Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

war, nach den Vorschlägen der Commission angenommen. Die einzelnen
Bestimmungen interessiren uns hier nicht. Wir erwähnen nur einen Punkt,
weil derselbe eine beachtenswerthe Aeußerung des Finanzministers hervorrief.
Der Entwurf hatte nämlich vorgeschlagen, daß, während bisher nur die Kin¬
der des Erblassers und die Mutter desselben gänzlich von der Erbschaftsabgabe frei
waren, die gänzliche Befreiung ausgedehnt werden sollte auf den Vater des Erb¬
lassers und auf den überlebenden Ehegatten. Dagegen sollten die Nachkommen
der Geschwister 3°/" des ererbten Vermögens als Abgabe zahlen. Die Commission
hatte diesen Satz auf 2°/<> erniedrigt. Dieß gab dem Ftnanzminister Anlaß zu der
Bemerkung, daß jeder Finanzpolitiker heute sagen werde, daß man bei großen
Umgestaltungen des Steuerwesens die Erbschaftssteuer einträglicher machen
müsse, daß einen Erlaß bei dieser Steuer zu gewähren einen "argen, argen
Fehler" begehen heiße. Linksseitige Zurufe verneinten dieß, und als der
Finanzminister sagte, Deutschland stehe in der Höhe der Erbschaftssteuer
hinter andern Ländern weit zurück, rief man links: "das ist sehr gut!" Dieß-
mal wenigstens stimmen wir nachdrücklich mit der Linken. Nur die An¬
schauungen einer falschen Socialpolitik könnten die Finanzpolitiker dazu bringen,
vor Allem nach der Erbschaftssteuer als einer ohne Schaden einträglicher zu
machenden Ftnanzquelle zu greifen. Bequem mag eine solche Steuer schei¬
nen, sie ist es darum noch nicht, auch wenn die Bequemlichkeit der letzte
Gesichtspunkt der Finanzpolitik wäre. Aber eine solche Steuer kann sehr
schädlich wirken in mehr als einer Beziehung, ein Satz, der leicht zu erhärten
wäre, wenn der Finanzminister mit dem Gedanken einer bedeutenden Er¬
höhung der Erbschaftssteuer Ernst machen sollte.

In derselben Sitzung kamen die Ausgaben für das Cultusministerium
zur Beschlußnahme. Die Abgeordneten von Säulen - Tarputschen und
Müller, letzterer ein dem Protestantenverein angehörender Prediger zu
Berlin, ergriffen die Gelegenheit, die Verweigerung der Ausgaben für den
Oberkirchenrath zu beantragen. Und natürlich war es Herr Virchow, der
diesem Antrag in der folgenden Sitzung sekundiren mußte. Man vergegenwärtige
sich, worauf es ankommt. Als die preußische Verfassung erlassen worden, in
welcher die Selbständigkeit der evangelischen Kirche ausgesprochen war, ent¬
stand ein Streit, wer diese Kirche repräsentire und wer demzufolge die ver¬
fassungsmäßige Selbständigkeit derselben auszuüben berufen sei. Der katho¬
lischen Kirche gegenüber konnte eine solche Frage nicht entstehen. Aber die
evangelische Kirche war bisher vom Staat regiert und repräsentirt worden.
Nun trat eine Partei mit der Behauptung aus: die evangelische Kirche muß
sofort durch ein Kirchenregiment auf breitester demokratischer Grundlage eine
neue Repräsentation finden. Ein anderer Theil behauptete: die Selbständigkeit
der evangelischen Kirche bedeutet einfach die Unabhängigkeit des landesherr-


war, nach den Vorschlägen der Commission angenommen. Die einzelnen
Bestimmungen interessiren uns hier nicht. Wir erwähnen nur einen Punkt,
weil derselbe eine beachtenswerthe Aeußerung des Finanzministers hervorrief.
Der Entwurf hatte nämlich vorgeschlagen, daß, während bisher nur die Kin¬
der des Erblassers und die Mutter desselben gänzlich von der Erbschaftsabgabe frei
waren, die gänzliche Befreiung ausgedehnt werden sollte auf den Vater des Erb¬
lassers und auf den überlebenden Ehegatten. Dagegen sollten die Nachkommen
der Geschwister 3°/« des ererbten Vermögens als Abgabe zahlen. Die Commission
hatte diesen Satz auf 2°/<> erniedrigt. Dieß gab dem Ftnanzminister Anlaß zu der
Bemerkung, daß jeder Finanzpolitiker heute sagen werde, daß man bei großen
Umgestaltungen des Steuerwesens die Erbschaftssteuer einträglicher machen
müsse, daß einen Erlaß bei dieser Steuer zu gewähren einen „argen, argen
Fehler" begehen heiße. Linksseitige Zurufe verneinten dieß, und als der
Finanzminister sagte, Deutschland stehe in der Höhe der Erbschaftssteuer
hinter andern Ländern weit zurück, rief man links: „das ist sehr gut!" Dieß-
mal wenigstens stimmen wir nachdrücklich mit der Linken. Nur die An¬
schauungen einer falschen Socialpolitik könnten die Finanzpolitiker dazu bringen,
vor Allem nach der Erbschaftssteuer als einer ohne Schaden einträglicher zu
machenden Ftnanzquelle zu greifen. Bequem mag eine solche Steuer schei¬
nen, sie ist es darum noch nicht, auch wenn die Bequemlichkeit der letzte
Gesichtspunkt der Finanzpolitik wäre. Aber eine solche Steuer kann sehr
schädlich wirken in mehr als einer Beziehung, ein Satz, der leicht zu erhärten
wäre, wenn der Finanzminister mit dem Gedanken einer bedeutenden Er¬
höhung der Erbschaftssteuer Ernst machen sollte.

