuen Politik der Negierung richtig beurtheilen zu
können, ist es durchaus erforderlich, den gegenwärtigen Zustand der Sprach-
Verhältnisse in den polnischen Bezirken durch statistische Aufnahme feststellen
zu lassen. Es ist deswegen bedauerlich, daß die letzte allgemeine Aufnahme
im Dezember 1871 sich aus sie nicht erstreckt hat. Doch wird bei der nächsten,
im Jahre 1874, welche noch keine merkliche Veränderung vorfinden wird, das
Versäumte nachgeholt werden können. Indeß muß es noch immer Interesse
erregen, dieses Verhältniß nach früheren Ausnahmen und andern späteren
Ermittelungen wenigstens annäherungsweise festzustellen. Wir unternehmen
das für die Provinz Posen, wo der Sprachkampf am heftigsten auf- und
niederwogt, während er in Westpreußen im großen und ganzen bereits für
das Deutschthum entschieden ist und in Oberschlesien auch nur ein gleiches
Ende nehmen kann. Er schleppt sich hier nur darum noch immer weiter fort,
weil weder von deutscher Seite der Angriff, noch von slawischer der Wider-


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[0424] Kirche, in ihren inneren Angelegenheiten allein zu bestimmen, achtete. Aber wenn dieses Recht so sehr mißbraucht wird, wie von dem Erzbischof Ledo- chowski, welcher sich beharrlich weigert, in einer einzigen der vielen katholischen Kirchen Posens für die zehntausend deutschen Katholiken der Stadt deutschen Gottesdienst halten zu lassen, so entsteht die Frage, ob es dadurch nicht ver¬ wirkt wird. Ohne Zweifel wird auch sie eine Erledigung zu Gunsten des herrschenden Volkes im Staate finden, nachdem durch den Fürsten Bismarck in den leitenden Ideen der preußischen Regierung eine Umkehr bewirkt worden ist, und damit wird zugleich einer der vielen Beschwerden der Deutsch-Posener abgeholfen werden. Mit einigen andren, besonders mit der großen, daß die katholischen Schulen der fanatisch polnischen Geistlichkeit zur Leitung überlassen wurden, ist das bereits geschehen. Man hat nun abzuwarten, welche Wirkung die neuen Maßregeln haben werden. Jedenfalls hat man auf rasche, augenfällige Erfolge nicht zu rechnen, erst im Laufe von Jahrzehnten werden sie allmählig zu Tage treten. Die slawische Zähigkeit in der Bewahrung der angestammten Sprache und der mit ihr mehr oder weniger zusammenhängenden Eigenthümlichkeiten, sowie in ihrem Widerstreben gegen den Fortschritt in der Cultur läßt sich nicht so im Hand¬ umdrehen durch einzelne Anordnungen und Gesetze überwinden. Die leitenden Stände, der Adel und die Geistlichkeit, bilden noch immer große, mächtige und geschlossene Körperschaften, deren Einfluß bis nahe an den preußischen Thron hinanreicht, und das Landvolk wird bei allen Abweichungen in Einzel¬ fällen sich in langen Jahren noch nicht von der Führung beider losmachen, es wird noch ferner die deutsche Sprache und die deutsche Gesittung als ketzerisch mit Widerwillen betrachten und die Priester werden es in dieser Vor¬ stellung bestärken. Um die Wirkung der neuen Politik der Negierung richtig beurtheilen zu können, ist es durchaus erforderlich, den gegenwärtigen Zustand der Sprach- Verhältnisse in den polnischen Bezirken durch statistische Aufnahme feststellen zu lassen. Es ist deswegen bedauerlich, daß die letzte allgemeine Aufnahme im Dezember 1871 sich aus sie nicht erstreckt hat. Doch wird bei der nächsten, im Jahre 1874, welche noch keine merkliche Veränderung vorfinden wird, das Versäumte nachgeholt werden können. Indeß muß es noch immer Interesse erregen, dieses Verhältniß nach früheren Ausnahmen und andern späteren Ermittelungen wenigstens annäherungsweise festzustellen. Wir unternehmen das für die Provinz Posen, wo der Sprachkampf am heftigsten auf- und niederwogt, während er in Westpreußen im großen und ganzen bereits für das Deutschthum entschieden ist und in Oberschlesien auch nur ein gleiches Ende nehmen kann. Er schleppt sich hier nur darum noch immer weiter fort, weil weder von deutscher Seite der Angriff, noch von slawischer der Wider-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/424>, abgerufen am 25.08.2024.