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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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lichen Kirchenregiments von jedem parlamentarischen Einfluß. Die erste An¬
sicht war juristisch unhaltbar und hätte thatsächlich zum Untergang der evan¬
gelischen Kirche geführt. Die letztere Ansicht konnte sich auf eine immerhin
anfechtbare Interpretation des rechtlichen Begriffs der evangelischen Kirche
stützen, aber sie verletzte den tief begründeten Anspruch des Zeitgeistes auf
lebendige Bildungen, vor Allem im Gebiet der Religion, wo ein bureaukra-
tisch gestaltetes Kirchenregiment, zumal nachdem dasselbe in den Gegensatz der
Parteien gezogen worden, am allerwenigsten zu ertragen war. Der richtige
Weg konnte nur in der Mitte liegen. Inzwischen bildete der König Friedrich
Wilhelm IV- den Oberkirchenrath, als eine Erweiterung der mit den innern
Angelegenheiten der evangelischen Kirche bis dahin befaßten Abtheilung des
Cultusministeriums. Aber nicht bloß als eine Erweiterung, sondern zugleich
als eine Loslösung der Behörde für die inneren Angelegenheiten der Kirche
vom Cultusministerium als einer Staatsbehörde. Das Verhältniß lag nun
so, daß die äußeren Angelegenheiten der Kirche, also das Kirchenvermögen,
Kirchenbauten u. s. w. von Staatswegen durch das Cultusministerium ver¬
waltet wurden; die innern Angelegenheiten, also die Fragen der Lehre und
des Cultus, durch den Oberkirchenrath. Der Oberkirchenrath empfing zugleich
den Auftrag, eine Verfassung der Kirche auszuarbeiten und den Weg zu
ermitteln, auf welchem sie ins Leben zu treten habe, durch welche das landes¬
herrliche Kirchenregiment aus der evangelischen Gemeinde heraus ergänzt wer¬
den könne. Die Fortschrittspartei, obwohl reichlich von Elementen durchsetzt,
die der evangelischen Kirche absolut fremd sind, hatte sich nun schon seit
Jahren zur Aufgabe gemacht, die Ausgaben für den Oberkirchenrath zu
streichen. Es soll dadurch der Gestalt der künftigen Kirchenverfassung präju-
dicirt werden. Diese Verfassung soll eine rein demokratische sein ohne per¬
manente landesherrliche Organe. So kam der Antrag auf Verwerfung dieser
Ausgaben auch dießmal zum Vorschein, trotzdem die frühere Begründung,
daß der Oberkirchenrath den Auftrag, eine Verfassung vorzubereiten, nicht
erfülle, hinfällig geworden ist, nachdem die Berufung eines neuen Präsidenten
und die Persönlichkeit desselben den ernsten Willen des Landesherrn bekundet
haben, das Werk der Verfassung nicht länger aufzuschieben. Mit Recht
durfte der Cultusminister sich in bittern Worten darüber äußern, daß ein
evangelischer Geistlicher in diesem Augenblick eine Anforderung stellen könne,
wodurch die Schwierigkeit, zu einer lebensvollen Gestaltung der evangelischen
Kirche zu gelangen, nur vermehrt werden kann. Dieses Ziel ist nur durch
allseitiges Entgegenkommen zu erreichen, und die deutsche Nation, der deutsche
Staat bedürfen dieses Zieles wie des lieben Brotes. Denn alle Kirchenge¬
setze sind vergeblich, die Macht des Ultramontanismus zu brechen, wenn das
Mittel nicht gefunden wird, den Verfall der evangelischen Kirche aufzuhalten,


lichen Kirchenregiments von jedem parlamentarischen Einfluß. Die erste An¬
sicht war juristisch unhaltbar und hätte thatsächlich zum Untergang der evan¬
gelischen Kirche geführt. Die letztere Ansicht konnte sich auf eine immerhin
anfechtbare Interpretation des rechtlichen Begriffs der evangelischen Kirche
stützen, aber sie verletzte den tief begründeten Anspruch des Zeitgeistes auf
lebendige Bildungen, vor Allem im Gebiet der Religion, wo ein bureaukra-
tisch gestaltetes Kirchenregiment, zumal nachdem dasselbe in den Gegensatz der
Parteien gezogen worden, am allerwenigsten zu ertragen war. Der richtige
Weg konnte nur in der Mitte liegen. Inzwischen bildete der König Friedrich
Wilhelm IV- den Oberkirchenrath, als eine Erweiterung der mit den innern
Angelegenheiten der evangelischen Kirche bis dahin befaßten Abtheilung des
Cultusministeriums. Aber nicht bloß als eine Erweiterung, sondern zugleich
als eine Loslösung der Behörde für die inneren Angelegenheiten der Kirche
vom Cultusministerium als einer Staatsbehörde. Das Verhältniß lag nun
so, daß die äußeren Angelegenheiten der Kirche, also das Kirchenvermögen,
Kirchenbauten u. s. w. von Staatswegen durch das Cultusministerium ver¬
waltet wurden; die innern Angelegenheiten, also die Fragen der Lehre und
des Cultus, durch den Oberkirchenrath. Der Oberkirchenrath empfing zugleich
den Auftrag, eine Verfassung der Kirche auszuarbeiten und den Weg zu
ermitteln, auf welchem sie ins Leben zu treten habe, durch welche das landes¬
