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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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Meinung ausposaunen und damit der Agitation eine neue Handhabe bieten
wird? Das aber hätte man, dünkt uns, durchaus zu vermeiden suchen sollen.
Von ofsiciöser Seite haben wir für die Maßregel bisher nur einen halbwegs
plausibeln Grund gehört: man sagt, daß im Einzelnen noch nicht durchweg
definitiv festgestellt sei, welche Optionen als ungültig zu betrachten seien, daß
außerdem dieser oder jener Optant möglicherweise gegen die Ungültigkeitser¬
klärung reclamiren werde. Dieser Grund ist nicht stichhaltig. Seit dem 1.
October sind 5 Monate verflossen, man sollte denken, Zeit vollauf, um zu
constatiren, wer ausgewandert ist und wer nicht; um einiger etwaiger Recla-
manten willen aber eine ganze Kategorie von Staatsbürgern politisch mund¬
todt zu machen, ist schwerlich zu rechtfertigen. Freilich, man erwiedert: es steht
ihnen ja frei, durch Zurücknahme ihrer Erklärung -- sich wieder in den Voll¬
besitz der politischen Rechte zu setzen. Dem ist von anderer Seite entgegenge¬
halten worden, daß man ihnen mit diesem Gange nach der Kreisdirection
eine Demüthigung zumuthet. Als solche würde es in der That von Vielen
empfunden werden; die große Mehrheit aber wird den Gang aus demselben
Grunde unterlassen, aus welchem sie den Optionsgang gethan hat, nämlich
aus Scheu vor dem Nachbar. Der Einwand, daß der Mann den Muth
haben solle, seine Ueberzeugung offen zu bekennen, ist unter den hiesigen Ver¬
hältnissen eine hohle Declamation und stimmt gar nicht zu der verständigen
Nachsicht und Schonung, mit welcher die deutsche Regierung bisher auf die
Gefühle der Elsaß-Lothringer in dem unerquicklichen Uebergangszustand Rück¬
sicht genommen hat. Und nicht einmal den Vortheil hat die Maßregel, daß
sie die Elemente erkennen und übersichtlich abschätzen ließe, welche der neuen
Ordnung der Dinge principiell feindselig gegenüberstehen. Es ist allbekannt,
daß eine große Menge der harmlosesten Leute durch alle möglichen Kunstgriffe
einer klerikalen Agitation zur Option gepreßt wurde; dagegen wurden die im
Reichslande niedergelassenen transvogestschen Franzosen unseres Wissens zur
Optionserklärung gar nicht zugelassen, da für sie die Auswanderung allein
genügte, um die französische Nationalität zu behalten; diejenigen, welche nicht
ausgewandert sind, gelten co ipso als Deutsche. So schafft also das neue
Gesetz die Lage, daß eine Anzahl Franzosen von Geburt und Gesinnung das
Wahlrecht ausüben darf, während es einer Menge echter Alemannen vorent¬
halten wird. Das ist eine starke Abnormität und man sollte noch heute auf
eine rechtzeitige Remedur bedacht sein, etwa in der Weise, daß man den Op¬
tanten einen die Zurücknahme ihrer Erklärung enthaltenden Revers ins Haus
schickte, so daß sie nur ihre Unterschrift beizufügen hätten. Damit würde
ihnen der unangenehme und für die Landbewohner auch zeitraubende Gang
auf die Kreisdirection erspart, man böte den zahlreichen Verführten und Ein¬
geschüchterten die beste Gelegenheit, ihren Fehler wieder gut zu machen und


Meinung ausposaunen und damit der Agitation eine neue Handhabe bieten
wird? Das aber hätte man, dünkt uns, durchaus zu vermeiden suchen sollen.
Von ofsiciöser Seite haben wir für die Maßregel bisher nur einen halbwegs
plausibeln Grund gehört: man sagt, daß im Einzelnen noch nicht durchweg
definitiv festgestellt sei, welche Optionen als ungültig zu betrachten seien, daß
außerdem dieser oder jener Optant möglicherweise gegen die Ungültigkeitser¬
klärung reclamiren werde. Dieser Grund ist nicht stichhaltig. Seit dem 1.
October sind 5 Monate verflossen, man sollte denken, Zeit vollauf, um zu
constatiren, wer ausgewandert ist und wer nicht; um einiger etwaiger Recla-
manten willen aber eine ganze Kategorie von Staatsbürgern politisch mund¬
todt zu machen, ist schwerlich zu rechtfertigen. Freilich, man erwiedert: es steht
ihnen ja frei, durch Zurücknahme ihrer Erklärung — sich wieder in den Voll¬
besitz der politischen Rechte zu setzen. Dem ist von anderer Seite entgegenge¬
halten worden, daß man ihnen mit diesem Gange nach der Kreisdirection
eine Demüthigung zumuthet. Als solche würde es in der That von Vielen
empfunden werden; die große Mehrheit aber wird den Gang aus demselben
Grunde unterlassen, aus welchem sie den Optionsgang gethan hat, nämlich
aus Scheu vor dem Nachbar. Der Einwand, daß der Mann den Muth
haben solle, seine Ueberzeugung offen zu bekennen, ist unter den hiesigen Ver¬
hältnissen eine hohle Declamation und stimmt gar nicht zu der verständigen
Nachsicht und Schonung, mit welcher die deutsche Regierung bisher auf die
Gefühle der Elsaß-Lothringer in dem unerquicklichen Uebergangszustand Rück¬
sicht genommen hat. Und nicht einmal den Vortheil hat die Maßregel, daß
sie die Elemente erkennen und übersichtlich abschätzen ließe, welche der neuen
Ordnung der Dinge principiell feindselig gegenüberstehen. Es ist allbekannt,
daß eine große Menge der harmlosesten Leute durch alle möglichen Kunstgriffe
einer klerikalen Agitation zur Option gepreßt wurde; dagegen wurden die im
Reichslande niedergelassenen transvogestschen Franzosen unseres Wissens zur
Optionserklärung gar nicht zugelassen, da für sie die Auswanderung allein
genügte, um die französische Nationalität zu behalten; diejenigen, welche nicht
ausgewandert sind, gelten co ipso als Deutsche. So schafft also das neue
Gesetz die Lage, daß eine Anzahl Franzosen von Geburt und Gesinnung das
Wahlrecht ausüben darf, während es einer Menge echter Alemannen vorent¬
halten wird. Das ist eine starke Abnormität und man sollte noch heute auf
eine rechtzeitige Remedur bedacht sein, etwa in der Weise, daß man den Op¬
tanten einen die Zurücknahme ihrer Erklärung enthaltenden Revers ins Haus
schickte, so daß sie nur ihre Unterschrift beizufügen hätten. Damit würde
ihnen der unangenehme und für die Landbewohner auch zeitraubende Gang
auf die Kreisdirection erspart, man böte den zahlreichen Verführten und Ein¬
geschüchterten die beste Gelegenheit, ihren Fehler wieder gut zu machen und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/400>, abgerufen am 24.08.2024.