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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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ßarl Hivesten als Keschichtsphilosoph.*)

Der Politiker Carl Tochter ist jedem Gebildeten wohl bekannt und Freund
und Feind haben seinen frühzeitigen Tod als ein bedeutsames Ereigniß für
die weitere Entwickelung der deutschen, specieller preußischen öffentlichen Zustände
empfunden. Aber daß dieser Mann der politischen Praxis, diese, wie es schien,
ganz der unmittelbaren Gegenständlichkeit des Handelns zugewandte Natur,
zugleich auch sich den ernstesten geschichtsphilosophischen Studien hingegeben,
und durch sie bis zu einer weitangelegten wissenschaftlichen Production geführt
worden sei -- das wird den Meisten überraschend kommen, die nur den Namen
und die Reden Tochter's und nicht den Menschen gekannt haben.

Der Herausgeber sagt mit Recht "die Größe der Anlage dieses Werks,
die Weite der Vorstudien, die Höhe des vorschwebenden Ziels, würden es bei
jedem Gelehrten von Fach zu einem Verdienst, zu einer ebenso edlen wie
vollkommenen Lebensausfüllung gemacht haben; aber eine solche Arbeit, dazu
bestimmt, die Muße eines Mannes auszufüllen, muß vollends die dankbarste
Bewunderung erregen." Denn Tochter hat schon 1866 begonnen, das Buch
niederzuschreiben, nachdem er vieljährige Studien darauf gewandt hatte.
Damals war er Assessor, kurz darauf Stadtrichter in Berlin. Bis 18S9 hat
er, wie er selbst berichtet, ausschließlich, d. h. selbstverständlich, soweit es ihm
sein sehr anstrengendes Amt erlaubte, daran gearbeitet, "fast nichts anderes
gelesen", als was in den Bereich der hier einschlagenden Materien gehörte.
Aber seit 1859 stockte die Arbeit. Man erinnert sich, daß er in diesem Jahre
mit der Epoche machenden politischen Brochüre "Woran uns gelegen," den
Schauplatz der preußischen Politik betrat, auf dem er bald als einer der ersten
unter den Führern der Fortschrittspartei die Conflietszeit mit der ganzen ge¬
sammelten Kraft seines Wesens durchkämpfte. Da blieb das Erzeugniß fried-
licher Mußestunden liegen, denn weder fanden sich für ihn solche, noch ver¬
mochte er die innere Theilnahme der Seele einer von den unmittelbaren Auf-



") Die religiösen, politischen und socialen Ideen der asiatischen Cultur¬
völker und derAegypter in ihrer historischen Entwickelung dargestellt von Carl Tochter,
herausgegeben von Prof. or. Lazarus. Berlin, F. Dümmler's Verlagsbuchhandlung 1872.
1. u. 2. Theil.
Grenzboten 1873. I. öl
ßarl Hivesten als Keschichtsphilosoph.*)

Der Politiker Carl Tochter ist jedem Gebildeten wohl bekannt und Freund
und Feind haben seinen frühzeitigen Tod als ein bedeutsames Ereigniß für
die weitere Entwickelung der deutschen, specieller preußischen öffentlichen Zustände
empfunden. Aber daß dieser Mann der politischen Praxis, diese, wie es schien,
ganz der unmittelbaren Gegenständlichkeit des Handelns zugewandte Natur,
zugleich auch sich den ernstesten geschichtsphilosophischen Studien hingegeben,
und durch sie bis zu einer weitangelegten wissenschaftlichen Production geführt
worden sei — das wird den Meisten überraschend kommen, die nur den Namen
und die Reden Tochter's und nicht den Menschen gekannt haben.