herrliche Kirchenregiment aus der evangelischen Gemeinde heraus ergänzt wer¬
den könne. Die Fortschrittspartei, obwohl reichlich von Elementen durchsetzt,
die der evangelischen Kirche absolut fremd sind, hatte sich nun schon seit
Jahren zur Aufgabe gemacht, die Ausgaben für den Oberkirchenrath zu
streichen. Es soll dadurch der Gestalt der künftigen Kirchenverfassung präju-
dicirt werden. Diese Verfassung soll eine rein demokratische sein ohne per¬
manente landesherrliche Organe. So kam der Antrag auf Verwerfung dieser
Ausgaben auch dießmal zum Vorschein, trotzdem die frühere Begründung,
daß der Oberkirchenrath den Auftrag, eine Verfassung vorzubereiten, nicht
erfülle, hinfällig geworden ist, nachdem die Berufung eines neuen Präsidenten
und die Persönlichkeit desselben den ernsten Willen des Landesherrn bekundet
haben, das Werk der Verfassung nicht länger aufzuschieben. Mit Recht
durfte der Cultusminister sich in bittern Worten darüber äußern, daß ein
evangelischer Geistlicher in diesem Augenblick eine Anforderung stellen könne,
wodurch die Schwierigkeit, zu einer lebensvollen Gestaltung der evangelischen
Kirche zu gelangen, nur vermehrt werden kann. Dieses Ziel ist nur durch
allseitiges Entgegenkommen zu erreichen, und die deutsche Nation, der deutsche
Staat bedürfen dieses Zieles wie des lieben Brotes. Denn alle Kirchenge¬
setze sind vergeblich, die Macht des Ultramontanismus zu brechen, wenn das
Mittel nicht gefunden wird, den Verfall der evangelischen Kirche aufzuhalten,


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[0404] lichen Kirchenregiments von jedem parlamentarischen Einfluß. Die erste An¬ sicht war juristisch unhaltbar und hätte thatsächlich zum Untergang der evan¬ gelischen Kirche geführt. Die letztere Ansicht konnte sich auf eine immerhin anfechtbare Interpretation des rechtlichen Begriffs der evangelischen Kirche stützen, aber sie verletzte den tief begründeten Anspruch des Zeitgeistes auf lebendige Bildungen, vor Allem im Gebiet der Religion, wo ein bureaukra- tisch gestaltetes Kirchenregiment, zumal nachdem dasselbe in den Gegensatz der Parteien gezogen worden, am allerwenigsten zu ertragen war. Der richtige Weg konnte nur in der Mitte liegen. Inzwischen bildete der König Friedrich Wilhelm IV- den Oberkirchenrath, als eine Erweiterung der mit den innern Angelegenheiten der evangelischen Kirche bis dahin befaßten Abtheilung des Cultusministeriums. Aber nicht bloß als eine Erweiterung, sondern zugleich als eine Loslösung der Behörde für die inneren Angelegenheiten der Kirche vom Cultusministerium als einer Staatsbehörde. Das Verhältniß lag nun so, daß die äußeren Angelegenheiten der Kirche, also das Kirchenvermögen, Kirchenbauten u. s. w. von Staatswegen durch das Cultusministerium ver¬ waltet wurden; die innern Angelegenheiten, also die Fragen der Lehre und des Cultus, durch den Oberkirchenrath. Der Oberkirchenrath empfing zugleich den Auftrag, eine Verfassung der Kirche auszuarbeiten und den Weg zu ermitteln, auf welchem sie ins Leben zu treten habe, durch welche das landes¬ herrliche Kirchenregiment aus der evangelischen Gemeinde heraus ergänzt wer¬ den könne. Die Fortschrittspartei, obwohl reichlich von Elementen durchsetzt, die der evangelischen Kirche absolut fremd sind, hatte sich nun schon seit Jahren zur Aufgabe gemacht, die Ausgaben für den Oberkirchenrath zu streichen. Es soll dadurch der Gestalt der künftigen Kirchenverfassung präju- dicirt werden. Diese Verfassung soll eine rein demokratische sein ohne per¬ manente landesherrliche Organe. So kam der Antrag auf Verwerfung dieser Ausgaben auch dießmal zum Vorschein, trotzdem die frühere Begründung, daß der Oberkirchenrath den Auftrag, eine Verfassung vorzubereiten, nicht erfülle, hinfällig geworden ist, nachdem die Berufung eines neuen Präsidenten und die Persönlichkeit desselben den ernsten Willen des Landesherrn bekundet haben, das Werk der Verfassung nicht länger aufzuschieben. Mit Recht durfte der Cultusminister sich in bittern Worten darüber äußern, daß ein evangelischer Geistlicher in diesem Augenblick eine Anforderung stellen könne, wodurch die Schwierigkeit, zu einer lebensvollen Gestaltung der evangelischen Kirche zu gelangen, nur vermehrt werden kann. Dieses Ziel ist nur durch allseitiges Entgegenkommen zu erreichen, und die deutsche Nation, der deutsche Staat bedürfen dieses Zieles wie des lieben Brotes. Denn alle Kirchenge¬ setze sind vergeblich, die Macht des Ultramontanismus zu brechen, wenn das Mittel nicht gefunden wird, den Verfall der evangelischen Kirche aufzuhalten,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/404>, abgerufen am 25.08.2024.