In derselben Sitzung kamen die Ausgaben für das Cultusministerium
zur Beschlußnahme. Die Abgeordneten von Säulen - Tarputschen und
Müller, letzterer ein dem Protestantenverein angehörender Prediger zu
Berlin, ergriffen die Gelegenheit, die Verweigerung der Ausgaben für den
Oberkirchenrath zu beantragen. Und natürlich war es Herr Virchow, der
diesem Antrag in der folgenden Sitzung sekundiren mußte. Man vergegenwärtige
sich, worauf es ankommt. Als die preußische Verfassung erlassen worden, in
welcher die Selbständigkeit der evangelischen Kirche ausgesprochen war, ent¬
stand ein Streit, wer diese Kirche repräsentire und wer demzufolge die ver¬
fassungsmäßige Selbständigkeit derselben auszuüben berufen sei. Der katho¬
lischen Kirche gegenüber konnte eine solche Frage nicht entstehen. Aber die
evangelische Kirche war bisher vom Staat regiert und repräsentirt worden.
Nun trat eine Partei mit der Behauptung aus: die evangelische Kirche muß
sofort durch ein Kirchenregiment auf breitester demokratischer Grundlage eine
neue Repräsentation finden. Ein anderer Theil behauptete: die Selbständigkeit
der evangelischen Kirche bedeutet einfach die Unabhängigkeit des landesherr-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0403" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/129395"/>
          <p xml:id="ID_1305" prev="#ID_1304"> war, nach den Vorschlägen der Commission angenommen. Die einzelnen<lb/>
Bestimmungen interessiren uns hier nicht. Wir erwähnen nur einen Punkt,<lb/>
weil derselbe eine beachtenswerthe Aeußerung des Finanzministers hervorrief.<lb/>
Der Entwurf hatte nämlich vorgeschlagen, daß, während bisher nur die Kin¬<lb/>
der des Erblassers und die Mutter desselben gänzlich von der Erbschaftsabgabe frei<lb/>
waren, die gänzliche Befreiung ausgedehnt werden sollte auf den Vater des Erb¬<lb/>
lassers und auf den überlebenden Ehegatten. Dagegen sollten die Nachkommen<lb/>
der Geschwister 3°/« des ererbten Vermögens als Abgabe zahlen. Die Commission<lb/>
hatte diesen Satz auf 2°/&lt;&gt; erniedrigt. Dieß gab dem Ftnanzminister Anlaß zu der<lb/>
Bemerkung, daß jeder Finanzpolitiker heute sagen werde, daß man bei großen<lb/>
Umgestaltungen des Steuerwesens die Erbschaftssteuer einträglicher machen<lb/>
müsse, daß einen Erlaß bei dieser Steuer zu gewähren einen &#x201E;argen, argen<lb/>
Fehler" begehen heiße. Linksseitige Zurufe verneinten dieß, und als der<lb/>
Finanzminister sagte, Deutschland stehe in der Höhe der Erbschaftssteuer<lb/>
hinter andern Ländern weit zurück, rief man links: &#x201E;das ist sehr gut!" Dieß-<lb/>
mal wenigstens stimmen wir nachdrücklich mit der Linken. Nur die An¬<lb/>
schauungen einer falschen Socialpolitik könnten die Finanzpolitiker dazu bringen,<lb/>
vor Allem nach der Erbschaftssteuer als einer ohne Schaden einträglicher zu<lb/>
machenden Ftnanzquelle zu greifen. Bequem mag eine solche Steuer schei¬<lb/>
nen, sie ist es darum noch nicht, auch wenn die Bequemlichkeit der letzte<lb/>
Gesichtspunkt der Finanzpolitik wäre. Aber eine solche Steuer kann sehr<lb/>
schädlich wirken in mehr als einer Beziehung, ein Satz, der leicht zu erhärten<lb/>
wäre, wenn der Finanzminister mit dem Gedanken einer bedeutenden Er¬<lb/>
höhung der Erbschaftssteuer Ernst machen sollte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1306" next="#ID_1307"> In derselben Sitzung kamen die Ausgaben für das Cultusministerium<lb/>
zur Beschlußnahme. Die Abgeordneten von Säulen - Tarputschen und<lb/>
Müller, letzterer ein dem Protestantenverein angehörender Prediger zu<lb/>
Berlin, ergriffen die Gelegenheit, die Verweigerung der Ausgaben für den<lb/>
Oberkirchenrath zu beantragen. Und natürlich war es Herr Virchow, der<lb/>
diesem Antrag in der folgenden Sitzung sekundiren mußte. Man vergegenwärtige<lb/>
sich, worauf es ankommt. Als die preußische Verfassung erlassen worden, in<lb/>