Der Herausgeber sagt mit Recht „die Größe der Anlage dieses Werks,
die Weite der Vorstudien, die Höhe des vorschwebenden Ziels, würden es bei
jedem Gelehrten von Fach zu einem Verdienst, zu einer ebenso edlen wie
vollkommenen Lebensausfüllung gemacht haben; aber eine solche Arbeit, dazu
bestimmt, die Muße eines Mannes auszufüllen, muß vollends die dankbarste
Bewunderung erregen." Denn Tochter hat schon 1866 begonnen, das Buch
niederzuschreiben, nachdem er vieljährige Studien darauf gewandt hatte.
Damals war er Assessor, kurz darauf Stadtrichter in Berlin. Bis 18S9 hat
er, wie er selbst berichtet, ausschließlich, d. h. selbstverständlich, soweit es ihm
sein sehr anstrengendes Amt erlaubte, daran gearbeitet, „fast nichts anderes
gelesen", als was in den Bereich der hier einschlagenden Materien gehörte.
Aber seit 1859 stockte die Arbeit. Man erinnert sich, daß er in diesem Jahre
mit der Epoche machenden politischen Brochüre „Woran uns gelegen," den
Schauplatz der preußischen Politik betrat, auf dem er bald als einer der ersten
unter den Führern der Fortschrittspartei die Conflietszeit mit der ganzen ge¬
sammelten Kraft seines Wesens durchkämpfte. Da blieb das Erzeugniß fried-
licher Mußestunden liegen, denn weder fanden sich für ihn solche, noch ver¬
mochte er die innere Theilnahme der Seele einer von den unmittelbaren Auf-



") Die religiösen, politischen und socialen Ideen der asiatischen Cultur¬
völker und derAegypter in ihrer historischen Entwickelung dargestellt von Carl Tochter,
herausgegeben von Prof. or. Lazarus. Berlin, F. Dümmler's Verlagsbuchhandlung 1872.
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[0409] ßarl Hivesten als Keschichtsphilosoph.*) Der Politiker Carl Tochter ist jedem Gebildeten wohl bekannt und Freund und Feind haben seinen frühzeitigen Tod als ein bedeutsames Ereigniß für die weitere Entwickelung der deutschen, specieller preußischen öffentlichen Zustände empfunden. Aber daß dieser Mann der politischen Praxis, diese, wie es schien, ganz der unmittelbaren Gegenständlichkeit des Handelns zugewandte Natur, zugleich auch sich den ernstesten geschichtsphilosophischen Studien hingegeben, und durch sie bis zu einer weitangelegten wissenschaftlichen Production geführt worden sei — das wird den Meisten überraschend kommen, die nur den Namen und die Reden Tochter's und nicht den Menschen gekannt haben. Der Herausgeber sagt mit Recht „die Größe der Anlage dieses Werks, die Weite der Vorstudien, die Höhe des vorschwebenden Ziels, würden es bei jedem Gelehrten von Fach zu einem Verdienst, zu einer ebenso edlen wie vollkommenen Lebensausfüllung gemacht haben; aber eine solche Arbeit, dazu bestimmt, die Muße eines Mannes auszufüllen, muß vollends die dankbarste Bewunderung erregen." Denn Tochter hat schon 1866 begonnen, das Buch niederzuschreiben, nachdem er vieljährige Studien darauf gewandt hatte. Damals war er Assessor, kurz darauf Stadtrichter in Berlin. Bis 18S9 hat er, wie er selbst berichtet, ausschließlich, d. h. selbstverständlich, soweit es ihm sein sehr anstrengendes Amt erlaubte, daran gearbeitet, „fast nichts anderes gelesen", als was in den Bereich der hier einschlagenden Materien gehörte. Aber seit 1859 stockte die Arbeit. Man erinnert sich, daß er in diesem Jahre mit der Epoche machenden politischen Brochüre „Woran uns gelegen," den Schauplatz der preußischen Politik betrat, auf dem er bald als einer der ersten unter den Führern der Fortschrittspartei die Conflietszeit mit der ganzen ge¬ sammelten Kraft seines Wesens durchkämpfte. Da blieb das Erzeugniß fried- licher Mußestunden liegen, denn weder fanden sich für ihn solche, noch ver¬ mochte er die innere Theilnahme der Seele einer von den unmittelbaren Auf- ") Die religiösen, politischen und socialen Ideen der asiatischen Cultur¬ völker und derAegypter in ihrer historischen Entwickelung dargestellt von Carl Tochter, herausgegeben von Prof. or. Lazarus. Berlin, F. Dümmler's Verlagsbuchhandlung 1872. 1. u. 2. Theil. Grenzboten 1873. I. öl

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/409>, abgerufen am 25.08.2024.