welcher die Selbständigkeit der evangelischen Kirche ausgesprochen war, ent¬<lb/>
stand ein Streit, wer diese Kirche repräsentire und wer demzufolge die ver¬<lb/>
fassungsmäßige Selbständigkeit derselben auszuüben berufen sei. Der katho¬<lb/>
lischen Kirche gegenüber konnte eine solche Frage nicht entstehen. Aber die<lb/>
evangelische Kirche war bisher vom Staat regiert und repräsentirt worden.<lb/>
Nun trat eine Partei mit der Behauptung aus: die evangelische Kirche muß<lb/>
sofort durch ein Kirchenregiment auf breitester demokratischer Grundlage eine<lb/>
neue Repräsentation finden. Ein anderer Theil behauptete: die Selbständigkeit<lb/>
der evangelischen Kirche bedeutet einfach die Unabhängigkeit des landesherr-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0403] war, nach den Vorschlägen der Commission angenommen. Die einzelnen Bestimmungen interessiren uns hier nicht. Wir erwähnen nur einen Punkt, weil derselbe eine beachtenswerthe Aeußerung des Finanzministers hervorrief. Der Entwurf hatte nämlich vorgeschlagen, daß, während bisher nur die Kin¬ der des Erblassers und die Mutter desselben gänzlich von der Erbschaftsabgabe frei waren, die gänzliche Befreiung ausgedehnt werden sollte auf den Vater des Erb¬ lassers und auf den überlebenden Ehegatten. Dagegen sollten die Nachkommen der Geschwister 3°/« des ererbten Vermögens als Abgabe zahlen. Die Commission hatte diesen Satz auf 2°/<> erniedrigt. Dieß gab dem Ftnanzminister Anlaß zu der Bemerkung, daß jeder Finanzpolitiker heute sagen werde, daß man bei großen Umgestaltungen des Steuerwesens die Erbschaftssteuer einträglicher machen müsse, daß einen Erlaß bei dieser Steuer zu gewähren einen „argen, argen Fehler" begehen heiße. Linksseitige Zurufe verneinten dieß, und als der Finanzminister sagte, Deutschland stehe in der Höhe der Erbschaftssteuer hinter andern Ländern weit zurück, rief man links: „das ist sehr gut!" Dieß- mal wenigstens stimmen wir nachdrücklich mit der Linken. Nur die An¬ schauungen einer falschen Socialpolitik könnten die Finanzpolitiker dazu bringen, vor Allem nach der Erbschaftssteuer als einer ohne Schaden einträglicher zu machenden Ftnanzquelle zu greifen. Bequem mag eine solche Steuer schei¬ nen, sie ist es darum noch nicht, auch wenn die Bequemlichkeit der letzte Gesichtspunkt der Finanzpolitik wäre. Aber eine solche Steuer kann sehr schädlich wirken in mehr als einer Beziehung, ein Satz, der leicht zu erhärten wäre, wenn der Finanzminister mit dem Gedanken einer bedeutenden Er¬ höhung der Erbschaftssteuer Ernst machen sollte. In derselben Sitzung kamen die Ausgaben für das Cultusministerium zur Beschlußnahme. Die Abgeordneten von Säulen - Tarputschen und Müller, letzterer ein dem Protestantenverein angehörender Prediger zu Berlin, ergriffen die Gelegenheit, die Verweigerung der Ausgaben für den Oberkirchenrath zu beantragen. Und natürlich war es Herr Virchow, der diesem Antrag in der folgenden Sitzung sekundiren mußte. Man vergegenwärtige sich, worauf es ankommt. Als die preußische Verfassung erlassen worden, in welcher die Selbständigkeit der evangelischen Kirche ausgesprochen war, ent¬ stand ein Streit, wer diese Kirche repräsentire und wer demzufolge die ver¬ fassungsmäßige Selbständigkeit derselben auszuüben berufen sei. Der katho¬ lischen Kirche gegenüber konnte eine solche Frage nicht entstehen. Aber die evangelische Kirche war bisher vom Staat regiert und repräsentirt worden. Nun trat eine Partei mit der Behauptung aus: die evangelische Kirche muß sofort durch ein Kirchenregiment auf breitester demokratischer Grundlage eine neue Repräsentation finden. Ein anderer Theil behauptete: die Selbständigkeit der evangelischen Kirche bedeutet einfach die Unabhängigkeit des landesherr-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/403
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/403>, abgerufen am 25.08.2024.